Warum der Nohner Turmuhr die letzte Stunde schlug

Thomas Romes, Nohn

Angesichts des - scheinbar -bevorstehenden Jahrtausendwechsels treibt die Erwartung des 1. Januares Anno Domini 2000 seltsame Blüten. Schon der Gelehrte Georg Christoph Lichtenberg(1742-1799) wunderte sich, dass seine Zeitgenossen bereits am 1. 1. 1800 ein neues Jahrhundert einläuten wollten.

Wegen der Faszination, die von der Ziffer Null ausgeht und dem menschlichen Bedürfnis, Feste zu feiern (die ja Namen und Ursache haben müssen), gönnte er aber allen zwei Festtage: eine vorgezogene »Nullnummer-Feier« und den eigentlichen Geburtstag des neuen Jahrhunderts."

Die Uhren gingen - anno dazumal - anders, erst Eisenbahnen und Telegraphen rückten die Bedeutung einer genauen Zeitmessung in den Mittelpunkt. Ein neues, rastloses Zeitalter hielt in den kleinen Dörfern der Vulkaneifel Einzug, auch in Nohn hing

- als Zeichen des Fortschritts

- eine Turmuhr.

Die Turmuhr als Prestigeobjekt

In den Städten zierten schon seit dem 14. Jahrhundert regelrechte Ungetüme von Turmuhren die Rathäuser, in Dörfern dagegen waren solche Uhren ein Novum. Erst im 18. Jahrhundert wird in Polizeiordnungen auch für Dörfer eine öffentliche Uhr gefordert, als »ein unentbehrlich Stück, so ihnen sowohl zur Bequemlichkeit als zur Zierde gereichet«. In der Eifel leisteten sich freilich nur wenige Dörfer solchen Zierrat; der bäuerliche Alltag blieb von der exakten Zeitmessung relativ unabhängig. Vereinzelt erfahren wir von Kirchenuhren in der Eifel, so in Hambuch (1758) und Wollmerath (1770), aber nur, weil diese, von einem Cochemer Uhrmacher gefertigten Apparaturen, nicht einmal vierundzwanzig Stunden gingen und ein gerichtliches Nachspiel verursachten. Von einer Uhr dieses »Meisters« heißt es, dass sie »von der ersten Stunde an entweder gar nicht, oder nur sehr unrichtig ging, im Schlagwerk aber immer stillstand«^ Dieses Problem bereitete auch den Nohnern hundert Jahre später Kopfschmerzen.

Gerhard Dohrn- van Rossum nennt in seinem Buch »Die Geschichte der Stunde« einen wesentlichen Grund für die Anschaffung einer öffentlichen Turmuhr durch die Kommunen: Prestigekonkurrenz (ein schönes Wort für

St. Martin im Schnee, nicht ganz so prächtig wie auf dieser Fotomontage dürfte die Uhr den Turm geschmückt haben.

Neid), das heißt: hat der eine, so will der andere auch, und womöglich schöner, besser und größer. Hatten die Nachbardörfer vorgelegt? Kam es nun zu einem »Wettrüsten« in Sachen Turmuhren, wurde reelle »Kirchturmpolitik« betrieben? Wir wissen nicht, wer vorgelegt hat, aber am 1. März 1861 erliegt nun endlich auch der Nohner Gemeinderat dem Wandel der Zeit. Der erste Hahnenschrei, das Geläut zum »Engel des Herrn« und die Schulglocke reichten den fortschrittlichen Gemeinde ältesten nicht mehr, eine öffentliche Uhr musste her. Sie sollte den alten Kirchturm zieren und den stolzen Eingesessenen künden, was die Stunde geschlagen hatte. Schließlich sollte sie den Sommerfrischlern (die nun die Eifel entdeckten) zeigen, dass man hier mit der Zeit ging. So erfährt der Lokalpatriot, dass 1898 der holländische Globetrotter Door H.C. Albers, Nohn ein »wunderschönes Bergdorf« nennt.31 Im »Verhandlungsbuch der Gemeindevertretung Nohn«, königlich-preußisches Bürgermeisteramt zu Aremberg, fand ich auf der Rückseite des fünften Blattes folgenden, bisher unbekannten Eintrag über die Anschaffung einer Kirchenuhr:

