Von alten Eisen

Hildegard Kohnen, Brühl

In einem kleinen Ort in der Eifel steht ein behäbiges Bauernhaus, das von Peter und seiner jungen Frau Marie bewohnt wird. Er hat es geerbt, es ist das Haus seiner Urgroßeltern.

Seit über hundert Jahren gehört es der Familie. Auf dem Speicher, in einer Holztruhe, fand Peter ein altes Herzwaffeleisen mit einem nicht viel jüngeren Bügeleisen. Nach und nach hat er mit geschickten Händen und viel Ausdauer die Eisen und auch die Truhe wieder hergerichtet, und Marie half fleißig mit. Jetzt hängt an einer weißverputzten Wand im gemütlichen Wohnzimmer über der schönen Eichentruhe das Herzwaffeleisen, während das Bügeleisen auf der Fensterbank zwischen grünenden Pflanzen ein Plätzchen gefunden hat.

Dass die beiden Eisen auch Namen haben und Lina und Eise heißen, weiß keiner. Warum auch? Und es soll ihr Geheimnis bleiben. Da sind sie sich ausnahmsweise einmal einig, obwohl sie sich sonst nicht ganz grün sind. - Menschen müssen ja nicht alles wissen...

Damals, vor fast einhundert Jahren, waren Lina und Eise rege im Einsatz. Lina erhielt ihren Namen von Peters Urgroßmutter. Sie buk die besten Waffeln mit den schönsten Waben nach einem gut gehüteten Familienrezept, das nur mündlich vererbt wurde. Zu dieser Zeit waren Waffeln etwas Besonderes, und ein Sonntag ohne Waffeln war ein armer Sonntag. Eise hieß nach Peters Großmutter. Bei ihr lag sie in geschickten Händen. Alles, was gebügelt werden musste, erfuhr ihre heißen Streicheleinheiten. Beide wussten um ihre Unentbehrlichkeit. Jedes Jahr beim ersten Neumond im Januar, wenn die Menschen die Wärme suchen, Kerzen und Kamine anzünden, durch die Häuser ein unwiderstehlicher Duft von Bratäpfeln und Glühwein zieht, ist ihre schönste Zeit gekommen. In dieser einen Nacht vermögen sie wie Menschen miteinander zu sprechen. In ihren Einsatzzeiten kannten sie nur Küche und Vorratskammer, und auf dem Speicher in der dunklen Truhe, machte es wenig Freude zu reden. Hier aber, in diesem gemütlichen Zimmer ist es ihre erste Neumondnacht, die sie zusammen verbringen können. Lina seufzt leise vor sich hin. Sie seufzt oft und gerne und meist ohne jeden Grund. Sie lassen sich bewundern, sind schön anzusehen und eigentlich müssten sie froh sein, dass sie entdeckt wurden, und Eise ist es auch.

Doch Lina tut sich da etwas schwer. So war sie schon immer. Von Natur aus mosert und meckert sie gern. Besonders, wenn es um ihr Alter geht, wehe, es schätzt sie jemand jünger, da kann sie fuchsteufelswild werden. Eise mag das zwar ebenfalls nicht. Nur ist sie friedlicher als Lina. Sie wissen inzwischen, dass sie Seltenheitswert besitzen und als Antiquitäten gelten. Und - alte Eisen haben auch ihren Stolz!

Immer, wenn Lina in Harnisch gerät - sie gerät oft in Harnisch - ruckt sie, wie von Geisterhand geschoben, unmerklich nach rechts. An einem Fenster, ganz in ihrer Nähe, steht Eise und fühlt sich sichtlich wohl. In ihrem Inneren, wo früher nur heiße Kohlen glühten, steht ein blaublühendes Usambaraveilchen. Lina äugt zum Fenster hin. Gut sieht Eise aus, das muss sie ihr neidvoll zugestehen.

