Was suchte die Dame aus Boston in der Eifel?

Felicitas Schulz, Hillesheim

Es war Sonntag, der l. August 1999. Der Hillesheimer Eifelverein hatte zu einer Wald- und Quellenwanderung nach Heyroth eingeladen. Pünktlich um 14.00 Uhr traf man sich am Rathaus. Eine recht wandersmässig gekleidete Dame erschien noch zum Schluss. Mit ihren Shorts, schweren Wanderschuhen und Stock schien sie eine erfahrene Wanderin zu sein. Beim Aussteigen aus dem Auto blieb ihr Rucksack an der Türe hängen und man hörte, wie sie auf englisch etwas darüber murmelte. Oh, schön, dachte mein Mann, der diese Wanderung leitete und sprach sie an. Sie sagte zu ihm, dass sie die deutsche Sprache besser verstehe, als sprechen könne. Aus Boston sei sie und mache in Hillesheim ein paar Tage Urlaub. Sie hörte den Erklärungen über den Eifelwald zu, erfuhr von Windbruch und Jahrhundertstürmen sowie von Neuanpflanzungen, Nutzung des umweltfreundlichen Rohstoffes Holz und auch über die ökologische Funktion von Totholz. Stumm vernahm sie, dass das Ziel der heutigen naturnahen Forstwirtschaft die Nutzfunktion des Waldes für zukünftige Generationen zu wahren sei. Während des Rundganges erzählte sie, dass sie in Hillesheim noch nicht alles gefunden hätte, was sie suche. Ja, was suchen Sie denn? Sie berichtete, dass ihre Vorfahren aus Hillesheim stammen sollen. Einige Sachen seien für sie noch ungeklärt, und sie wollte am nächsten Tag noch einmal durch die Straßen gehen. Ihr gefiel das Wandern mit den anderen Eifelvereinsfreunden und staunend hörte sie den Ausführungen von den zahlreich in der Vulkaneifel auftretenden Mineralquellen zu, die unterschiedlich mineralisiert sind und dass einige Kohlensäurequellen industriell genutzt werden, wovon sie in den Staaten von einer sehr bekannten bereits probiert hatte. Am Ende der sommerlichen Wald- und Quellenwanderung bedankte sich Carolyn aus Boston für die freundliche Aufnahme und für das Kennen lernen der faszinierenden Eifellandschaft. Über Hillesheim hätte sie so gern noch mehr gewusst, ließ sie verlauten. Kurzentschlossen brachte mein Mann die Amerikanerin mit zu uns nach Hause. Ihre Nachforschungen betreffs Ahnenkunde waren ins Stocken geraten, vielerlei Ungereimtes hatte sich angehäuft. Wir forderten sie auf: »Erzählen Sie uns Ihre Geschichte«! Nun berichtete sie, dass mütterlicherseits ihre Vorfahrin 1755 von Hillesheim nach Amerika ausgewandert sei. Mit 17 Jahren hatte sie kurz vorher geheiratet und ihr Mann, der über zwanzig Jahre älter war als sie, verkaufte allen Besitz, darunter ein großes Anwesen mit einem Eckhaus. Der Familienname soll Schank - oder Schenkberg gewesen sein. Die Überfahrt und die folgenden Strapazen bei der Suche nach einem Neuanfang muss an ihrem kränklichen Mann sehr gezehrt haben. Im Alter von 21 Jahren und mit drei kleinen Kindern war sie bereits Witwe. Mit Mut und Beharrlichkeit suchte sie sich einen Treck, der von Philadelphia aus westwärts zog und sie und ihre Kinder mitnahm. Gottvertrauen und »es geht weiter« sollen ihr Kraft gegeben haben, was als Familienmaxime fortan galt. Unterwegs verlor sie bei einer Epidemie alle ihre Kinder, heiratete einige Zeit später einen Einwanderer, der eine andere Konfession besaß, was damals in der neuen Welt, tief in der Wildnis kein Problem darstellte. Man ging einfach mit in die Kirche, die vorhanden war oder schloss sich der Mehrheit an, denn das sonntägliche Treffen war lebenswichtig. Nach der Messe wurde über die Ernte gesprochen, Geschäfte wurden abgewickelt. Die Frauen tauschten Kochrezepte und Heilmethoden aus, die Kinder brachte man zweckmäßig gleich mit. Noch heute findet man in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Canada, besonders in ländlichen Gegenden neben dem Saal, wo der Gottesdienst abgehalten wird, einige stabile Holzbettchen aus der Siedlerzeit, die genutzt werden, wie wir vor Jahren im Mittelwesten der U.S.A. und in Canada erlebten.

Wir erfuhren, dass unser Gast bei der Ankunft auf dem Frankfurter Flughafen vor Tagen sich in einem Reisebüro nach Hillesheim erkundigt hatte. Dort fand man sehr schnell unseres in der Eifel. Hier, auf dem Verkehrsamt, besorgte sie sich Unterlagen wie Stadtrundgang, aus der Stadtgeschichte und anderes für sie Interessantes. Aus den dürftigen Überlieferungen und späteren Aufzeichnungen über den Ort ihrer Vorfahrin wusste sie, dass das Land keine bewaldeten Berge hatte, nur sanfte Hügel mit ertragreichen Böden.

Sehr schnell stellte sich heraus, das andere Hillesheim in Rheinhessen ist »ihr« Hillesheim. Mit Landkarten und einigen Telefongesprächen bestätigte sich das. Sie blieb ein paar Stunden bei uns und so erfuhren wir die ganze Geschichte ihrer Vorfahrin. Nachdem sie zum zweitenmal geheiratet hatte, gebar sie noch 16 Kinder, wovon vier als Säuglinge starben. Ihr Mann soll ein gesunder und tatkräftiger Herr gewesen sein; denn neben der damals lebenswichtigen Landwirtschaft gründete er an einer Wegkreuzung einen Kramladen, der der großen Familie das Dasein erträglicher gestaltete. Von einem dieser Kinder, einer Tochter namens Anna, stammte unser Gast ab. Am nächsten Tag wollte Carolyn weiter fahren, doch ließ sie sich vorerst eine Verbindung von Hillesheim in der Eifel nach Hillesheim in Rheinhessen geben. Von dort kam später ein Anruf, dass sie gefunden hat, was sie suchte, doch versicherte sie zugleich, dass unser Hillesheim bei den stundenlangen Verweilen einen Tag vor der Wanderung sie sehr romantisch gestimmt und sie gern hier ihre Vorfahrin mit Erfolg gesucht und gefunden hätte.