Die Idee eines Geroisteiners - das Heimatspiel »Der Speerwurf«

Wilma Herzog, Gerolstein

Hoch oben, auf dem Gelände der Löwenburg, überblickt auch heute noch sein Haus seine Heimatstadt Gerolstein, dort wurde Peter Horsch 1903 geboren. Seine allerersten Schritte berührten bereits geschichtsträchtiges Gelände, das ihn Zeit seines Lebens nie mehr loslassen sollte. Wie viele Fragen mag er als wissbegieriger kleiner Junge seinen Eltern darüber gestellt haben. Mit viel Phantasie wird er mit seinen Spielgefährten Szenen aus den alten Gerolsteiner Sagen nachgespielt haben, direkt an ihrem Entstehungsort, auf seinem eigenen idealen Spielplatz, der Löwenburg. Später rückten Lehre, Beruf und Familie in den Vordergrund. Dann kam der Krieg, der schwere

Opfer forderte und alles veränderte. Peter Horsch beschreibt seine Einwirkungen: »Der furchtbare Weltkrieg nahm im Jahre 1945 sein schicksalvolles Ende. Not, Elend und Leid waren der Nachlass des unheilvollen Ringens. Mit lausenden von Bomben und durch Artilleriebeschuss wurde unser Heimatstädtchen Gerolstein vernichtet und in ein Trümmerfeld verwandelt. Die Bevölkerung war zum allergrößten Teil nach der rechten Rheinseite evakuiert und die Männerwelt stand mit wenigen Ausnahmen in Wehrmachtsdiensten. Ein kleiner Teil, etwa 20 % der Vorkriegseinwohner, der mangels der erforderlichen Transportmittel nicht mehr zwangsevakuiert werden konnte, hauste mit dem Restbestand Vieh in den Höhlen der Dolomiten oder in Erdlöchern in den Wäldern der Umgebung.

Als nun die Bevölkerung nach dem Durchzug der Amerikaner im März 1945 nach und nach wieder zurückkam, stand sie vor dem Nichts. Der Ort war bis zu 80 °/o zerstört, ausgebrannt und von Soldaten sowie von versprengten Kriegsgefangenen ausgeplündert. Kein Licht, kein Wasser, kein Wohnraum war vorhanden. Die Straßen waren zum Teil meterhoch mit Schutt versperrt. Nicht nur alle Brücken, sondern auch das Schienennetz der Eisenbahn waren durch Sprengungen vernichtet worden. Hoffnungslos standen die wenigen Menschen - es waren etwa 500 - vor einem Chaos, aus dem sie nach einiger Zeit gänzlichen Stillstandes den Beginn zu einem neuen Aufbau starteten. Damit war der Grundstein zu neuer Entfaltung in dem am meisten zerstörten Ort des Kreisgebietes gelegt. Mit der Initiative jedes Einzelnen und in der Gemeinschaftsarbeit wurde mit Mut und Fleiß manches unmöglich Erscheinende möglich gemacht...« Peter Horsch selbst gehörte zu diesen von ihm beschriebenen Menschen, die mit Mut an die Aufbauarbeit gingen. Bereits im Februar 1946 setzte er sich für die Wiederbelebung der erloschenen Bienenzucht ein, ein überaus wichtiger Faktor in den dem Krieg folgenden Hungerjahren. Versammlungen waren damals verboten. Eine spezielle Erlaubnis hierzu musste von der Militärregierung beantragt werden. So schreckte die dafür von ihr verordnete polizeiliche Überwachung die Imker nicht ab, sich endlich im darauffolgenden Sommer erstmals in Gerolstein zu versammeln. Diese Schilderung dient dazu, den

 

