Die wenigen Tage

einer »Rheinischen Republik«

Passiver Widerstand und Separatismus im Kreis Daun

Erwin Schöning, Gerolstein

Auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 bemühten sich die Franzosen um eine Annexion des rheinischen Gebietes und begründeten ihre Forderung damit, auf diese Weise Preußen und den preußischen Militarismus zu schwächen. Auch im Rheinland wurden bereits wenige Tage nach der Novemberrevolution in Berlin Stimmen laut, die eine Loslösung des Rheinlandes vom Reich anstrebten. Die konsequentesten Verfechter kamen aus den Reihen der rheinischen Zentrumspartei. In Verhandlungen mit der englischen Besatzungsmacht hatte Konrad Adenauer daraufhingewiesen, dass auch eine Schwächung Preußens erreicht werden könne, wenn das Rheinland mit angrenzenden Gebieten aus dem Staat Preußen herausgebrochen und als Freistaat im Reich Preußen gleichgestellt würde.

Für eine antipreußische Stimmung im Rheinland sorgte auch der radikale kulturpolitische Kurs der sozialistischen Regierung in Berlin durch den neuen preußischen Kulturminister Hoffmann, der bereits vier Tage nach dem Umsturz die Einheitsschule, die Trennung von Kirche und Staat und die Entkonfessionierung des Schulwesens proklamiert hatte, was einen Sturm der Empörung bei der katholischen Bevölkerung im Rheinland ausgelöst hatte. Nach Unterzeichnung des Versailler Vertrages litt besonders die rheinische Bevölkerung unter Requirierung, Wohnungsnot und Zollgrenzen als Folgen der Besatzung. Dies alles war ein geeigneter Nährboden für die separatistische Bewegung, die in den rheinischen Städten langsame, aber sichere Fortschritte machte, unterstützt von den Franzosen, unter anderen Marschall Foch und General Mangin. Bei der Landbevölkerung in der Eifel waren es die Brüder Limbourg, Großlandwirte in Bitburg, die in Bauernversammlungen zusammen mit Dr. Dorten schon früh für eine »Rheinische Republik« warben. In Köln erließ das britische Hauptquartier am 7. Juni 1919 nach eingehender Beratung mit Konrad Adenauer eine Verordnung, wonach eine Änderung der Staatsform im britisch besetzten Gebiet ohne Erlaubnis der britischen Behörden verboten sei. Damit war den separatistischen Bestrebungen in Köln ein Riegel vorgeschoben. Der Terror gegen die rheinische Bevölkerung begann, als die Franzosen und Belgier am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet besetzten, weil Deutschland angeblich seinen Reparationsverpflichtungen nicht nachgekommen sei. Die Reichsregierung erließ als Antwort hierauf acht Tage später, am 19. Januar, in Berlin die Anweisung, dass Befehle und Anordnungen der Besatzungsmächte, die in Verfolg dieser Aktion an die deutschen Beamten ergehen, rechtsunwirksam seien. Die Beamten sollten sich ausschließlich an die Weisungen der eigenen Regierung halten. Dieser Appell an das nationale Pflichtbewusstsein ist nicht nur von der gesamten Beamtenschaft im Reichs-, Staatsund Kommunaldienst, sondern auch von den meisten nichtbeamteten Angestellten und Arbeitern aller Dienststellungen befolgt worden. Die Folge war, dass mit Einsetzen des passiven Widerstandes die feindliche Haltung der Franzosen gegenüber der rheinischen Bevölkerung zunahm. Sie antworteten mit der Verhaftung und Ausweisung der Behördenvorstände. Bereits am 24. Januar 1923 erschien in der hiesigen Tagespresse ein Erlass, der verkündete, dass auf Anordnung der Rheinlandkommission die Ausweisung mehrerer Oberbeamter, darunter der Trierer Regierungspräsident Dr. Saassen, beschlossen worden sei, weil diese sich geweigert hatten, Anordnungen der Rheinlandkommission Folge zu leisten.

