Gedanken

zur christlichen Zeitrechnung

Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Wache in der Nacht (Psalm 90,4)

Prof. Dr. Wilhelm Seggewiß, Daun

I. Die christliche Zeitrechnung

Wir alle werden bald den Beginn des neuen Jahrtausends feiern, bescheiden oder aufwendig, nachdenklich oder ausgelassen. Aber, was feiern wir denn eigentlich und im letzten Grunde? Es gibt einen Zweig der altehrwürdigen Astronomie, nämlich die Chronologie, die sich mit der Zeit, ihrer Einteilung und der Einrichtung von Kalendern befasst. Nach dieser Wissenschaft Chronologie feiern wir den Beginn des 3. Jahrtausend der Inkarnationsära, genauer: den Beginn des 3. Jahrtausends »ab in-carnatione Domini Nostri Jesu Christi« - nach der Fleischwerdung unseres Herrn Jesus Christus. Das Christentum bekennt damit, dass der Sohn Gottes, geboren aus dem Vater vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Lichte, eines Wesens mit dem Vater (so beten die Kirchen im Glaubensbekenntnis) vom Vater in die Welt gesandt wird; er nimmt menschliches Fleisch an (tritt »in carne«, Inkarnation), um die Menschen von ihrer Schuld zu erlösen.

Wenn wir nun das große Jahrtausendfest feiern, legen wir Zeugnis ab - ob wir es wollen oder nicht - für die Inkarnation des Gottessohnes. »Ihr sollt meine Zeugen sein«, so fordert ja Jesus im Johannesevangelium (Joh. 15,17), jener Jesus, den wir als den Gottessohn begreifen, oder kaum noch begreifen oder auch nicht mehr begreifen. Selbst in der Eifel ist die Zeit längst vorbei, in der die Bevölkerung ohne Vorbehalte Jesus als den Gottessohn verehrt, und es ist klar, dass man heute in unseren Landen niemanden mehr in Verwunderung oder Begeisterung versetzen kann, wenn man ihm vorhält, dass er bereits die Inkarnation Gottes bezeugt, wann immer er eine Jahreszahl ausspricht oder niederschreibt, da doch diese Jahreszahl die nach der Geburt des Gottessohnes vergangene Zeit angibt.

Auch ist die Inkarnationsära auf unserer kleinen Erde keineswegs unumstritten, denn es gibt religiöse Bereiche, in denen die christliche Zeitrechnung durchaus als ein Ärgernis empfunden wird. Da gibt es etwa das orthodoxe Judentum, das immer noch die Welterschaffungsära bewahrt, also die Jahre »nach Erschaffung der Welt« zählt. Aufgrund von Geschlechterlisten im Alten Testament (z. B. Genesis 5 und 11, die bis hin zu Terach, dem Vater Abrahams, reichen) und der jüdischen Chronologie seit Abraham wird die Erschaffung der Welt auf das Jahr 3761 v.u.Z. (vor unserer Zeitrechnung) gelegt, so dass wir zur Jahreswende 1999/2000 n.Chr. im Jahre 5760 seit Erschaffung der Welt leben. Auch der strenggläubige Moslem weist die christliche Ära zurück und rechnet weiterhin die Jahre nach der Hidjra (Hedschra), der Flucht Mohammeds im Jahre 622 u.Z. von Mekka nach Medina.1 Außerdem ist das islamische Jahr ein Mondjahr mit 12 »echten« Monaten, also Zeiten von Neumond bis Neumond - ein Jahr, das ca. 11 Tage kürzer als das Sonnenjahr ist, so dass wir zur Zeit bereits im 1420. Jahr nach der Hidjra leben. Man kann viele Gründe aufführen, weshalb sich gerade die Inkarnationsära in der »Welt« durchgesetzt hat. Auf der Grundlage der Worte und Taten jenes Friedensfürsten Jesus von Nazareth ist eine außerordentlich dynamische Religion entstanden, das Christentum. Viele geistige Strömungen haben zum »Temperament« des Christentums beigetragen, wie etwa das Judentum mit dem Befehl Gottes: »Macht euch die Erde Untertan!« (Genesis 1,28). Die ionischen Naturphilosophen haben das Christentum gelehrt, dass man mit den Mitteln der Ratio, des nüchternen Verstandes, an die Eroberung der Natur, der Erde herangehen muss. Die klassische griechische Philosophie, allen voran Platon und Aristoteles, lehrte das Christentum, wie Gedanken sinnvoll aufzubauen sind. Von den Römern lernten die Christen, wie man nur durch klare Ordnung sich selbst, seine Mitmenschen, seine Umwelt, die Welt beherrschen kann. Und die Germanen schließlich, sie steuerten ihr elitäres Herrscherprinzip bei.