heutigen Lesern die damals überaus schwierige Lage der Menschen darzustellen. Dass es aber mit dem äußeren Aufbau allein nicht getan sein konnte, dass ein innerer Halt, eine Orientierungshilfe, besonders den jungen Menschen gegeben werden musste, das wusste Peter Horsch nur allzu genau. Dies waren seine Überlegungen, etwa drei Jahre vor der Wiederverleihung der Stadtrechte Gerolsteins, als ihn eine ganz bestimmte Idee beschäftigte, während er über das Burggelände ging. In Erinnerung an seine Mitwirkung bei den Felsenspielen der 20er Jahre und vertraut mit den Gerolsteiner Sagen und der Geschichte der Burg, suchte er hier, an ihrem Entstehungsort, einen geeigneten Aufführungsplatz. Eine dieser Sagen wünschte er in ein Freilichttheaterstück umzusetzen. In dessen Handlung, die in allerfernster Zeit, in der heimatlichen Sagenwelt stattfindet, sollten, nach all den Erschütterungen und Verwerfungen die heutigen Kriegskinder und die entwurzelte Jugend eine Art Orientierungshilfe finden. Er fand den richtigen Platz. Als er sich klar geworden war, dass es die Sage vom Speerwurf sein müsste, zog er seine Freunde Claus Prinz und Dr. Hans Peters ins Vertrauen. Sie waren davon hellauf begeistert. Nachdem Claus Prinz das nächste Mal zur Besprechung auf der Burg bereits einige Skizzen über Spielszenen vorlegte, gab es bei den Dreien keinen Zweifel mehr. Es müsste zu schaffen sein. Ein Schriftsteller wurde gesucht, der die Idee in ein Drehbuch umsetzen konnte. Er wurde gefunden. Es war Klaus Mark aus Brockscheid. Durch einen glücklichen Zufall kam mir jetzt der Brief in die Hand, mit dem Klaus Mark das fertige Theatermanuskript übermittelte. Es erübrigt sich, diesen Brief zu deuten. Jedem, der ihn liest, eröffnen sich die Beweggründe wie die Ideale und das Wesen des Mannes, dem die Idee, eine Gerolsteiner Sage in ein Theaterspiel zu verwandeln, vollends gelungen ist. Brockscheid, den 10. Juni 1952

Lieber Peter!

Hiermit überreiche ich Dir nun Euer Spiel »Der Speerwurf«. Ein großer Abschnitt intensiven Schaffens habe ich damit abgeschlossen. Ich hoffe und glaube, dass Dir und Deinen beiden Freunden Dr. Hans Peters und Claus Prinz, das Spiel gefällt. Zurückblickend auf die lange Zeit des Werdens habe ich die Pflicht, besonders Dir zu danken für die vielen Fingerzeige, die Du mir gegeben hast. Es war ja gerade Dein Bestreben, dass es ein Heimatspiel im wahrsten Sinne des Wortes werden sollte, ein Spiel, dass in der heutigen Zeit als Herold des wirklich Schönen die Herzen begeistert und die Gemüter im besten Sinne bewegt.

