Winfried Pauly,

ein Redemptorist aus der Struth

Alois Mayer, Daun

Der 1. Juli 1990 war schon ein besonderer Termin. Ein ereignisreicher, vor allem seltener Tag für die Struth. An jenem Datum feierte Winfried Pauly aus Sarmersbach seine Primiz. Dies allein ist zwar nicht das Besondere, aber bereits die Tatsache, dass er nach 47 Jahren der erste neugeweihte Priester in der Struth ist, die politisch sieben Dörfer umfasst. Zudem ist er auch der aller erste Geistliche, der aus dem rund tausend Jahre alten Ort Sarmersbach entstammt. Und dies verlieh diesem Festtag schon den Hauch des Außergewöhnlichen. Die altehrwürdige Hilgerather Kirche war überfüllt anlässlich der damaligen Primizfeier, sie war würdig und feierlich, hob sich aber dennoch wohltuend ab von so manchen anderen, die oft übertrieben in Szene gesetzt werden. Für alle, die Winfried Pauly kennen, war es auch nicht überraschend, ihn in seiner Predigt in heimischem Dialekt zu vernehmen. Im Gegensatz zu manchen mit theologischen Spezialbegriffen gespickten, salbungstriefenden Ansprachen, erreichte seine Predigt in schönster bildreicher »Ströder Sprache« jedes Ohr und bewegte Herzen. Und der letzte Satz seiner Rede löste spontanen Beifall aus und ließ den Stolz der Ströder auf ihren Winni noch wachsen: »Un nau lodden ech Och all un, möt mir Gast zu sein, zo äße un zo feiere. Mein Vadder hott et beste Rind un en deck Sau jeschlacht, dat ma och all satt jenn!«

Winfried Pauly wurde am 13. 9. 1962 als viertes Kind der Eheleute Alois und Loni Pauly in Sarmersbach geboren. Eingeschult in die damalige Volksschule Nerdlen-Sarmersbach, wechselte er nach deren Auflösung zum Neusprachlichen Gymnasium nach Daun und dann ab der achten Klasse an das Gymnasium des Redemptoristen-Ordens in Bonn, wo er 1982 das Abitur ablegte. Sein Entschluss, Priester zu werden, stand schon seit längerem fest. Geprägt von den vorgelebten Idealen seiner Redemptoristen-Lehrer, schloss er sich dieser Ordensgemeinschaft an und studierte Theologie in Hennef. Die Redemptoristen (CSSR) oder »Kongregation vom allerheiligsten Erlöser« wurde 1732 vom hl. Alfons von Li-guori zu Scala bei Neapel gegründet. Die Schwerpunkte des Ordens liegen besonders in der außerordentlichen Seelsorge, in Volksmissionen und Exerzitien. Besonders dem Dienst an den Unterprivilegierten, an Menschen im sozialen Abseits, die man leider allzu leicht als Asoziale bezeichnet, fühlt er sich verpflichtet.

Und gerade diese Aufgaben begeistern Winfried Pauly. Für ihn wurde Christi Wort: »Was ihr dem Geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan« zur Losung und Herausforderung. So unterbrach er nach dem 8. Semester sein Studium für ein Jahr und zog in eine Obdachlosensiedlung in Wuppertal, um dort das Leben unmittelbar kennen zu lernen. Weitere wichtige Eindrücke gewann er bei seinem Broterwerb als Hilfsarbeiter in einem Werk der Chemischen Industrie, wo 90 Prozent der Mitarbeiterschaft Ausländer waren. In der verbleibenden Freizeit engagierte er sich zudem in der Hausaufgabenbetreuung ausländischer Kinder. Nach Abschluss des Studiums ging er für sieben Monate als Diakon in eine Kölner Innenstadtpfarrei.

Diese harte »Praktikantenzeit« schreckte Winfried nicht ab, bestärkte ihn in seinem Vorhaben, sich als Priester und Ordensmann den Sozial-Randständigen zuzuwenden.

