Alter werden, alt sein, das Ende bedenken

Josef Jakob, Jünkerath

Die Vereinten Nationen haben 1999 als »Jahr der Senioren« ausgerufen. »Eine Gesellschaft für alle Lebensalter« heißt das Leitmotiv. Köln lädt für Oktober zu einem »Welt-Alten-Theater-Festival« ein. Über das Alter(n) lässt sich trefflich nachdenken, ergiebig reden, widersprüchlich streiten. Was man von alten Menschen hält, wie man über sie spricht, das kann unsere Gesellschaft entlarven, sie demaskieren. Hören wir doch eine Weile dabei zu. Kinder wissen, wie sie meinen, ab wann sie so nicht mehr genannt sein wollen. Mindestens »Heranwachsende« wollen sie geheißen werden, eine Vorstufe zum Erwachsensein. Für den Kinobesuch sehr wichtig!

Wird man dann älter, beginnt das Versteckspiel, das Herumdeuteln; man wird älter, aber nicht alt. Noch Ältere als man selbst heißen uralt, steinalt, werden Altvordere, im Süden unseres Landes zu Altenteilern, Altsitzern, Auszüglern... auch Ruheständler lassen sich manche nennen. Wem der Misserfolg treu bleibt, der hat schnell den Ruf, alt auszusehen, und ältere Frauen heißen überschnell »ältlich«. Bei den Holländern haben wir uns den »Greis« ausgeliehen. Dem folgte greisenhaft, endlich auch der Tattergreis. Bestimmte Kreise bevorzugen den Namen Nestor als Ältesten, den Iliashelden, der drei Leben gelebt haben soll. Mein Großvater nannte sich selbst noch Kriegsveteran des Ersten Weltkrieges. Stolz klang dabei mit. Von anderer Qualität ist ein Grufti, jemand, der für den Abgang in die Gruft reif wäre. Klingt es dagegen nicht freundlich, wenn man den Vater als alten Herrn oder Oldi oder Oldtimer vorstellt?

Modisch erscheint es, die Alten zu Senioren aufzustufen. Dahinter lässt sich Altsein trefflich verstecken. Älter werden ja, aber alt sein; nein! Wandervölker entledigten sich ihrer zu alt gewordenen Mitglieder, indem sie der gnädigen Eiseskälte, hungrigen Tieren oder der Sonnenhitze die Entsorgung überließen. Bei den sogenannten Zivilisierten ging man anders mit den Alten um. Bäuerlich organisierte Gesellschaften hatten Platz für Ruheständler im Altenteil, Altgedinge, Ausgedinge (Versorgung war ausbedungen), in der Ausnahm (von der Übergabe ausgenommen).

Im städtischen Bereich sorgte die Familie für die Alten, deren Rat aber immer noch gefragt war. Siechenhäuser nahmen hier und da kranke alte Leute auf.

Alten- oder Altenheime hört sich nicht ermunternd an. Viel anheimelnder lässt sich ein Seniorenheim als Adresse angeben. Seniorenruhesitz versteckt noch schöner die Wahrheit. Und gar sein Seniorenwohnpark verlockt fast zum Einzug. Was ehedem Fürsten, hohen Geistlichen, Staatsoberhäuptern vorbehalten war, muß heute für das »gemeine Volk« herhalten, die Seniorenresidenz. Wie verlockend wirkt ein Senioren-Refugium? Gemeint war damit früher eine Schutzhütte, ein Zufluchtsort. Dem Adel vorbehalten war das Stift, verbunden mit der Stiftung eines Vermögens für einen vom Stifter vorgegebenen Zweck. Gnadenlos hat die geschäftstüchtige Großspurigkeit auch hier zugepackt und für betuchte Kundschaft Seniorenstifte eingerichtet. Wesentlich überzeugender klang da die Bezeichnung Feierabendheim der verflossenen DDR. Die evangelische Kirche hat einen Altenheimathof in ihrem Angebot. Kleeblattresidenz verspricht ein wenig Vertrautheit, dazu etwa Edles.

Doch alles Verstecken hilft nicht über die nüchterne Tatsache, dass die genannten Häuser für in die Jahre gekommene, alt und/oder grau, gebrechlich, altehrwürdig oder altersschwach Gewordene bereitgehalten werden. Kluge Menschen haben viel Brauchbares (manchmal auch Bissiges) über das Altern und die Alten von sich gegeben: Alter schützt vor Torheit nicht; wer's Alter nicht wolle, müsse sich jung henkenlassen; die Alten seien zäh; das Geben tue ihnen weh. Alfred Döblin jubelte fast, Altern sei etwas Herrliches, er sei neugierig auf jedes kommende Jahr. Rochefoucauld hielt dagegen, das Alter sei ein Tyrann, der bei Lebensstrafe alle Vergnügungen der Jugend verbiete. Ebner-Eschenbach tröstet: »Alt werden heißt sehend werden.« Swift bleibt nüchtern und stellt fest: »Jeder möchte älter werden, aber keine will alt sein.«

Das Leben ist anonym geworden, das Sterben auch. Man stirbt nicht mehr im Kreis der Familie. Kein Käuzchen ruft »Komm mit, komm mit«. Adam Wrede wusste noch zu erzählen, welches Brauchtum sich um das Sterben rankte; die sieben Fußfälle, »op Schoof leje«, Totenwache, der dreitägige Rosenkranz beim Sarg, die nachbarliche Hilfe, wenn die Beerdigung auszurichten war. Jemand hat zu leben aufgehört. Es ist verschieden, hat den Geist aufgegeben, ist abberufen worden, »hat de Bään jerääkt«...; hat er nicht schon ausgesehen wie der Tod von Basel? Ungezählte Umschreibungen kennt man, die das Sterben und den Tod begleiten. Sterbezimmer gibt es kaum noch. Die Wohnung ungeeignet, zu klein. Man ist beschäftigt, kann die Zeit für alte und kranke Menschen nicht aufbringen. Also übernimmt eine Anstalt, ein Krankenhaus oder das Altenheim die letzte Versorgung. Man stirbt anonym, eigentlich namenlos, nicht im Kreis derer, von denen man Abschied nehmen will.

An der Größe der Todesanzeige, an der Anzahl der verteilten Totenzettel lässt sich die Bedeutung eines Menschen ablesen (?).

»Kluft zwischen Jungen und Alten wächst« meldet die Saarzeitung vom 4. Mai 1999. Der Volksfreund vom 30. April 1999 listete noch den Anteil der Senioren für die verschiedenen Urlaubsgebiete in einer Grafik auf: Deutschland bevorzugt, Alpenländer gut gefragt, südliches Europa fast 20 %, Fernreisen immerhin 13 von 100! In »Pluspunkte« beschwert sich ein Herr Kurath über das ungerechte Fernsehen; es blende die Alten völlig aus, sehe nur noch die Jugend als werbewürdig an. Er droht, die nachwachsenden Alten würden das nicht durchgehen lassen. Mal sehen...