Der Landrat des Kreises Daun, Weismüller, war ebenfalls im Januar 1923 durch die Interalliierte Rheinlandkommission seines Amtes enthoben worden. Er hatte - sehr zum Ärger der französischen Offiziere - nie persönlich mit dem Kreisdelegierten Louvet verhandelt. Seinen Nachfolger, Dr. Varain, verhafteten die Franzosen am 24. Januar 1923 gegen 22 Uhr während einer Dienstfahrt auf der Straße zwischen Dockweiler und Daun. Erst drei Tage später teilte der Kreisdelegierte dem Bürgermeister mit, dass Dr. Varain ausgewiesen worden sei. Dieser wurde in Mainz wegen feindlicher Haltung gegenüber der Besatzung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Am 6. Februar 1923 hatte die deutsche Eisenbahnverwaltung auf sämtlichen Bahnhöfen, die von den Franzosen besetzt waren, den Zugverkehr eingestellt. Auch in Gerolstein ruhte seit diesem Tage der Verkehr, weil die Bahnbeamten und -arbeiter sich weigerten, für die Franzosen Dienst zu tun. Die Folge war, dass in der Nacht zum 28. Februar Bürgermeister Sollhe in seiner Wohnung von französischen Soldaten wegen Nichtbefolgung von Befehlen und Lässigkeit bei Unterdrückung von Unruhen verhaftet und nach Trier gebracht wurde. Er wurde mit seiner Familie ausgewiesen. Am nächsten Tag folgten weitere Verhaftungen Gerolsteiner Bürger, die von Trier aus über Limburg in das nichtbesetzte Reichsgebiet ausgewiesen wurden.

Nicht nur bei den Beamten, auch bei Gewerbetreibenden und Arbeitern wuchs die Angst vor der Ausweisung, zumal der damalige französische Ortskommandant verlauten ließ, er werde die Stadt Gerolstein derart peinigen, dass kein Mensch mehr dort wohnen möchte; er werde sie im wahrsten Sinne des Wortes zu einer toten Stadt machen, wenn der Widerstand, den man ihm leiste, nicht aufhöre. Angesichts dieser Drohung und anderer Terrormaßnahmen - 600 Personen waren zu der Zeit bereits aus Gerolstein ausgewiesen, bis zum Ende des Widerstandes stieg die Zahl auf 1400 - fanden sich einige Gerolsteiner bereit, der »Rheinischen Bewegung« beizutreten, um der Ausweisung zu entgehen. Sie waren deshalb noch lange nicht alle Separatisten.

Bei den Ausweisungen spielten sich oft dramatische Szenen ab. Die Familienvorstände wurden in der Regel morgens früh in ihrer Wohnung oder auf der Dienststelle verhaftet und in das unbesetzte Gebiet abgeschoben. Dann folgte die Ausweisung der Familienangehörigen, die innerhalb von wenigen Stunden das Notwendigste für den Abtransport zusammenpacken mussten und dann mit Fuhrwerken zum Bahnhof Walsdorf gefahren wurden. Von hier aus wurden sie mit der Bahn, die damals nicht unter französischer Regie stand, in das unbesetzte Reichsgebiet transportiert. Die Wohnungen und das Mobiliar der Ausgewiesenen wurden beschlagnahmt und den französischen Eisenbahnerfamilien zur Verfügung gestellt, die bei der Regiebahn die deutschen Bahnbeamten ersetzen sollten.

Erhebliche Unsicherheiten für die Bevölkerung brachten die farbigen Soldaten, Marokkaner aus der französischen Kolonialarmee, die in Gerolstein stationiert waren, um die Bahnanlagen zu besetzen und zu schützen. So wurde der Bahnarbeiter Schneefeld vom Bahnhof Mürlenbach am Abend des 11. Mai 1923 von Angehörigen dieser Truppe überfallen und so schwer verletzt, dass man ihn ins Krankenhaus bringen musste. Auch in Gerolstein kam es zu Misshandlungen und Vergewaltigungen. Simon Hermes aus Hillesheim starb am 15. April 1923 durch das Geschoss eines Marokkaners, als er seine Frau vor dessen Zudringlichkeiten schützen wollte. Auch die männliche Bevölkerung war vor den Zudringlichkeiten dieser Afrikaner nicht sicher.

In der Nacht vom 19. zum 20. Oktober 1923 erschienen gegen drei Uhr Anhänger der separatistischen Bewegung in Daun und besetzten das Landratsamt, angeführt wurden sie von Peter Schons und einem gewissen Koch-Pfeiffer. Kreisinspektor Breyer sowie die Beamten und Angestellten des Landratsamtes verweigerten die Zusammenarbeit und beriefen sich auf ihren Diensteid. Die Separatisten richteten einen Raum als Wachlokal ein und hissten auf dem Kreishaus die grün-weißrote Fahne.

