Last oder Lust, im Dorf zu leben

Karl-Heinz Böffgen, Gerolstein

Unsere Dörfer haben in ihrer oft mehr als tausendjährigen Geschichte viel erlebt: Brand- und Pestkatastrophen, Hungersnöte, Armut, Auswanderungen und Kriege. Trotzdem blieb das Dorf eine in sich geschlossene, sozialkulturelle Siedlungseinheit. Die Landwirtschaft und die Handwerker bestimmten das Leben, den Tages- und Jahresablauf, machten die Einwohner weitgehendst autark.

Die Kirche stand, im doppelten Sinne, schon immer im Mittelpunkt. Fast jedes Dorf hatte seinen Pastor, eine Schule, mindestens ein Gasthaus, oft einen kleinen Kaufladen und, nicht zu vergessen, eine Poststelle. In den letzten fünf Jahrzehnten kam es zu ganz einschneidenden Veränderungen. Das alte System »Dorf« löste sich auf, es vollzog sich der Wandel vom Bauerndorf zum Wohndorf, sogar der Begriff »Schlafdorf« wurde geprägt. Das »klassische« Dorf gibt es nicht mehr. Die Landwirtschaft ist aus vielen Dörfern so gut wie verschwunden, ebenso der Pastor, die Schule, der Kaufladen, weitgehendst die Post und oft sogar das Gasthaus. Die Einwohner fahren zu Kindergärten, zu Schulen, oft weit zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Arzt. Viele, ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebäude stehen leer, orts- und landschaftsuntypische Neu- und Umbauten zerstören das Gesicht der Dörfer, dörfliche Kultur geht verloren.

Ist das Dorf zum »Auslaufmodell« geworden? Wir müssen uns damit abfinden, dass nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Auch dort nicht, wo durch liebevoll restaurierte Häuser und Dorfchroniken eine Idylle vorgegaukelt wird, die es nie gegeben hat. Das Leben auf dem Lande war hart und entbehrungsreich, von Armut, Krankheit, Enge und vom ständigen Kampf um die Existenz geprägt.

Das Dorf hat jedoch als Siedlungseinheit und Lebensgemeinschaft, wenn auch nicht schadlos, die Zeiten überstanden. Die weitaus meisten Menschen im Landkreis Daun, wie auch in anderen Landstrichen Deutschlands, leben in, zum Teil, kleinen Dörfern. Etwa die Hälfte der 109 selbständigen Gemeinden unseres Landkreises hat weniger als 300, 10 sogar weniger als 100 Einwohner.

Das Dorf hat längst, wie die Städte, am materiellen Aufschwung teilgenommen. Der Begriff »Dorf« steht heute nicht mehr für »Zurückgebliebenes« oder »Hinterwäldlerisches«. Jedes Dorf ist über gut ausgebaute Straßen erreichbar, hat Wasser- und Stromanschluss, seine Ortskanalisation. Die Technik und die neuen Medien sind ebenso selbstverständlich wie anderswo, das Auto sorgt für die notwendige Mobilität. Fragt man die Menschen, warum sie gerne im Dorf leben, geben sie folgende Gründe an:

- Bindung an Verwandte und Bekannte, die Mitarbeit im öffentlichen Verein,

- Überschaubarkeit und Vertrautheit,

- der Wunsch, dort zu leben, wo man seine Wurzeln hat,

- Nähe und Bindung zur Natur,

- Freiheit und Ungebundenheit, die man in großen Städten nicht findet,

- günstige Baugrundstücke. Der Lebensqualität ist für viele, trotz mancher Nachteile, im Dorf höher als in der Stadt.

Ist das Dorf wirklich das beste Modell für eine Siedlungsgemeinschaft? Warum wurde da noch die »Dorferneuerung«, besser »Dorfentwicklung« ins Leben gerufen? Lebens- und liebenswert bleibt ein Dorf auf Dauer nur, wenn es seine Identität behält und ein Leitbild für mögliche Entwicklungen erarbeitet wird. Dieses Leitbild bezieht sich nicht nur auf die bebaute Umwelt, sondern ganz bewusst auch auf die sozialen, ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkte! Dabei sind die Bürgerinnen und Bürger intensiv zu beteiligen. Durch gemeinsame Überlegungen, Planungen und Maßnahmen, die das ganze Dorf umfassend berücksichtigen und den heutigen Verhältnissen und Bedürfnissen Rechnung tragen, wurden in vielen Dorferneuerungsgemeinden beachtliche Erfolge erzielt. Hier nur einige Beispiele:

- Alte Häuser wurden saniert, leerstehende Ökonomiegebäude umgebaut und wieder einer Nutzung zugeführt. Damit konnten Ortskerne wiederbelebt, alte, wichtige Bausubstanz erhalten werden.

- Jährlich wurden im Landkreis Daun durch die Umnutzung leerstehender Gebäude 20-25 neue Arbeitsplätze geschaffen sowie durch Förderung hunderte von Arbeitsplätzen gesichert.

- In einigen Gemeinden konnte wieder ein Gasthaus oder gar ein Dorfladen, zum Teil mit integrierter Postagentur, eingerichtet werden.

- Einrichtungen für das Gemeinschaftsleben, für Jugendliche und Kinder, wurden geschaffen.

- Die Begrünung im Dorf und am Dorfrand wurde verbessert oder neu angelegt, ökologisches Denken und Handeln geweckt.

• Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung sind installiert worden.

• Durch intensive Beteiligung der Dorfbewohnerinnen und -bewohner entstanden Dorfchroniken, Theatergruppen und Krabbelstuben gründeten sich und viele

Projekte wurden in Eigenleistung erstellt. - Kinder, Jugendliche und ältere Menschen wurden in die Planungen und Umsetzungen einbezogen. Dorferneuerung geht an den Kern, und Gemeinden, die sie ernst nahmen, konnten die Lebensbedingungen im Dorf verbessern und dessen Lebenskraft wecken. Dorferneuerung ist eine Bewusstseinserneuerung im Denken, Wollen und Handeln. Sie hat die geistigen Kräfte im ländlichen Raum mobilisiert und Optimismus verbreitet. Diese Revitalisierungsphase muss weiter geführt werden. Unsere Dörfer müssen noch lebens- und liebenswerter, die LUST, im DORF zu leben, verstärkt werden.