Was nun, Schwarze?

Marianne Schönberg, Jünkerath

Also irgend etwas stimmt hier nicht. Da war doch eben noch ein weiches Nest, nun dieser Aufprall nach meinem ersten Flugversuch und ich bin so mutig gestartet... jetzt sitz ich auf etwa Hartem, um mich Geräusche, die ich nicht kenne, die mir Angst machen. Am Besten schließe ich die Augen, stecke den Kopf zwischen die Flügel und verhalte mich ganz ruhig - ich bin einfach tot.

So etwa dachte wohl die kleine Dohle. Auf den Parkplatz neben der Kirche war sie gefallen, gerade in die Einfahrt und sie rührte sich keinen Millimeter vom Fleck, wenn ein Auto kam. Vorsichtig umfuhr eine junge Frau mit Kindern auf dem Rücksitz des Wagens das Knäuel, dann schauten sich die Kleinen die Schwarze genau an. Was ist das? Ein junger Vogel.

Warum fliegt er nicht, ist er krank? Guck mal, er hat die Augen zu. Vielleicht kann er noch gar nicht fliegen? Hat er sich einen Flügel gebrochen? Kinder sind spontan und immer bereit, wenn es gilt, einem Trier zu helfen - aber dies hier, was machen wir mit dem Nestflüchter? Zuerst muss er aus der gefährlichen Region, aus der Einfahrt. Wer fasst ihn an? Es ist schon ein ziemlich großer Vogel, meinen die Kinder und - so die Mutter - es geht die Rede, dass Tiere, die aus Nestern fallen, Ungeziefer haben. Also wird der Noteinsatz den kleinen Helfern untersagt. Aber einer muss nun ran an das Federbündel, nicht zu fest, nicht zu zaghaft. Es spielt weiter TOTER MANN, ich starte einen Versuch, das Tierchen lässt sich ohne Gegenwehr wegtragen. Am grünen Randstreifen dann ein hilfloses Geflatter, die Schwarze bleibt sitzen. Über uns kreischen die Alten - sie werden sich kümmern, wenn wir außer Sichtweite sind. Eigentlich mag ich Dohlen nicht. Es gibt so viele in den alten Kirchtürmen, laut sind sie, ihr Geschrei erfreut kaum jemanden, Dreck machen sie und so stellt sich im Hinterkopf die Frage - muss man ihre Brut päppeln? Die Gegenfrage - wer kann so ein kleines, hilfloses Tierchen einfach überfahren? Diesem fadfarbenen Knäuel auf dem Parkplatz den Garaus zu machen, nichts leichter als das. Doch Not löst Zuwendung aus, noch immer. Das ist gut so, denn diese Reaktion hat etwas mit der Achtung vor dem Leben zu tun, auch wenn es nur ein ganz kleines, ein für uns recht unwichtiges ist.