Angehörige der Zentrumspartei im Kreis Daun und Vertreter der separatistischen Gruppen trafen sich am 23. Oktober im Hotel »Schramm« in Daun zu Gesprächen und überreichten wenig später dem Kreisdelegierten Remy eine Erklärung mit folgendem Wortlaut »Die Unterzeichneten, als Vertreter aus allen Schichten der Bevölkerung des Kreises Daun, gestatten sich ergebens, durch Überreischung dieses Schriftstückes den überwiegenden Wunsch der Einwohnerschaft dieses Kreises zum Ausdruck zu bringen, einen Rheinischen Freistaat zu gründen. Der Wille des Volkes geht dahin, frei zu sein, seine eigene Verfassung und Verwaltung zu haben. Wir bitten den Herrn Kreis-Delegierten höflichst, diesen Volkswillen dem Vorsitzenden der Hohen Interalliierten Rheinlandkommission, Herrn Tirard, zu übermitteln.« Die 17 Unterzeichner betonten, für die jeweils von ihnen vertretene Berufsgruppe zu sprechen. Der französische Kreisdelegierte ließ daraufhin den Kreisinspektor Breyer zu sich kommen und gab ihm Kenntnis von der Erklärung. Nachdem am 25. Oktober der Selbstschutz in den Abendstunden wieder abrückte, nahmen alle Beamten und Angestellten ihren Dienst im Landratsamt wieder auf. Die Dienstgeschäfte in kommunalen Angelegenheiten wurden unter Leitung des Kreisdeputierten Pfarrer Blum und in staatlichen Angelegenheiten durch Kreisinspektor Breyer erledigt. Vorher hatten sie die vollständige Unabhängigkeit bei Ausübung des Dienstes in der bisherigen Form und keinerlei Belästigungen durch Angehörige der Rheinischen Republik gefordert. Auch das beschlagnahmte Kreisauto wurde für den Dienstbetrieb wieder freigegeben. Von den Separatisten waren Bürgermeister Kirch als Landrat und Obersekretär Jacobs als Bürgermeister von Daun eingesetzt. Kreisinspektor Breyer wusste es so einzurichten, dass keinerlei Schriftstücke der deutschen Regierung in die Hände des »Landrats« gelangten.

Im Amtsbezirk Gerolstein war die separatistische Bewegung seit 1921 festzustellen. Es waren der Limonadenhersteller und Bierverleger Michael Himmes, der Schreinermeister Heinrich Eifel und der Anstreichermeister Franz Zens, die sich als Anhänger der Bewegung bekannten. Erst als Funktionäre aus Köln und Trier nach Gerolstein kamen, wuchs der Druck auf die Bevölkerung immer mehr. Mit Unterstützung der Kreisdelegierten wurde die sogenannte »Rheinarmee« aufgestellt. Auch die französische Eisenbahnregie stellte aus den in ihren Dienst übergetretenen deutschen Bahnangestellten eine Anzahl wehrhafter Männer zusammen, die sie aus Beständen beschlagnahmter Waffen ausstatteten. In Gerolstein erschien eines Tages eine Gruppe Männer aus Wittlich, wo man sie aus der Strafanstalt entlassen hatte. Unter ihnen der »Bezirkskommissar« der Rheinischen Republik, Peter Schons, der in Gerolstein einen 25 Mann starken Selbstschutz aufstellte, dem nur drei Gerolsteiner angehörten.

Schons schlug sein Hauptquartier im »Hotel Zur Post« auf, das er zu diesem Zweck beschlagnahmt hatte. Hier hing er ein Plakat ins Fenster, auf dem es hieß, dass sich alle diejenigen eintragen sollten, die der Bewegung beitreten wollten. Allen Personen, die der Bewegung nicht beitreten würden, drohte er mit der sofortigen Abschiebung. Am 22. Oktober 1923 erschienen morgens der Bezirkskommissar Schons und der spätere »Landwirtschaftsminister der Rheinischen Republik«, Koch-Pfeifer (Gemünd), auf dem Bürgermeisteramt und setzten den Bürgermeistereisekretär Hoppmann als Bürgermeister ein. Die Beamten und Angestellten weigerten sich, ihre Arbeit auf dem Amt unter Hoppmann als Bürgermeister fortzusetzen. Vormittags gegen 11 Uhr wurden die Beamten und Angestellten von dem 25 Mann starken Selbstschutz aus ihren Wohnungen geholt und auf das Amt gebracht. Doch sie weigerten sich erneut und wurden entlassen. Das Amt musste dann für eine Woche geschlossen werden, bis Hoppmann Personal gefunden hatte, das bereit war, mit ihm zu arbeiten.