Schon bald schickte sich die junge Religion an, die Welt zu christianisieren - hat doch Jesus Christus selbst offensichtlich befohlen: »Gehet hin in alle Welt und . . . lehret alle Völker zu befolgen, was ich euch geboten habe!« (Mt 28,19-20). Christianisierung bedeutete aber auch immer, weltliche Herrschaft auszuüben, fremde Völker und ihre Kulturen zu unterdrücken. Der Begriff »Kolonialisierung« umschreibt diese schlimme Fehlentwicklung. Aber: Mit dem Christentum wird auch die christliche Zeitrechnung vermittelt.

Hinzu kommt, dass nur der ursprünglich christliche Bereich der Erde, das Abendland, sich als fähig erwiesen hat, das Wissen von der Natur auch anzuwenden, d. h. in die Technik umzusetzen. Technik bedeutet sofort wieder auch Waffentechnik und damit ein stets wachsendes Instrumentarium zu weiterer Eroberung. Technik bedeutet auch Industrie, die für ihre Güter Märkte braucht, expandieren will. So hat das Abendland militärisch und industriell die Erde erobert und im Laufe dieses Prozesses seine Zeitrechnung, nämlich den christlichen Kalender mit der Inkarnationsära, dem Erdball übergestülpt - und das zum Trotz aller eigenen Entchristianisierung und Absetzbewegungen vom Christentum. Das einst christliche Abendland und seine Technik im Verein mit Industrialisierung und Weltmarkt haben den Kalender »globalisiert«.

II. Die Anfänge der christlichen Zeitrechnung

Wie ist die christliche Zeitrechnung entstanden? Wenn wir in die Heiligen Schriften des Christentums hineinschauen, in das Neue Testament, dann finden wir keine Hinweise auf das Entstehen einer eigenen Zeitrechnung. Im Gegenteil, Zeit und ihre Einteilung spielen keine Rolle, denn man glaubte fest, dass Jesus Christus, der gekreuzigte, aber auferstandene und in den Himmel aufgefahrene Gottessohn, schon bald in aller Macht und Herrlichkeit wiederkehren werde, um sein Reich voll Friede, unsagbarer Freude, unübertrefflichen Glücks hier auf unserer leidgeprüften Erde zu errichten. Jesus selbst weist immer wieder auf seine bevorstehende Wiederkunft hin: »Amen, ich sage euch: Von denen, die hier stehen, werden einige den Tod nicht erleiden, bis sie den Menschensohn in seiner königlichen Macht kommen sehen.« (Mt. 16,28 und andere Schriftstellen). In aller Deutlichkeit und Schärfe betont auch der Apostel Paulus immer wieder die kurz bevorstehende Ankunft des Herrn: »Die Zeit ist kurz bemessen« (l Kor 7,29) oder: »Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe.« (Rom 13,12). Der Glaube der jungen Christengemeinde an die nahe Endzeit ist offensichtlich so fest, dass die Mitglieder gern alle Habe verkaufen und unter sich aufteilen, da ja eine Vorsorge für spätere Zeiten unnötig ist. Der Glaube an die nahe Wende ist so sehr verwurzelt, dass Paulus selbst die Ehe in Frage stellt, für unwichtig hält. Armut und Ehelosigkeit werden wegen der Naherwartung des Heiles verständlich. Aber »der Herr zögerte« mit dem Anbruch der neuen Erde, und das junge Christentum musste sich in der verhassten Welt einrichten. Die Gemeinden lebten in großer Bedrängnis durch das sogenannte »Heidentum«, durch die Römer und ihre Staatsreligion, die den Caesar, den Kaiser, als Gott verehrte. Viele Christen verloren ihr Leben als Märtyrer, da sie ihrem Gott und seinem Sohn Jesus Christus die Treue bewahrten. In den Berichten über die Martyrien zu Ende des 2. Jahrhunderts (Jh.), den »Märtyrerakten«, finden wir dann die ersten Hinweise, dass die Christen den Fluss der Zeit einzuteilen begannen. Neben der Nennung der römischen Kalenderdaten heißt es immer wieder als Zusatz: »... nach unserer Zeitrechnung aber unter der Herrschaft Jesu Christi!« Jesus Christus wird als der Herr der Zeit begriffen. Endlich, nach dem Sieg Konstantins an der Milvischen Brücke im Jahre 312 u. Z. wird das Christentum befreit und bald Staatsreligion. Es übernimmt den römischen Kalender. Das bedeutet dreierlei: Zunächst die Übernahme des Julianischen Jahres. Es war bei der Kalenderreform unter Julius Caesar 45 v. Chr. auf 365 Tage plus alle vier Jahre l Schalttag festgelegt worden. Jahresbeginn war der erste Tag des Monats Januar. Zum zweiten wird die Einteilung des Jahres in die zwölf römischen Monate weitergeführt. Diese Monate haben, im Gegensatz zu den Kalendern der Juden und Moslems, keinen Bezug mehr zum Mondwechsel; ihre Länge betrug, wie auch heute noch, 28 bis 31 Tage. Die praktischen Römer hatten die Monate ursprünglich durchgängig nummeriert, aber noch unter den ersten Caesaren waren der siebte und achte Monat in Julius und Augustus umbenannt worden. Zum dritten wird die Woche zu sieben Tagen2 die nächste kleinere Zeiteinheit auch im christlichen Kalender. Diese Wocheneinteilung findet sich auch in anderen Kulturen des Altertums, zum Beispiel beim Judentum. Die Christen ersetzen aber den jüdischen Feiertag Sabbath, den Ruhetag Gottes nach dem Schöpfungswerk, durch den Feiertag Sonntag, den Tag der Auferstehung des Gottessohnes Jesus Christus.

