Für meinen liebsten Schüler

Monika Engelhaupt, Müllenborn

DER ERSTE SCHULTAG

Schon Wochen vorher nagt die Neugier,

ob wohl die Freundin neben mir sitzt?

Ob die Lehrerin lieb ist?

Ob ich nicht zu lange still sitzen muss?

Ob in der Zuckertüte auch mein Lieblingsbonbon steckt?

 

Endlich ist es soweit.

Mit klopfendem Herzen stehen wir alle auf

dem Schulhof

und ehe wir uns versehen, hat man uns

von Mutti getrennt und in einen wildfremden

Raum geführt.

Bevor wir uns verständigen können,

sitzt ein sommersprossiger kleiner Junge

neben mir.

Meine Freundin ist nirgends zu sehen,

ein anderer Klassenraum hat sie verschluckt

und mir steigen langsam die Tränen

in die Augen.

 

Eine riesige Frau mit gelben Haaren

und einer großen Brille lässt uns setzen.

Alle müssen ihren Namen sagen.

Als ich drankomme,

habe ich einen Kloß im Hals

und kann gerade zaghaft Arlane wispern.

 

Ich habe das Gefühl, alle starren mich an,

obwohl schon mein Nachbar dran ist.

Michael heißt er, und als ich ihn anschaue,

sehe ich die Tränen in seinen Augen.

Wir fassen uns fest an den Händen und

langsam steigt ein Lächeln in unser Gesicht

und nichts kann uns mehr bange machen,

auch nicht die große Frau mit der Brille

und den gelben Haaren.

DER LETZTE SCHULTAG

Schon Wochen vorher nagt die Neugier.

Ob das Abschlusszeugnis gut ist?

Ob ich eine Lehrstelle finde?

Ob meine Freunde mir erhalten bleiben?

Ob ich jemals wieder so unbeschwert sein

kann?

 

Endlich ist es soweit.

Mit klopfendem Herzen stehen wir alle in der

Aula.

Ehe wir uns versahen,

war die Schulzeit zu Ende,

und wieder müssen wir uns

mit Unbekanntem auseinandersetzen.

Vielleicht sitzt ja auch dieses mal wieder

ein sommersprossiger Junge neben mir

und hält meine Hand.

Den Kloß in meinem Hals

schlucke ich runter.

Kommt er wegen des Abschieds

oder aus Angst vor dem Morgen?

Wehmut beschleicht mich,

wenn ich daran denke,

diese Mauern nun verlassen

zu müssen,

in denen ich geborgen war,

auch wenn es nicht immer

nur Sonnentage gab.

Tränen schleichen sich in meine Augen,

denn es ist ein Abschied für immer.

Noch einmal möchte ich

meinen Nachbarn an den Händen halten

und sein befreiendes Lächeln sehen.

Nichts kann uns mehr bange machen,

denn unsere Lehrer haben uns

selbstbewusst gemacht,

auch nicht der Lehrherr mit seinem

prüfenden Blick.

 

-