»Der Gemeinderath von Nohn unter dem Vorsitz des Bürgermeisters Niehl, bei Anwesenheit der Gemeinde Verordneten Rieder, Linarz, Schomers, Dreimüller, Maur und Heidinger versammelt, setzt den für das Aufziehen der Kirchenuhr zu gewährenden Lohn auf 3 Thl. (Taler) fest und soll der Bürgermeister eine geeignete Person mit dem Aufziehen beauftragen. Die Uhr soll in einen schönen Standort im Kirchturm gebracht werden und der Aufgang durch Anbringung zweier Leitern erleichtert werden. Nohn den 1 tenMärz 1861 Der Gemeinderath« Unter einem kleinen Fronttürmchen des spätgotischen Kirchtums befindet sich ein Schacht, durch den der Antrieb der Zeiger geführt werden konnte. Beim Pfarrer musste man keine großen Hürden überwinden, Vorsteher Kirfel war gleichzeitig Mitglied des Kirchenvorstandes. 1868 ersteigerte er auch die schöne Barockorgel aus der Trierer Matthiasabtei. Über den Uhrmacher, den Kaufpreis, Größe und Aussehen der Turmuhr erfahren wir leider nichts. Auch wissen wir nicht, wer die »geeignete Person« war, der die drei Taler »Aufzugsentschädigung« einnehmen durfte; wahrscheinlich der Küster. Sechs Jahre gehen ins Land, immer häufiger zücken die Honoratioren ihre »Westentaschenzwiebeln« und schütteln die Köpfe. Was nützt die schönste Turmuhr, wenn sie nicht richtig geht oder besser gesagt, zeigt. Der Nachtwächter, Michael Wilken, gerät in Konfusion, kaum hat er die Stunde ausgerufen und in sein Hörn gestoßen, da straft ihn die Kirchturmuhr lügen. Die Qualität des Chronometers ließ, wie hundert Jahre vorher in Wollmerath und Hambuch, zu wünschen übrig. Sicher, ganz genau geht damals keine Uhr. Über den tatsächlichen Zustand gibt uns Feldmarschall Moltke, in einer Reichstagsrede im März 1891, Auskunft. Man könnte beinahe glauben, Moltke hätte die Nohner Situation gekannt: »Was dann die ländliche Bevölkerung betrifft - ja meine Herren, der ländliche Arbeiter sieht nicht viel nach der Uhr, er hat zum großen Teil keine; er sieht sich um, ob es schon hell ist, dann weiß er, dass er bald von der Hofglocke zur Arbeit gerufen wird. Wenn die Hofuhr verkehrt geht, was in der Regel der Fall ist (Heiterkeit),... dann kommt er allerdings eine Viertelstunde zu früh. . ., allein er wird auch eine Viertelstundefrüher entlassen: die Arbeitszeit bleibt dieselbe (...) im praktischen Leben wird sehr selten eine Pünktlichkeit, die mit Minuten rechnet, gefordert. Es ist an vielen Orten üblich, dass die Schuluhr zehn Minuten zurückgestellt wird, damit die Kinder da sind, wenn der Lehrer kommt (...) in den Dörfern, welche nahe an der Eisenbahn liegen, stellt man in der Regel die Uhr einige Minuten vor, damit die Leute den Zug nicht verpassen. Ja, meine Herren, selbst dies hohe Haus statuiert doch eine akademische Viertelstunde, die auch zuweilen etwas länger wird.«*Die damaligen Pünktlichkeitsanforderungen sind lokal, noch 1874 kennt man in Deutschland verschiedene Ortszeiten, so in Köln, Berlin, Leipzig und München. Eisenbahn und Militär (Moltke befürwortete die Einheitszeit) bringen die Forderung nach genauer Minutenmessung und Synchronisierung auf. Erst am 1. April 1893 erhält Deutschland eine einheitliche Zeit.