Die Ausrufung der »Rheinischen Republik« geschah in Gerolstein am 23. Oktober 1923 durch den Rechtsanwalt Lambert Finten aus Schönecken. Als bekannt wurde, dass Finten gegenüber dem Rathaus die Republik ausrufen wollte, schichteten mehrere junge Männer oben auf der Burg, oberhalb des Rathauses, einen gewaltigen Steinberg auf, den sie während der Ausrufung als Steinlawine hinabstürzen wollten. Das Aufgebot an französischem Militär ließen sie jedoch von diesem Vorhaben absehen. Bald regte sich überall im Lande der Widerstand der Bevölkerung. Am 13. November 1923 wurden die Sepratisten aus Adenau vertrieben. Am 22. Oktober 1923 kam es zu dem Bauernzug nach Wittlich, wobei Philipp Klas von dem Separatisten Monnens, einem gebürtigen Holländer, erschossen wurde. Auch in Gerolstein zogen am 31. November 1923 500 bis 600 Bürger aller Berufsklassen aus der Stadt und den umliegenden Orten zur Bürgermeisterei, um den separatistischen Bürgermeister zu vertreiben. Anscheinend hatte man auf dem Amt von diesem Vorhaben erfahren, denn kaum waren die Männer vor dem Bürgermeisteramt angelangt, als auch schon französisches Militär eintraf, das mehrere Männer festnahm und ihnen ihre Pässe entzog. Der Kreisdelegierte von Daun, bei dem sie die Pässe wieder abholen mussten, erklärte ihnen, dass sie mit mindestens fünf Jahre Zwangsarbeit zu rechnen hätten. Hierauf flüchteten die Hauptbeteiligten in das unbesetzte Gebiet.

Die Angehörigen der »Rheinarmee« hielten sich ständig in der Bürgermeisterei auf. Später quartierte man sie im »Hotel Zur Post« ein. Ihre Verpflegung erfolgte auf Kosten der Gemeinde.

Am 16. Dezember 1923 wurde Bürgermeister Hoppmann durch den Bürgermeisterbeirat abgesetzt und Bürgermeister Sollhe übernahm wieder die Amtsgeschäfte. Bezirkskommissar Schons richtete nun im »Hotel Zur Post« ein »Kasino für Regiearbeiter« ein. An den Bürgermeister Sollhe richtete er folgenden Brief: »Teile Ihnen hierdurch mit, dass künftig sämtliche an mich gerichteten Schreiben mir durch meine vorgesetzte Behörde, die Hohe Interalliierte Rheinlandkommission in Daun, zuzustellen sind. Alles andere ist für mich null und nichtig!«

Aber die Tage der »Rheinischen Republik« waren gezählt. Die überraschende Bewegung der Landbevölkerung brach dem Separatismus in der Eifel, an der Mosel und im Hunsrück das Rückgrad. Nach und nach verschwanden die grün-weiß-roten Fahnen von den Rathäusern. Die Hauptbeteiligten gingen so heimlich, wie sie gekommen waren. Bürger, die unter dem Druck der damaligen Verhältnisse mitgemacht hatten, wurden später rehabilitiert. Bei einer Revision der Gemeindekasse und des Bürgermeisteramtes in Gerolstein am 17. Dezember 1923 durch Reg. Assessor Münch wurde festgestellt, dass alle Anweisungen seit dem Separatistenputsch von Hoppmann unterzeichnet und von der Gemeindekasse ausgeführt worden waren. Für sich selbst hatte Hoppmann bereits einen Betrag von rund 620 Billionen Reichsmark als Gehalt abgehoben. Während der Vernehmung erwiderte Hoppmann auf die Frage, von wem er zum Bürgermeister ernannt worden sei: »Von der rheinischen Republik!« Wer Vertreter dieser Republik sei, konnte er nicht beantworten. Auch eine schriftliche Bestätigung seiner Ernennung war er nicht in der Lage, vorzulegen. Dem Hinweis, dass er nicht gesetzlicher Vertreter der Bürgermeisterei Gerolstein sei, beantwortete er, dass er sowohl vom Landrat Kirch als auch vom Kreisdelegierten als Bürgermeister begrüßt worden sei.

Quellen:

1. Chronik des 20. Jahrhundert -Westermann Hermes

2. Sonderausgabe der »Trierischen Landeszeitung« vom I.Juli 1930

3. Dr. Klaus Reimer: Die Separatistenherrschaft, Heimatjahrbuch Kreis Daun, Seite 199 ff.

4. Niederschrift über Revision der Gemeindekasse des Bürgermeisteramtes Gerolstein, Landeshauptarchiv Koblenz LHAKO 422/14241.

5. Erwin Schöning: Passiver Widerstand und Separatismus, Gerolstein, Schriftenreihe Ortschroniken des Trierer Landes, Band 19, Herausgeber: Stadt Gerolstein 1986.