Projekt Brandenburg

Nach seiner Priesterweihe 1990 war Paulys erster Einsatzort die Telefonseelsorge in Trier. Ein Jahr später wechselte

 

er nach Brandenburg. Die »Mauer« war erst vor kurzem gefallen. DDR und BRD wurden eins, zumindest staatspolitisch. Doch die Diaspora und die teilweise große Konfessionslosigkeit in den neuen Bundesländern war erschreckend. Und erschreckend auch die Erkenntnis über Massenarbeitslosigkeit, die Desorientierung zahlloser Kinder und Jugendlicher und das fehlende Angebot an sozial-psychologischer Betreuung für Bedürftige. Für die Redemptoristen der Kölner Ordensprovinz eine Herausforderung. Gemäß den Aufgaben ihrer Kongregation starteten sie ein Projekt mit dem Ziel, im Zusammenleben mit Randgruppen und Benachteiligten neue Wege für die Seelsorge zu finden. In einer Gesellschaft, die von wachsender Armut gekennzeichnet ist, in der Flüchtlinge immer weniger Heimat finden, und Randgruppen vernachlässigt werden, muss die christliche Botschaft neu gelebt und zur Sprache gebracht werden. Doch diese Botschaft sollte nicht nur versprachlicht und gepredigt werden, sondern durch das Leben, das Wirken und die Vorbildfunktion der Redemptoristen überzeugen.

1991 wurde also Pater Winfried Pauly mit drei Mitbrüdern in die ehemalige DDR-Stahlstadt Brandenburg an der Havel entsandt. In jener geschichtsträchtigen Stadt mit ihrem markanten Dom und mittelalterlichem Stadtkern entstanden seit der Jahrhundertwende um das damals gegründete riesige Stahlwerk große Arbeiterwohnsiedlungen. In dem dortigen Stadtteil Hohenstücken mit seinen rund 30000 Einwohnern, errichtet in den 1970er Jahren vor den Toren der Stadt - von der Bevölkerung unverblümt »Ghetto« genannt - richteten Winfried und seine Mitpatres im ersten Stock eines Ausländerwohnheims ihr kleines Kloster ein. »Fidschi-Box« wird dieser sechsstöckige Plattenbaukasten in der Christinenstraße 2c abwertend von Anwohnern genannt. Früher waren in ihm vietnamesische Vertragsarbeiter und später Asylbewerber und Obdachlose untergebracht. Der Stadtteil Hohenstücken vermittelt ein trostloses Bild, fast ausschließlich sechsstöckige Hochhäuser in Beton-Plattenbauweise, eine Arbeitersiedlung, geprägt durch hohe Arbeitslosigkeit. »Das Wort Orientierungslosigkeit ist schon sehr abgegriffen, aber es beschreibt wirklich die Lage der Leute hier«, schildert Winfried Pauly. »Nach und nach kristallisierten sich die Schwerpunkte unserer Arbeit heraus. So haben wir in der Pfarrgemeinde St. Elisabeth, die mittlerweile keinen eigenen Pfarrer mehr hat, die Gottesdienste übernommen. An den Sonntagen halten wir außerdem Gottesdienste in der Gemeinde St. Bernhard und in der kleinen Diasporagemeinde in Pritzerbe. Unser Hauptschwerpunkt liegt jedoch bei der Zuwendung zu denen, die nicht im Kontakt zu den Pfarreien stehen, in der Jugendarbeit, im Einsatz in den umliegenden Asylbewerberheimen und der Justizvollzugsanstalt Brandenburg, bei Obdachlosen und Aussiedlern von Stadt und Kreis. Ich selbst kümmere mich als Streetworker um die sozial benachteiligten Jugendlichen im Viertel. In Hohenstücken wohnen fast 7000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Rund um das zentrale Einkaufszentrum, in den zugigen Torbögen zwischen den Wohnblocks finden sie sich zu Cliquen zusammen. Hier wird erzählt, geraucht, getrunken. Es gibt zunehmend Drogenprobleme.«

Eine weiß Gott nicht leichte Aufgabe. Eine »außergewöhnliche Seelsorge«, eine Herausforderung für Pater Winfried und seine »Mitkämpfer«.