IM. Das Osterfest und die Inkarnationsära

Das junge Christentum war sicherlich gegenüber den Wissenschaften seiner Zeit, wie der Mathematik, der Medizin, der Astronomie, keineswegs aufgeschlossen. Wozu auch in einer Endzeit! Aber, dann traf das Christentum eine Entscheidung, die es zwang, sich mit der Astronomie auseinander zu setzen: Auf dem Konzil von Nicäa (Nikaia) im Jahre 325 u.Z. wurde Ostern, das Fest der Auferstehung des Herrn, auf den ersten Sonntag nach Frühlingsvollmond festgelegt.3 Es war und ist keineswegs einfach, aus astronomischen Beobachtungen das Datum des bevorstehenden Osterfestes abzuleiten. Außerdem möchte man die Feier des Hauptfestes der Christenheit längere Zeit im voraus planen. Es blieb für die Christenheit daher nur die Möglichkeit, tief in das astronomische Geheimnis der recht komplizierten scheinbaren Bahn der Sonne um die Erde einzusteigen, auch die Bahn des Mondes um die Erde zu studieren, dann das Osterfest vorherzuberechnen und Ostertafeln, also Listen der kommenden Osterdaten, aufzustellen. Im Jahre 525, als die Kirche wieder einmal an das Ende ihrer Ostertafeln angelangt war, erhielt der römische Abt Dionysius Exiguus (etwa 470-550), ein Skythe von Geburt, von Papst Johannes 1. den Auftrag, die Ostertafeln ab dem Jahre 532 neu zu berechnen - eigentlich müsste es heißen, ab dem Jahre 248 der Diokletianischen Ära neu zu berechnen. Denn Kaiser Diokletian hatte dem römischen Reich eine neue Jahreszählung aufgezwungen, nämlich die Zählung der Jahre seit seinem Regierungsantritt im Jahre 284 u. Z. Diese Zählung wurde zu Beginn des 6. Jh. immer noch gebraucht. Diokletian aber war ein großer Christenhasser gewesen, und der fromme Dionysius argumentiert: »Wir wollen unseren Osterzyklus nicht mit der Erinnerung an diesen Gottlosen und Christenverfolger verbinden, sondern haben es vorgezogen, zu Beginn die Zeit nach Jahren seit der Geburt unseres Herrn Jesus Christus zu notieren« (Libellus des Dionysius Exiguus). Hier taucht die Idee der Jahreszählung »seit der Geburt unseres Herrn Jesus Christus« zum erstenmal auf. Es galt daher für Dionysius, den genauen Zeitpunkt der Geburt Jesu zu bestimmen. Er kam zu dem Ergebnis, dass Jesus zur Jahreswende von 753 auf 754 ab urbe condita (a.u.c., d. h. nach der Gründung Roms) geboren sein müsse. Er nannte daher das Jahr 754 a.u.c. das »Jahr eins nach Christi Geburt« - und später wurde das Jahr 753 a.u.c. das »Jahr eins vor Christi Geburt« genannt. Ein Jahr der »Christi Geburt« gibt es also nicht! Das Fehlen dieses Geburtsjahres hängt natürlich auch damit zusammen, dass es im römischen Zahlensystem keine »Null« gab. Nach unseren heutigen Erkenntnissen kann die Jahreswende 753/754 a.u.c. aber nicht der Geburtstermin Jesu gewesen sein. Jesus Christus dürfte etwa zwischen den Jahren sieben und fünf v.u. Z. (»vor Christi Geburt«!) geboren sein. Dionysius Exiguus hat sich aber nicht eigentlich verrechnet. Für ihn vollzog sich Geschichte in Zyklen, in einer ewigen Wiederkehr von Kreisläufen, die der Schöpfergott selbst vorgegeben hatte und an die sich auch Gott hielt, denn er ist treu gegenüber seiner Schöpfung. Durch Kombination zweier astronomischer Zyklen, deren genaue Diskussion hier unterbleiben muss, war er zu jenem Ergebnis gelangt, das bis heute die Grundlage unserer Jahreszählung ist.