Schwarz mattiert ist sie, ihr Deckel aufgeklappt, so dass man die gleichmäßigen Zacken sieht. Dazu die blühende Pflanze, ja Eise ist fast ein echtes Schmuckstück geworden, wäre da nicht... wieder entfährt ihr aus der Tiefe ihrer fünf Herzen, ein riesiger Seufzer. Und so spricht Lina zu Eise, mit ihrer rostigen Herzwaffelstimme, aus der Wehmut und Unfrieden zu hören sind: 'Du, Eise, weißt du noch? Früher war alles viel besser. Je älter ich werde, um so öfter denke ich an die gute alte Zeit...! Man wurde gebraucht, war fleißig und nützlich. Von mir kamen die köstlichsten Waffeln. Beim Backen geriet ich so richtig in Hochform. Ganze Berge von Herzen warf ich in kurzer Zeit aus der Form. Da war Hannes, der Älteste von den fünf Kindern. Klein, aber oho und ein pfiffiges Kerlchen. Hatte immer Hunger und stopfte sich oft ein ganzes Herz auf einmal in den Mund. Die Bäuerin musste höllisch aufpassen, damit die anderen Jungs nicht zu kurz kamen. Von allen war dieser Wicht mir der Liebste. Unser rollender Meter, so nannte ihn manchmal der Bauer, weil er rundlich und fast so hoch wie breit war... Und was passiert heute? Gar nichts passiert mehr! Heut' häng ich hier rum und weiß nicht warum. Nur schön anzusehen und bewundert zu werden, find' ich öde und blöd. Dieses Rumhängen geht mir auf sämtliche Herzen. Ich habe es satt und wünschte mit Sehnsucht mir diese Zeiten wieder herbei!!! 'Hör endlich auf, dich so zu beschweren. Was für ein Lamento du hier anstimmst. Kannst du nichts anderes als seufzen und klagen' ruft Eise ungehalten vom Fenster. 'Wie waren sie denn die guten alten., ja, wie war es früher denn immer mit dir? Nach jedem Einsatz hast du geschimpft und geflucht. Du würdest missbraucht, müsstest schuften für drei und Frondienste tun. Damals wurde aus Sparsamkeit nur sonntags gebacken. Erinnerst du dich an die schrecklichen Jahre von vierzehn bis achtzehn. Unser Bauer war im Krieg. Die Bäuerin mutter(gott)seelenallein mit fünf kleinen Kindern, die einzige Kuh stand trocken. Die Nachbarn hatte nur Milch für die Jüngsten. Der Fuchs stahl die Hühner. Das Getreide wurde vom Hagel vernichtet. Ein Unglück löste das andere ab! Wie arm, wie zum Erbarmen arm, waren damals unsere Leute.

Ein ganzes Jahr hast du auf deinem verrußten Hintern in der Speisekammer gelegen. Hast du das wirklich alles vergessen? Erst an Weihnachten wurdest du wieder gebraucht... Dann kam die grauenvolle Zeit des Zweiten Weltkrieges. Der Hannes und seine Brüder kämpften in Russland. Er hat's überlebt, dein pfiffiges Kerlchen, mit einem Bein! Die Brüder nicht! Was für ein Leid für die Eltern!'