»Winni ist Klasse«

Das ist die anerkennende Beurteilung der Jugendlichen im ganzen Stadtteil für Winfried Pauly und seine Arbeit. Und unter diesem Titel berichtete auch das Fernsehen mit Bewunderung von den Leistungen der Patres, auf deren Existenz die Klingelleiste im Erdgeschoss hinweist: »Ordensgemeinschaft der Redemptoristen«. In zwei kleinen Wohnungen haben sie sich ein »Hauskloster« eingerichtet mit einer winzigen Kapelle. Winfried Pauly sieht man äußerlich nicht an, dass er Pater ist. Er trägt keine Ordenstracht, ist locker gekleidet wie Jugendliche und spricht auch deren Sprache. Er, der heute von ihnen angenommen und akzeptiert ist, hatte aber zu Beginn seiner Arbeit viele schwierige Hürden zu meistern. Zunächst arbeitete er im »Cafe Contact« mit, einem Arbeitslosen- und Jugendzentrum des Evangelischen Kirchenkreises unweit des Doms. Dann konzentrierte er ab 1992 seine eigene Arbeit als »Streetworker«, als »Straßenarbeiter«, der die Jugendlichen dort aufsucht, wo sie sich in ihrer Freizeit aufhalten; auf den Plätzen, an den Straßenecken, unter den Torbögen, in der Kaufhalle, in der Disko, in den Kneipen. Er bietet sich als Gesprächspartner an, unterbreitet Freizeitangebote, versucht Eigen-initiativen der Jugendlichen zu unterstützen und zu begleiten.

Anfangs erlebte er Rückschläge und herbe Enttäuschungen. Die Jugendlichen waren misstrauisch und wollten unter sich sein. Doch mit der Zeit spürten sie, dass Winnis Interesse an ihnen echt war. Er hörte ihnen zu, sie konnten offen mit ihm reden, er nahm sich der Probleme der Jugendlichen an.

Da war vor allem die Langeweile, der Mangel an geeigneten Treffpunkten, besonders im Winter. Aus Frust wurden Passanten geärgert. Kinder und Jugendliche griffen zur Flasche.

Winni benötigte einen Ort, an dem sich Jugendliche treffen konnten. Er trieb als erstes einen ausgedienten Bauwagen auf. Gemeinsam wurde er zu einem Jugendtreff hergerichtet. Doch dieses Provisorium konnte nicht die Lösung auf Dauer sein.

Winfried Pauly erhielt Kenntnis von einem weiteren Anlaufpunkt der Jugendlichen, dem »Club am Turm«. Zu DDR-Zeiten wurde er als FDJ-Jugendclub gegründet. Nach der Wende sollte er aus finan-

 

ziellen Gründen geschlossen werden. Die Stadt Brandenburg suchte einen freien Träger. Pater Pauly konnte den Caritas-Verband dafür gewinnen. Allerdings machte dieser die Auflage, dass der junge Streetwork-Pater in der Aufbauphase die Leitung übernahm. Dies bedeutete, die Arbeit auf der Straße einzuschränken, sich in das schwierige Leitungsgeschäft einer kulturellen Einrichtung einzuarbeiten, mühselige Verhandlungen mit Stadt und Land um Zuschüsse zu führen. Pater Pauly ließ sich auf dieses Abenteuer ein. Bei der Übernahme des Clubs am 1. 7. 1993 stand er mit seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen vor einem Berg von Problemen. Das Haus mußte saniert werden, es gab große Finanzierungslücken beim laufenden Betrieb. Vor allem aber war da eine Gruppe älterer Jugendlicher, die für sich mehr oder weniger das Hausrecht reklamierte und mit Gewalt dafür sorgte, dass andere erst gar nicht in den Club kamen. Die neue Hausleitung verfolgte dagegen ein pädagogisches Konzept, das auf ein Nebeneinander von Rechten und Linken, von Jüngeren und Älteren, von Mädchen und Jungen, von einzelnen und Gruppen setzte. Es kam zu gewalttätigem Widerstand der Alteingesessenen, der sich in mutwilligen Zerstörungen im Haus, Drohanrufen und -briefen sowie Faustschlägen an die Adresse des jungen Paters entlud. Es dauerte zwei Jahre, bis die größten Schwierigkeiten überwunden waren. Heute kommen manchmal über 100 Jugendliche gleichzeitig in den Club mit seinen vielfältigen Angeboten. Das pädagogische Konzept ist aufgegangen. Ende Dezember 1995 konnte Pater Pauly die Leitung des Clubs an seinen Stellvertreter, einen Diplom-Sozialpädagogen übergeben und sich wieder der Arbeit auf der Straße widmen. »Denn diejenigen, die nicht den Weg zum Clubßnden, die diesem die Straße vorziehen, brauchen meine Hilfe noch nötiger«, sagt er - einfach so.