Mit den Ostertafeln des Dionysius zu Beginn des 6. Jh. war aber noch keineswegs die Inkarnationsära Allgemeingut geworden. Vor allem zählte die Geschichtsschreibung die Jahre »vor Christi Geburt« noch lange nach anderen Ären, meist nach der aus dem Alten Testament abgeleiteten Welt-Erschaffungsära. Erst im Hochmittelalter, gegen Ende des 13. Jh., wurde die »retrospektive Inkarnationsära«, d. h. das Zählen »vor Christi Geburt«, zunächst noch sehr zögerlich, dann mehr und mehr in die Geschichtsschreibung eingeführt. Populär wurde sie jedoch erst mit dem Buchdruck, also zu Ende des 15. Jh. In der Neuzeit wurde nochmals eine Änderung des von Julius Caesar übernommenen Julianischen Kalenders vorgenommen. Das Jahr dieses Kalenders erwies sich nämlich als zu lang, denn es beträgt 365,25 Tage (365 Tage plus ein Schalttag pro vier Jahre, also 1/4 Tag pro Jahr). Das Sonnenjahr, der volle Umlauf der Erde um die Sonne, beträgt dagegen nur 365,2422 Tage, so dass das Julianische Jahr in 129 Jahren dem Sonnenjahr um einen Tag vorauseilt. Kirchliche und weltliche Autoritäten waren aber zurecht stets bestrebt, mit dem Kalenderjahr das Sonnenjahr möglichst genau zu repräsentieren, bestimmt doch dieses Sonnenjahr den Rhythmus der Jahreszeiten mit dem Wechsel von Aussaat, Wachstum, Ernte und Winterruhe. Unter Papst Gregor XIII. wurde dann im Jahre 1582 der verbesserte Kalender eingeführt. Dieser Gregorianische Kalender weist ebenfalls den Wechsel von drei Gemeinjahren mit 365 Tagen und einem Schaltjahr von 366 Tagen auf, jedoch fällt in allen Jahrhunderten, die nicht durch 400 teilbar sind, also 1700, 1800, 1900 etc., der Schalttag aus. Das Jahr 1600 war jedoch ein Schaltjahr, und das Jahr 2000 wird wieder ein Schaltjahr sein. Um die überzähligen 10 Tage, die sich im Julianischen Kalender seit Julius Caesars Zeiten angesammelt hatten, abzubauen, ließ man auf den 4. Oktober des Jahres 1582 gleich den 15. Oktober 1582 folgen.

IV. Der Beginn des 3. Jahrtausends

Kommen wir wieder zurück auf den Beginn des 3. Jahrtausends. Es ist klar geworden, dass es das Jahr Null in der christlichen Zeitrechnung nicht gibt. Man kann an den 10 Fingern abzählen, dass das 1. Jahrzehnt unserer Ära am 31. Dez. des Jahres 10 zu Ende ging, das 2. Jahrzehnt folglich am 1. Januar des Jahres 11 begann. Entsprechend begann das 2. Jahrhundert am 1. Januar des Jahres 101. Und weiterhin: das 2. Jahrtausend begann am l. Januar des Jahres 1001. Folglich beginnt das 3. Jahrtausend am 1. Januar des Jahres 2001.

Wer am l. Januar des Jahres 2000 den Beginn des neuen Jahrtausends, des neuen Millenniums (von lat. mitte = Tausend und annus = Jahr) feiert, feiert ein volles Jahr zu früh. Natürlich geht von der Zahl »2000«, jener runden Zahl mit den drei Nullen, eine große Faszination aus, so dass sich kaum jemand, der nun gern fröhlich sein möchte, durch rationale Argumente von einer Feier in der Nacht zum 1.1. 2000 abhalten lassen wird - und außerdem kann man ja zweimal feiern: 2000 und 2001. Aber am 1.