Eise, die sonst so ruhige, ist nicht mehr zu bremsen: 'Ich war immer im Einsatz. Trotz Armut und Krieg herrschte Ordnung bei uns. Meine Schwestern, die gab's schon, ich meine die elektrisch beheizten. Doch oft war kein Strom da, dann musste ich ran. Du bist ungerecht, undankbar dazu und hast keinen Grund unzufrieden zu sein!' So spricht Eise zu Lina, und des Usambaraveilchens blaue Blütenaugen strahlen so intensiv, als sei es heimlich in Eise verliebt. Wer kann das schon wissen? Lina schweigt, ist betreten. Innerlich gibt sie Eise schon recht. Sofort klein beizugeben ist nicht ihre Art. Also spielt sie ihren letzten Trumpf aus, nicht ganz ohne Häme, das muss man schon sagen: 'Ach, Eise' sagt sie ein wenig von oben herab, 'du führst dich hier auf, als seist du Gott weiß wer! Schau einmal ins Fenster, es ist wie ein Spiegel. Vorn bist du geschmückt wie ein Pfau, der ein Rad schlägt, und am Deckel fehlt dir dein wichtigster Teil, du bist ohne Griff ein wertloses Stück, auch wenn sich das Efeu geschickt um dich windet.' Und - wie immer, wenn sie wütend wird, ruckt sie ein wenig nach rechts, diesmal wohl zu arg. Ein Stück Holz fällt zu Boden, welches vorsorglich zwischen Lina und der Wand steckte. Vielleicht traute man ihrem Hinterteil doch nicht so recht. Denn wie schon gesagt, die Wand ist sehr weiß. Lina hängt ganz plötzlich fest an der Wand und kann nicht mehr rucken. Eise kennt ihren Makel, wollte ihn verstecken und deshalb hat sie das Efeu geduldet. Sie mag das Kraut nicht, es klammert so sehr. Denn als Schmuckstück ist Eise eitel geworden. Man hatte sich um ihren Griff gestritten, der gute Peter und seine Marie. Er wollte ihn naturbelassen, sie aber farbig, am liebsten in rot. Er nahm nach dem Streit den Griff aus der Halterung und ging aus dem Zimmer. Marie suchte und suchte. Sie fand ihn nicht mehr. Am Morgen danach brachte sie ihr das Veilchen. Seitdem ist Eise zufrieden und glücklich. Versöhnlich gestimmt ruft sie Lina zu: 'Du Lina, begraben wir den ganzen Streit. Unsere Nacht ist bald um. Du hängst nun da, ganz flach an der Wand und hast dadurch nicht an Ansehen verloren. Was ist schon vollkommen? Uns geht es gut. Stell dir vor, man hätte uns nicht entdeckt... Schau durch das Fenster, und sieh wie silbern die Mondsichel am Himmel glänzt. Sie verleiht unserm Raum einen seltsamen Zauber und taucht alles in ein unwirkliches Licht. Dahinter lauert das Morgengrauen. Dann müssen wieder dreihundertfünfundsechzig Nächte vergehen, bis zum nächsten Neumond im Januar, und jede kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Es ist der Beginn eines neuen Jahrtausends, und wir beide sind dann einhundert Jahre alt. Ich weiß es genau. Die Bäuerin bekam uns zur Hochzeit geschenkt.

Wir sollten, weiß Gott, unsere Zeit besser nützen...' Lina hat still zugehört. Ganz ohne Widerworte! Zum ersten Mal ist sie wirklich gerührt. Zu gerne hätte sie noch einmal geruckt, aber diesmal aus einem anderen Grund. Doch das ist jetzt für immer vorbei - und das Seufzen verkneift sie sich ebenfalls tapfer. Die beiden führen endlich ein gutes Gespräch, so wie es alte Eisen tun sollten, solange bis der Nachthimmel auf die Erde fällt in der letzten Neumondnacht vor der Jahrtausendwende.

Am nächsten Morgen betritt Marie das Zimmer. Ein leiser Aufschrei ist zu hören: 'Da bist du ja!' Sie bückt sich und hebt ein Stück Holz auf. Versöhnlich denkt sie - er soll seinen Willen haben. Am Abend geht sie mit Peter zum Fenster und zeigt stumm auf das Eisen. Da steht Eise, samt Veilchen, mit Griff! Naturbelassen! Verschmitzt lächelnd sagt Peter zu seiner Frau: 'Morgen richte ich Großvaters Uhr und dann Marie widme ich mich deinem Spinnrad. Beim Hinausgehen schaut er schnell noch mal rückwärts und blinzelt verschwörerisch zu Lina hin, die flach an der Wand hängt und nie wieder rucken kann.