Jetzt schlägt's dreizehn Die Geduld der Nohner Gemeindeältesten mit ihrer Ortszeit ist ebenfalls zu Ende, setzt man sich doch dem Gespött aller pünktlichkeits bewußten Mitmenschen aus. Schließlich will man doch kein neues Schiida oder ein zweites Wiesbaum werden (die Wiesbaumer mögen mir verzeihen, geht doch gerade von solchen, angeblich possenhaften Orten, ein besonderer Charme aus, die exklusive Atmosphäre eines »Genius Locu). Vorsteher Kirfel bleibt diplomatisch, im Verhandlungsbuch hält er fest, dass»Die Thurm Uhr unter der Behandlung des Marx zu Hofelt (Hoffeld) nicht zu einem befriedigenden Gange gebracht worden ist. ..«So schlägt dem bisherigen Uhrmacher, sofern er diese Profession überhaupt verdient hatte, am 14. Januar 1867 die letzte Wartungsstunde. Kirfel wird nun mit dem Uhrmacher Matthias Römer aus Breidscheid bei Adenau handelseinig, seine orthographisch eigenwillige Eintragung lautet:

». . . so ist dem Marx die pro Jahr 2 Thlr aufsichts Entschädigung zu kündigen und zwahrvom I.Januar 1867 ohne Nachzahlung weil in diesem Jahre die Uhr noch nicht in Behandlung des Marx gewesen ist. Dann wurde mit dem Uhrmacher Römer aus Breitscheitfolgender Vertrag abgeschlossen}:) Römer verpflichtet sich die Uhr in einen guten gangbaren Zustand zu bringen alle nötigen Reparaturen gut auszubessern die Regulierung und Behandlung auser das Aufziehen bestens zu besorgen daß Oehl zum Schmieren ohne Vergüthung zu liefern und zehn Jahre dieses auszuführen sowie zehn Jahre die Garantie des Ganges der Uhr zu besorgen zur Zufriedenheit der Eingesessenen. Dafür soll Roemer von der Gemeinde nach gut ausgeführter Arbeit welche gleich geschehen soll Zehn Thaler erhalten und nach einem Jahre wieder Sechs =6= Thlr. und nach Zehn Jahren wieder fünf Thlr. so dass Roemer für die ganze Arbeit und Behandlung der Uhr für Zehn Jahre ein und zwanzig Thlr erhalten soll Nohn den 14. Januar 1867 Kirfel, Vorst. Gezeichnet Matias Roemer Uhrmacher«

1877 lief also der Vertrag mit Uhrmacher Römer aus, wie die »Kirchturmpolitik« weiter betrieben wurde, ist ungewiss. Die Beschlussbücher der Gemeinde, die von 1848 bis heute vollständig erhalten sind, erwähnen die Turmuhr nicht mehr, auch im Pfarrarchiv fand sich kein Hinweis. Sicherlich erreichte die Uhr kein hohes Alter. Vermutlich nahm man sie sang- und klanglos von ihrem Standort, um Spott der Nachbardörfer zu vermeiden. Auf Postkarten aus der Zeit um 1910 ist sie nicht mehr auszumachen, auch die ältesten Einwohner können sich nicht an sie erinnern.

Eigentlich könnte man sich heute eine funktionierende Uhr (siehe Fotomontage), als Zierde des Kirchturms, zurück wünschen. Für einige Zeitgenossen bedeutet aber ein Glockenschlag Ruhestörung. Gerichte dürfen sich mit der Zumutbarkeit der Schlagwerke beschäftigen, die uns auch an die eigene Endlichkeit mahnen. Man wundert sich, dass das »unzeitige« Angelus-Geläut und das Klappern an den Kartagen noch erlaubt ist. »0 tempora, o mores - 0 Zeiten, o Sitten!« - wunderte man sich schon im Altertum. Wählen wir lieber ein positives Fazit, das von Papst Johannes XXIII. überliefert ist: »Man muss der Zeit Zeit las-

Anmerkungen

1) Georg Christoph Lichtenberg: Rede der Ziffer 8, Göttinger Taschen Calender, 1799, veröffentl. In Wolfgang Pro mies: G. C. Lichtenberg, Schriften und Briefe, Bd. 3, München 1972

2) Udo Bürger: Henker, Schinder 8t Ganoven, Aachen 1997, S. 79 ff

3) Vulkaneifel Nord, Mitteilungsblatt der VG Hillesheim, Ausgabe 36/1998, S. 3

4) Gerhard Dohrn-van Rossum: Die Geschichte der Stunde - Uhren und moderne Zeitordnung, München 1992