Dau böss en richtije Handwerksbursch

Theo Pauly

Der Vorwurf »Dau böß en richtije Handwerksbursch« bekam in meiner Kindheit der zu hören, der nachlässig gekleidet war, sich nicht recht benehmen konnte und vor allem unzuverlässig war. Vor den »Handwerksburschen«, so wurden wir Kinder belehrt, musste man sich in acht nehmen. Sie waren, so hieß es, hinterlistig und verschlagen, diebisch, voller Läuse und Ungeziefer. Wenn sie an der Tür vorsprachen, sollte es am besten sein, ihnen ein Stück Brot in die Hand zu drücken und sie so schnell wie möglich loszuwerden. Diese hier beschriebenen Leute wurden Handwerksburschen genannt, waren aber keine. Heute gibt es sie hie und da wieder, die echten Handwerksburschen. Es sind ausgelernte Gesellen eines Handwerks, die es auf sich nehmen, drei Jahre und einen Tag als Wandergesellen unterwegs zu sein und sich in dieser Zeit nie näher als sechzig Kilometer auf ihren Heimatort zuzubewegen. Sie sprechen bei Handwerksleuten ihrer Zunft vor und bitten um Arbeit und Unterkunft. Kann der Handwerksmeister ihnen keine Arbeit geben, erhalten sie wenigstens einen »Zehrpfennig«, der ausreicht, bis sie irgendwo Arbeit finden. Diese »Handwerksburschen« arbeiten eine Zeitlang bei einem Meister, oft nur ein paar Tage, ehe sie weiterziehen und auf diese Art und Weise Arbeitsmethoden der verschiedensten Art kennen lernen. So war es auch früher. Aber dann haben sich wohl eine Menge anderer Leute, die arbeitsscheu oder aus irgendeinem Grunde aus ihrer Lebensbahn geworfen waren, die Gepflogenheiten der Handwerker zunutze gemacht und zogen als sogenannte oder selbsternannte Handwerksburschen über Land, in der Hoffnung, auf diese Art und Weise ihr Dasein leichter fristen zu können. So blieb es nicht aus, dass die echten Handwerksburschen in Misskredit gerieten und die Bezeichnung »Handwerksbursche« etwas Negatives beinhaltete.

Umherziehendes Volk gab es in meiner Kindheit noch recht viel, auch richtige Zigeuner, vor denen wir Kinder noch mehr Angst hatten als vor den Handwerksburschen, denn es ging immer wieder die Sage, Zigeuner würden auch Kinder stehlen. Es gab aber auch umherziehende Menschen, die wir zwar als Handwerksburschen bezeichneten, sie aber nicht als solche ansahen, denn sie kamen regelmäßig, wie etwa »Lüh-paul« oder »Kollewada Traud«.

 

Sie hatten keinen festen Wohnsitz, aber nach der Regelmäßigkeit, mit der sie im Dorf auftauchten, hätte man den Kalender ausrichten können. Ein solcher war auch »et Köschtje«. Warum er ausgerechnet diesen Namen trug, weiß ich nicht; vielleicht weil er so knorrig und zäh aussah, wie man auf den Rest eines altbackenen Brotes, »et Köschtje« beißen mußte. Et Köschtje kam regelmäßig wie ein Sommergewitter ins Dorf. Logis nahm er bei unseren Nachbarn. Hier blieb er mehrere Wochen und arbeitete, was das Zeug hielt. Keine Arbeit war ihm zu schwer. Et Köschtje war ein Mann mittlerer Größe, eher schmächtig, aber offensichtlich stark, mit einem Schnurrbart. Wenn er da war, übernahm er das Regiment, führte alle anfallenden landwirtschaftlichen Arbeiten aus, pflügte, säte, erntete auch. Nie einmal kam ein Wort über seine Lippen, weder zu einem Menschen, noch zum Hund oder den Zugtieren. Ob er stumm war? Jedenfalls war er mir unheimlich. Wenn jemand zu mir sagte: »Dau böß en richtije Hand-werksbursch!«, dann stand vor mir das Bild vom Köschtje: ein solcher wollte ich niemals sein.