 

Sonnenuhr am Klosterportal in St. Thomas. Sie zeigt die wahre Ortszeit des oberen Kylltales.

Januar 2000 n.Chr. beginnt keinesfalls das 3. Jahrtausend! Damit scheint alles klar zu sein. Aber jetzt kommen die Details, in denen bekanntlich der Teufel steckt - historische und aktuelle Detailfragen.

Der Jahresbeginn

Wir beginnen jedes neue Jahr und auch das neue Jahrtausend am 1. Januar! Ist das so selbstverständlich? Keineswegs! - Wer am Leben der katholischen Kirche teilnimmt, der weiß, dass das neue Jahr, das Kirchenjahr, bereits am 1. Adventssonntag beginnt. Der glaubenstreue Katholik kann also den Beginn des 3. Jahrtausends bereits am 28. Nov. 1999 (aber eigentlich am 3. Dez. 2000) feiern. Wenn wir in die Geschichte der Zeitrechnung unseres Kulturraumes zurückgehen, dann sehen wir zunächst einmal, dass im römischen Reich vor Julius Caesar und seiner Kalenderreform das Jahr am 1. März begann. Denn nur so machen ja die Monatsnamen September, Oktober, November und Dezember, also der 7., 8., 9. und 10. Monat des Jahres, einen Sinn. Im Jahresbeginn »März« kam sicherlich der Beginn der Feldarbeit nach der Winterruhe zum Ausdruck. Caesar legte dann den 1. Januar an den Jahresanfang.

Im Mittelalter finden wir eine Reihe unterschiedlicher Jahresanfänge, so den Weihnachtsanfang am 25. Dezember, den die kaiserliche Kanzlei von den Karolingern angefangen bis in die 1. Hälfte des 16. Jh. beibehielt. In Frankreich begann bis zum Jahre 1564 das Jahr stets mit dem Osterfest, so dass man unterschiedliche Jahreslängen hatte. In Byzanz/Konstantinopel, solange es denn christlich war, begann man das Jahr am l. September.

Eine ganz besondere Rolle spielte unsere Region, denn das Bistum Trier (mit seinem Suffraganbistum Metz) begann das Jahr am 25. März. Man nannte es das Marienjahr: Neun Monate vor Weihnachten feiert die Kirche das Fest der Verkündigung der Geburt Jesu an Maria, klar, denn neun Monate währt ja eine Schwangerschaft. Der »mos Treverensis«, also der Trierer Stil, wurde bis zum Jahr des Westfälischen Friedens 1648 befolgt. Trier war nicht allein mit seinem »mos Treverensis«, denn auch in England begann man seit dem 12. Jh. das Jahr am 25. März, und das bis zum 1. Januar 1752, als man auch in England endlich den Gregorianischen Kalender einführte.

Wir stellen also fest, dass bis ins 18. Jh. hinein in unserem Kulturraum eine große Vielfalt beim Jahresbeginn bestand; die größte Aufsplitterung, zeitlich wie räumlich, finden wir natürlich in deutschen Landen. Für den Historiker gibt es hier eine echte Herausforderung, wenn er beispielsweise Angaben aus unterschiedlichen Chroniken miteinander vergleichen muss.

Der Tagesbeginn - zeitlich

Aus der Hl. Schrift des Alten Testamentes wissen wir, dass die Juden den neuen Tag am Abend begannen. Gleiches gilt für die Völker des Islam. Die Römer begannen den Tag offiziell, d. h. im sakralen und juristischen Bereich, um Mitternacht, und so halten wir es ja auch heute noch. Dennoch: Für das tägliche Leben zählte bei den Römern und dann auch im Mittelalter nur der »natürliche« Tag, der »lichte« Tag, also der helle, lichterfüllte Tag, der selbstverständlich mit dem Morgenlicht vor Sonnenaufgang begann. Dieser Tag wurde beendet - im Mittelalter, ja bis in unsere Zeit hinein - mit dem Angelusläuten nach Sonnenuntergang, aber noch bei Dämmerungshelle. Der lichte Tag wurde in 12 Stunden eingeteilt. Da aber die Tageshelle, jahreszeitlich bedingt, außerordentlich unterschiedlich lange währt, hatten auch die Stunden unterschiedliche Länge: Im Winter waren die Stunden beträchtlich kürzer als im Sommer. Erst mit dem Aufkommen der Räderuhren mit Schlagwerk im 14. Jh. setzten sich die Stunden konstanter Länge durch, und zwar dann 24 gleichlange Stunden für den »vollen« Tag.