Ein Heimatspiel muss der Heimat dienen, es muss volksbildend und erzieherisch wirken. Dann erfüllt es seine Mission. Was bringt uns all' der moderne Stoff der zweifelhaften Filme? Unruhe, Unzufriedenheit in unserer Jugend und damit Unglück! Dem entgegenzusteuern, sollte uns allen Verpflichtung sein. Das Wahre, wirklich Gute liegt im unerschöpflichen Born der Heimat begründet. Ich habe es an Anstrengung nicht fehlen lassen, immer wieder die von Dir herausgestellten Gesichtspunkte im Spiel wiederzugeben: Heimatliebe, Volkskunde und ernste tatkräftige Gottgläubigkeit! Wenn ich Dir nun dieses Gerolsteiner Heimatspiel zu treuen Händen übergebe, so bitte ich Dich, ihm auf seinen ersten Gehversuchen eine treue Stütze zu sein. Es wird ja wohl an Dir und Hans Peters liegen, dem Spiel in Gerolstein Freunde zu suchen. Sucht Freunde dafür - und Ihr werdet es nicht bereuen; begeistert Eure Gerolsteiner Jugend für das Heimatliche, sie wird Euch bei der Vollendung des Ganzen dankbar sein. Für heute nun herzliche Grüße Dir, Deiner Familie und allen Freunden. Dein Klaus Mark Heute unvorstellbarer Mangel, selbst an einfachsten Dingen, stellte den Initiator des Heimatspiels, Peter Horsch, vor schier unüberwindbare Schwierigkeiten. Er ließ nicht locker, überwand sie mit Zähigkeit und Ausdauer. Wo selbst das nicht weiterhalf, kam ihm sein Erfindungsgeist zugute. Beflügelt von seiner Heimatliebe überzeugte er selbst vorherige Skeptiker zum begeisterten Mitmachen. Jede jetzt erfolgreich abgeschlossene Etappe gab neue Kraft und zog andere mit, gemeinsam das Ziel zu erreichen. Bereits im darauffolgenden Sommer konnte »Der Speerwurf« auf der Freilichtbühne der Löwenburg aufgeführt werden. Im Trierischen Volksfreund las man am 2. Juli 1953: »... Klaus Mark hat es wirklich vorbildlich verstanden, ein Bühnenstück für die Aufführung am Ort des Geschehens zu gestalten, das in volkstümlicher Weise eine Rittersage zu einem erhebenden Thema werden lässt. Kein anderer Platz dürfte dem Spielgeschehen auch nur annähernd den rechten und natürlichen Rahmen geben, wie die alten Burgruinen von Gerhardstein, in dessen Mauern der Maler und Bildhauer Heinz Hamm für die Freilichtbühne eine äußerst glückliche Lösung fand. So wirkt denn auch das ganze Spiel weniger wie eine dargebotene Vorstellung, sondern es ist vielmehr ein ergreifendes, wirklichkeitsnahes Erlebnis. Die Zeit der Ritter und ihrer Mitmenschen ersteht mit allen Sitten und Gebräuchen, mit Sorgen und Freuden vor den begeisterten Zuschauern neu auf. Die Darsteller spielen uns nichts vor, sie lassen uns durch ihre natürliche Unbefangenheit ein Stück Mittelalter miterleben. Auch damals - wie in allen Zeiten - hatten die Menschen den Kampf zwischen Gut und Böse zu bestehen. Die feine und ansprechende Art, wie der Dichter dem Guten zum Siege verhilft, wie Gott letztlich doch über die Mächte der Finsternis siegt und wie er sich dabei aufrechter und tiefgläubiger Menschen bedient, gibt der Handlung auch die Weihe einer religiösen Erbauung. Auch die von der Kunstgewerblerin Hanna Reichertz entworfenen geschmackvollen Kostüme tragen zum Wert des Erlebens wesentlich bei. Und dann wäre vor allem der Spielleiter Johann Metzen besonders ehrend zu erwähnen, dem besonderer Dank dafür gebührt, dass er mit 60 Laienspielern eine in sich geschlossene Leistung bietet, die den unverbildeten Eifelmenschen mehr anspricht, als manches Bühnenstück mit Berufskräften es vermag. Schon die Auswahl der Spieler verrät eine erfahrene Hand. Jeder lebt ganz in seiner Rolle. Hans Mertes stellt den Grafen Ulrich von Gerhardstein in der tragischen Verflechtung seines Lebens zwischen Schuld und Sühne - im Kampf zwischen Liebe, Teufel und Gott - in wirklich menschlicher Größe dar. Und seine Gemahlin, die Gräfin Katharina von Gerhardstein wird durch Margarete Pauls mit fraulicher Anmut und mütterlicher Opferbereitschaft verkörpert. Dann stellt sich der Teufel in der Person des »schwarzen Ritters« zwischen das werdende Glück dieser beiden Menschen. Hier fand Heini Schöwer eine Rolle, die ihm wirklich »auf den Leib geschrieben« war. Diese teuflische Figur, dieser Widersacher des Herrgotts gibt Heini Schöwer alle Möglichkeiten zur Entfaltung seiner schauspielerischen Talente. Besonders gut gefiel die Szene, als er allein auf der Bühne mit Gott rechtete und ihn doch als den Stärkeren ansehen musste. Auch waren Horst Goldmann als Graf Richwin von Pyrmont und Johann Metzen als Graf Eberhard von Blankenheim hervorragend. Auch muss Anton Bonefas lobend erwähnt werden, der als getreuer Burgvogt ganz in seiner markanten Rolle aufging. Und Eise Zöpfchen als Magd mit dem Reitknecht Hermann (Klaus Mohr) brachten als natürlich verliebtes Pärchen frohes Lachen in die Handlung. Auch Elmar Metzen sprach als Winfried recht gut an und ist reif für tragende Rollen. Zusammenfassend muss man allen Mitwirkenden ausnahmslos bestätigen, dass sie eine ehrlich überraschende

Leistung und ein tief-inneres Erlebnis boten. Es gab wohl niemand, der vom Spiel nicht begeistert war. Reicher Beifall - auch zwischen den einzelnen Szenen - war der beste Beweis hierfür. Als zum Schluss alle Mitwirkenden nochmals auf der Bühne erschienen und Rektor Zimmermann dem Dichter, dem Bühnenbildner, dem Spielleiter und der Kostümgestalterin den Dank durch kleine Geschenke zum Ausdruck brachte, brauste der Applaus immer wieder auf. Sein weiterer Dank galt all denen, die zum Werden des Burgspiels beigetragen haben. Dechant Molter schälte den religiösen Wert des Schauspiels noch einmal heraus und sprach ebenfalls ein Wort des begeisterten ergriffenen Lobes...« Im Sommer 2000 werden die Gerolsteiner Burgschauspieler auf Burg Gerhardstein dieses historische Schauspiel »Der Speerwurf« unter Regie von Karl-Heinz Schwarz darbieten. Als ganz besonderer Theatergenuss werden wir einige der damaligen Darsteller in ihren Originalrollen wiedersehen.