Das Sandmännchen

Christa Feltgen, Steffeln

Im März 1999 hatte eine Fernsehsendung 40jähriges Jubiläum, die sich für die Verantwortlichen von Anfang an als Volltreffer erwies, das »Sandmännchen«. Kaum ein Kind, das nicht in all den Jahren allabendlich am Bildschirm gehockt hätte, um der kleinen Märchenfigur zuzusehen. Dabei wäre es beinahe schon in den ersten Tagen zum Eklat zwischen den damaligen beiden deutschen Staaten gekommen, denn die Sender im ehemals östlichen Teil von Deutschland hatten den Westdeutschen die Idee dafür gestohlen und eine Woche vor der ersten Westsendung mit ihrem »Sandmann« angefangen.

Wie alle Märchenfiguren, sei der Ursprung auch noch so verdeckt, hatte auch dieser Sandmann einen realen Hintergrund. Wenn früher die Mütter abends die müden Kinder zu Bett brachten, wurde erzählt, nun komme gleich das Sandmännchen und streue ihnen Sand in die Augen, dann wären sie im Nu eingeschlafen. Mit vor Müdigkeit brennenden Augen hatten die Kleinen dann durchaus das Gefühl, die Mutter könne Recht haben. Mit dem Wort »Sandmännchen« verbanden sich schon lange keine Ängste mehr, wie das vor langer Zeit einmal gewesen war.

Denn diesen Sandmann gab es einst wirklich. Sand war ja schon immer ein begehrter Rohstoff für die Industrie, Eisengießereien und Porzellanmanufakturen, Straßenbau und Hausbau; niemand konnte auf Sand verzichten. Oft lag er gleich vor der Haustür, wie etwa am Niederrhein, wo durch die Nachfrage nach diesem Rohstoff die Auskiesungen allenthalben das Land in eine Seenplatte verwandelt haben. In anderen Landstrichen wiederum, wie hier in der Eifel, musste der Sand erst von weither beschafft werden, um damit werken zu können. Und wie sah das um die Jahrhundertwende noch in den Haushalten aus? Da wurde ebenfalls viel Sand gebraucht, denn man schrubbte die Holzfußböden mit Sand, reinigte stark verschmutzte Tischplatten oder Holzschuhe damit und scheuerte die Töpfe mit den winzigen Quarzsteinchen. Und waren am Samstag die Stubenböden sauber geschrubbt, wurden sie oft mit Sand bestreut, damit niemand den Schmutz von den früher unbefestigten Straßen auf die reinen Holzplanken bringen sollte. In den Amtsstuben oder auch privat auf den Schreibtischen standen die Streusandbüchsen, mit denen man die mit Tinte geschriebenen Briefe und Akten bestreute, damit sie schnell trocken werden sollten. Aber auch wenn man eine einigermaßen richtig gehende Uhr nötig hatte, um eine kleine Spanne Zeit zu bestimmen, brauchte man früher dafür eine Sanduhr. In der lief feiner Sand in einer bestimmten Zeit aus dem oberen Teil durch eine schmale Öffnung in den unteren Teil.

Den Sand, den man in den Haushalten oder kleinen Betrieben und auf dem Bauernhof brauchte, den brachte der Sandmann. Wenn er seine Ware ausrief, griffen die Menschen zu Eimern oder Säcken und ließen sie sich für ein paar Pfennige mit dem feinen weißen Sand füllen. Es war ein armseliger Beruf. Der Sandmann gehörte früher zum fahrenden Volk, wie der Scherenschleifer, der Holzkohlenverkäufer, der Verkäufer von Wagenschmiere oder der Hausierer und nicht zu vergessen, der Mausefallenverkäufer. Sie alle zogen bei Wind und Wetter über die Straßen, waren immer ein wenig ungepflegt und oft nicht sehr sauber angezogen und wenn so ein rauher Geselle auftauchte, konnte es wohl vorkommen, dass er die kleinen Kinder erschreckte. Bald wurde die Drohung: »Warte nur, der Sandmann kommt« auch dann für unartige Kinder angewandt, wenn gar niemand in Sicht war.

Wie schön, dass sich diese unbeliebte Gestalt später in eine gute verwandelt hat, vor der sich niemand mehr fürchten muss.