Der Tagesbeginn -global-räumlich

Wir alle wissen durch unsere ausgedehnten Kontinental- und Weltreisen, dass die Sonne bei unserem Aufbruch nach Westen später aufgeht als in der Eifel; nach Osten gewandt, geht die Sonne früher auf. Oder: Wenn hier im Kreis Daun ein Tag (um Mitternacht) beginnt, dann hat er im Osten, etwa in Moskau, längst begonnen, im Westen wird er später beginnen, beispielsweise sechs Stunden später in den nordamerikanischen Neuenglandstaaten.

Die Ursache ist klar: die Erde rotiert um ihre Achse. Dadurch beschreibt die Sonne - von einem festen Ort der Erde aus gesehen - eine scheinbare Himmelsbahn mit Aufgang im Osten, Höchststand im Süden und Untergang im Westen. Die Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Höchstständen der Sonne im Süden bezeichnen wir als einen Tag, einen »Sonnentag«. Schon ein kleines Schrittchen nach Ost oder West, und wir verschieben die Zeit, da die Sonne ein wenig früher oder später auf- und untergeht und entsprechend früher oder später im Süden um 12 Uhr wahrer Sonnenzeit kulminiert. Zumindest haben aber alle Orte auf einem festen geographischen Längenkreis (auf einem gedachten Kreis vom Nordpol durch alle Klimazonen über den Äquator bis zum Südpol) zum gleichen Zeitpunkt Mittag und Mitternacht; wir sagen: Sie haben die gleiche »Ortszeit«! Gerolstein liegt westlich von Daun auf einem anderen Längenkreis und beginnt daher in seiner Ortszeit den Tag später, und zwar um etwa 40 Sekunden. Unsere alten Sonnenuhren zeigen stets die Ortszeit an (siehe Abb. l).4 Noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gab es in deutschen Landen ein unübersehbares Gewirr von Uhrzeiten. Immerhin bestimmten die Landesfürsten in den kleineren deutschen Gebieten die Ortszeit ihrer Hauptstadt als Richtschnur für die Zeit in ihrem Reich, eine Art »Landeszeit« also. Staatsgrenzen waren Zeitgrenzen - und das Deutsche Reich hatte 25 Staaten! Aber zum Beispiel Preußen, reichend von Memel bis Aachen, schien für eine einheitliche Zeit viel zu ausgedehnt. Spätestens aber in einer Epoche, als die landeseigenen Eisenbahnnetze überregional verknüpft wurden, galten die Zustände als völlig unhaltbar. Man bedenke einmal: Es gab Bahnhöfe mit drei Uhren unterschiedlicher Zeiten, z. B. in Ostwestfalen mit der eigenen Ortszeit, dann der Ortszeit von Berlin, dem Königssitz, und schließlich der Ortszeit von Münster, der Provinzhauptstadt. Verlässliche, klare, überregionale Fahrpläne aufzustellen, war schier unmöglich. Auch nach 1871, im klein-deutsch-bismarckschen Reich, konnte man sich nicht auf eine gemeinsame Zeit einigen. Der Anstoß kam vielmehr von außen: Im Oktober des Jahres 1884 trafen sich 41 Delegationen in Washington zur International Meridian Conference. Man legte zunächst den Nullmeridian, also den Ausgangskreis für die Zählung der geographischen Länge auf dem Erdball fest, nämlich als Kreis vom Nordpol durch das Hauptinstrument der Königlich-Britischen Sternwarte in Greenwich bei London zum Südpol. In einer weiteren