Auch du gute (?) alte Zeit!

Maria Sohlbach, Herzogenrath

Jahrhundertwechsel, die Schwelle zum nächsten Jahrtausend, weit muss ich mich an meine Kindheit zurückerinnern. Das 19. Jahrhundert war geprägt von Wohlstand und zwei grossen Kriegen. Als Landkind in einer behüteten Großfamilie aufgewachsen erfuhr man kaum, was sich in den Großstädten abspielte. Not, Gewalt, Kampf ums Überleben...; in unsrer Familie galt Rücksichtnahme als Gebot, auch Verzicht, wir waren neun Kinder und alle wollten im täglichen Leben bestehen, das Ihre bekommen; ohne Kompromiss ging nichts. Die Vorschulzeit verbrachten die Kleinen zu Hause oder bei den Großeltern und die hatten einen Bauernhof. Was gab es da alles zu entdecken! Unvergessen die Spaziergänge mit den Großeltern durch die Felder, wenn Kornblumen und Klatschmohn blühten, der Wind übers Feld wogte und die geschmückte Feldkapelle war meist Ziel unserer kleinen Wanderung am Sonntag. Der Alltag hatte es in sich. Unsere Kinderherzen schlugen hoch, wenn die Glucke mit ihren Kücken über den Hof spazierte. Lautstark war es im Schweinestall, die Jungen quietschten beim Saugen vor lauter Eifer, herrlich anzusehen, so rosige kleine Tierchen. Aber wenn ein Schwein geschlachtet wurde oder dem Pferd neue Hufe angepasst, dann liefen wir Enkelkinder erschrocken aus dem Hof und warteten, bis die Prozedur vorüber war. Wenn die müden Ackerpferde an der Haustür am Abend vorbeikamen, durften wir sie mit einem Stück Brot begrüßen. Das tat uns Kinder wohl- den Tieren wahrscheinlich auch. Die Großeltern haben oft von Hexerei erzählt, das machte uns Kleinen angst. Hinter jeder Tür, jeder Hecke sahen wir Gespenster, selbst im Schlafzimmer gabs unheimliche Geräusche und fast immer war das eine Katze, die bei uns Bettwärme suchte. Die Winterabende bei Kerzenschein oder der Petroleumlampe brachten für uns so viel Spannendes, wie heute ein Video, ein toller Fernsehbericht über den Bildschirm. Ganz interessiert hörten wir zu, doch die Themen waren alltäglich - ein Rind ist aus der Weide ausgebrochen, der bissige Hofhund hat ein Huhn zerzaust, das Fohlen hat sich in der engen Box ein Bein gebrochen...

Das sind wichtige Dinge für den Hausvater, den Bauer, der sich um alles Lebende sorgt. Ganz müde vom Tag wiegte ich meine Puppe in den Schlaf, versank schließlich selbst darin. Ein neuer Tag, neue Überraschungen im Bauernhaus. Ein Gast kam, durch Gänsegeschnatter und Hundegebell angekündigt. Auf dem Hof erschien eine in Lumpen gehüllte alte Frau -sie bettelte um Lebensmittel und bekam das Notwendige... Großmutter war nicht unbedingt freigiebig, aber einsichtig, wenn's nach NOT aussah. Gute alte Zeit? Heute sind die Senioren versorgt, meist sogar gut - fröhlicher sind sie auch nicht. Was also braucht der Mensch? Zuwendung, Gespräche, das DA-SEIN der anderen, Geduld und Liebe. Mit Geld kann man das nicht ersetzen.