Resolution regte die Konferenz die Einführung von Zonenzeiten an: Ein jeweils 15° breiter Abschnitt in geographischer Länge solle eine Zeitzone mit einer einheitlichen Zonenzeit bilden. Das ergibt dann 24 Zonenzeiten. Denn in 24 Stunden dreht sich die Erde, definitionsgemäß, einmal um ihre Achse, sie beschreibt einen Vollkreis von 360°. Folglich ergibt sich als Breite einer Zeitzone 360°/24 gleich 15° in Länge. Auf diese Weise wurde die Greenwich-Zeitzone eingerichtet mit der Greenwich-Zeit, auch Weltzeit, Universal Time (VT), genannt, oder auch die Mitteleuropäische Zeit, MEZ, um den 15. Längengrad Ost herum, der ziemlich genau durch Görlitz an der Neiße geht und in dem die Uhren um genau eine Stunde gegenüber der Weltzeit UT vorgehen.5 Im Deutschen Reich wurden am l. April 1894 alle Ortszeiten zugunsten der MEZ abgeschafft. Wir wollen ein kleines Gedankenexperiment machen: Es sei mittags 12 Uhr in Greenwich, also 12 Uhr UT. Wir wenden uns nach Osten. Dann ist es in Mitteleuropa 13 Uhr, in Japan bereits 21 Uhr abends und in einem Streifen von Ostsibirien durch den Pazifik bis nach Neuseeland entlang des 180. Längengrades schlägt die Glocke Mitternacht 24 Uhr, zugleich 0 Uhr - und der neue, nächste Tag beginnt bereits. Lassen wir nun unsere Gedanken von London 12 Uhr mittags nach Westen fliegen: Die Stadt New York beginnt zu erwachen, es ist sieben Uhr morgens, in San Francisco erst vier Uhr in der Nacht und in Hawaii schlägt die Glocke zwei. Noch weiter gegen Westen, wiederum entlang des 180. Längengrades, beginnt folglich um 0 Uhr erst unser heutiger Tag. Wie wir zuvor gesehen haben, beginnt hier aber zur gleichen Zeit schon der nächste Tag. Diese 24/0-Uhr-Zeitzone ist also zweigeteilt: Westlich wie östlich einer fiktiven Grenze, der Datumsgrenze, zeigt die Uhr die gleiche Zeit, aber der Westen ist um genau einen Tag im Datum voraus. Östlich der Datumsgrenze liegen zum Beispiel Westsamoa und die Cook-Inseln - alter Tag! - westlich der Grenze sehen wir Neuseeland, Tonga und die Marshall-Inseln -neuer Tag! Zeitlich zweigeteilt ist der Inselstaat Kiribati. In der Zeitzone westlich der Datumsgrenze beginnt überall gleichzeitig der neue Tag und damit auch das neue, das 3. Jahrtausend. Die Datumsgrenze springt im südlichen Abschnitt, nahe dem Wendekreis des Steinbocks, nach Osten vor. Dort liegt das Inselkönigreich Tonga mit König Taufa'ahau Tupou IV. Die Tonganer, vor allem der Frerndenverkehrsverband der Inselgruppe, behaupten nun: »Auf unseren Inseln beginnt das neue Jahrtausend zuerst« - Man hat für die Nacht der Nächte neue Hotelkomplexe hochgezogen, um den erwarteten Touristenansturm beherbergen zu können, die Häfen erwarten Dutzende von Kreuzfahrtschiffen. Aber die Behauptung »Wir sind die Ersten!« ist natürlich falsch, denn in einer Zeitzone gehen alle Uhren gleich, überall beginnt im selben Augenblick der neue Tag. Man könnte höchstens sagen, in Tonga gehe die Sonne etwas früher auf als auf den Fidschi-Inseln, aber die Uhren laufen synchron.

Und dann trat Kiribati in die Weltgeschichte ein! Das ist eine Inselrepublik mit Tausenden von Inselchen und Atollen, aber einer Gesamtfläche kaum größer als Hamburg (810 km2) und einer Einwohnerzahl kaum mehr als im KreisDaun(79000E.).

Dennoch, die Entfernung zwischen den Inseln im Nordwesten und denen im Südosten beträgt fast 5 000 km (oder Stockholm-Palermo und zurück!). Kiribati veränderte einseitig die Datumsgrenze - diese beruht ja nur auf einem freiwilligen Übereinkommen - und verlegte den gesamten Ostteil des Inselreiches auf die Westseite der Grenze, also bis hin zu den Weihnachtsinseln und zu Caroline, seiner östlichsten bewohnten Insel. Und sie behaupten nun: »Jetzt sind wir die Ersten!« Aber die Kiribatis unterliegen der glei-

Kirchturmuhr von St. Martin in Hillesheim. Der Küster sorgt dafür, dass die Uhr stets die Mitteleuropäische Zeit MEZ bzw. deren Sommerzeit zeigt.

chen Täuschung wie zuvor die Tonganer: Zwar geht über Caroline die Sonne 90 Minuten früher auf als über Tongas Vavau-Insel, aber die Uhren gehen gleich. Dennoch: Tonga schäumt vor Wut! Sollen denn alle Investitionen in den Tourismus vergeblich sein, wird jetzt der Jetset auf die östlichen Inseln Kiribatis einfallen, um die Ersten im neuen Jahrtausend zu sein? Aber alle haben natürlich ihre Pläne gemacht, ohne das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland zu fragen, durch dessen Staatsgebiet, am Ort der Königlichen Sternwarte zu Greenwich der Nullte Meridian läuft. Die Entscheidung der Grossbritannier lautet kurz: »Wir haben den Nullmeridian und die Weltzeit, daher beginnt bei uns das Neue Jahrtausend!« Wenn wir also im Kreis Daun die Sektkorken knallen lassen, täuschen wir uns nach dem Diktum Großbritanniens über den wahren Sachverhalt, denn wir lassen sie eine Stunde zu früh knallen. Dennoch, die Macht des Faktischen wird Großbritannien überrollen: Jeder wird nach seiner Uhrzeit am 1. Januar des Jahres 2000 den (vermeintlichen!) Beginn des 3. Jahrtausends feiern. Noch ist es zu früh für ein Prosit, beim Erscheinen des Jahrbuches eigentlich sogar mehr als ein volles Jahr zu früh. Dennoch wünscht das Jahrbuch 2000 des Kreises Daun Ihnen schon jetzt, dass Sie alle mit Ihren Familien diese Nacht in bester Gesundheit feiern können!

 

Literatur

Ginzel, F. K.: Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie, II. und III. Band. Hinrich, Leipzig 1911 und 1914

Grotefend, H.: Taschenbuch der Zeitrechnung des Deutschen Mittelalters und der Neuzeit. Hahn, Hannover und Leipzig 1910

Maier, H.: Die christliche Zeitrechnung. Herder, Spektrum TB 4018, Freiburg 1991

Anmerkungen

1) Der genaue Anfang der islamischen Zeitrechnung ist der erste Tag des arabisch-präislamischen Mondjahres, in dem die Hidjra stattfand, der 16. Juli 622 u.Z. Das islamische Jahr 1420 begann am 17. April 1999 bei Sonnenuntergang am Vorabend.

2) Ursprünglich gab es in Rom eine achttägige Woche. Für das Aufkommen der Siebentagewoche im l. Jh. n.Chr. hat die jüdische Woche sicherlich vorbereitend gewirkt. Die römische Woche beruht auf dem »heidnischen« Brauch der Benennung der Tage nach den 7 Planetengöt-

tern, die sich noch heute in der Mehrzahl der Wochentagsnamen abendländischer Sprache widerspiegeln:

»Planet« deutsch franz. englisch

Sonne Sonntag DimancheSunday

Mond Montag Lundy Monday

Mars Dienstag Mardi Tuesday

Merkur Mittwoch Mercredi Wednesday

Jupiter DonnerstagJeudi Thursday

Venus Freitag Vendredi Friday

Saturn Samstag Samedi Saturday

3) Um das genaue Datum des Osterfestes zu bestimmen, muss zunächst der Zeitpunkt der Tag- und Nachtgleiche (das Äquinoktium) im Frühjahr, also der Frühlingsanfang, aufgefunden werden. Genauer: Frühlingsanfang ist der Zeitpunkt, an dem der Mittelpunkt der Sonne bei ihrem scheinbaren Umlauf um die Erde von Süden kommend in den (Himmels-) Äquator tritt. Sodann muss man den Zeitpunkt des Vollmondes beobachten, der auf den Frühlingsanfang folgt -und dann erst ist der folgende Sonntag der Ostertag.

4) Es ist leider noch komplizierter: Aus mehreren astronomischen Gründen schwankt die »wahre« Tageslänge im Laufe eines Jahres um etwa eine halbe Stunde. Daher bedient man sich des Jahresmittels der Tageslänge, des »mittleren Sonnentages«; m. a. W.: Die Sonnenuhr geht im Laufe eines Jahres gegenüber der mittleren Ortszeit um bis zu 15 Minuten vor oder nach.

5) Nun ist das kontinentale Europa ein großer zusammenhängender Kultur- und Wirtschaftsraum, so dass viele Länder auch außerhalb eines 15° breiten Streifens um Görlitz sich der MEZ-Zone angeschlossen haben. Sie erstreckt sich daher von der Ostspitze Nordnorwegens bis zum Cabo Finisterre in Galicien, Spanien, über 40° in Länge. Das bedeutet z.B.: Wenn im Osten Polens und Serbiens die Sonne aufgeht, ist es bei gleicher MEZ in Galicien noch stockdunkel, denn dort geht die Sonne etwa 21/4 Std. später auf, andererseits haben wir die langen, hellen Abende in Santiago de Compostella, denn die Sonne geht mehr als 2 Stunden später unter als in Nisch an Serbiens Ostgrenze.