Winfried Pauly - die Lobby für Jugendliche

Und auf seine Initiative hin gründete sich ein »Arbeitskreis für Kinder und Jugendliche in Hohenstücken und Görden«. In ihm treffen sich monatlich Vertreter der Schulen, des Jugend-, Sport- und Sozialamts, der Freien Träger, der Polizei und viele Interessierte, um stadtteilbezogene Anliegen der Kinder- und Jugendarbeit zu besprechen. Seit Jahren vertritt Pater Pauly die Interessen der Jugendlichen im Jugendhilfeausschuss der Stadt und neuerdings auch des Landes. Winni ist Missionar, aber keiner, dem man es ansieht oder der penetrant mit erhobenem Zeigefinger winkt. Das Wort »Missionsarbeit« wird auch kaum in seinem Sprachschatz vorkommen, aber sein missionarisches Wirken zeigt Erfolge.

Viele Kinder und Jugendliche kommen zu »ihrem Winni« und seinen Mitpatres ins Kloster, fühlen sich wohl, holen sich aus der Schrankwand Gesellschaftsspiele, verbringen sinnvoll ihre Freizeit, sprechen und diskutieren, schildern ihre Sorgen und Nöte, berichten über Freudiges und Leidvolles. »Winni ist Spitze, ein guter Kumpel. Er ist eine Vertrauensperson, mit der man über alles sprechen kann. Er ist einer, der sich wenigstens einen Kopf macht.« So reden Jugendliche, die fast durchweg bisher keinerlei Beziehung zur Kirche hatten, für die der Papst eine Witzfigur und der christliche Glaube weltfremd und überholt ist. »Dass ich als Priester und Ordensbruder so ganz >normal< bin, stellt ihr Kirchenbild auf den Kopf, gibt immer wieder Anlässe zum Nachdenken. Wir leben so, dass wir immer wieder nach dem gefragt werden, woraus wir leben«, sagt Pater Pauly. »Für die Jugendlichen ist die Konfrontation mit einer Ordensgemeinschaft eine andere Welt. »Glaubst Du wirklich an den da oben? Was, Du betest? Mach mal!< Solche Fragen und Aufforderungen begegnen uns häufig. Ihnen darauf verstehbare Antworten zu geben, ist nicht einfach, berühren sie doch eine Erfahrungsdimension, die den Jugendlichen bisher verschlossen geblieben ist. Manches Mal bleibt es beim Unverständnis.« »Gegenstand intensiver Gespräche sind oft die Ordensgelübde. Diese haben hier eine Aussagekraft entwickelt, die stärker ist als in einem kirchlichen Umfeld«, erklärt Pater Pauly. »Da ist die Ehelosigkeit. Für die Jugendlichen ist es unvorstellbar, dass da einer vor ihnen steht, der noch nie mit einer Frau geschlafen hat und das zwar als Verzicht, aber nicht als einen Mangel empfindet. Sexualität ist für sie das Thema Nr. l und da ist jemand, für den es das nicht ist. Das bringt einige völlig durcheinander. Genauso unvorstellbar ist für sie, dass wir vier Ordensbrüder unseren Verdienst in eine gemeinsame Kasse geben. Immer wieder warnen uns Jugendliche, wir würden noch einmal >auf die Nasefallen<. Aber jede Beziehung beginnt mit einem Vertrauensvorschuss. Für viele eine Einstellung, der sie noch nie begegnet sind.«

»Ihr müsst es vorleben!«

Diese biblische Weisheit ist für Winfried Pauly Programm. Und er erklärt es: »Ein großer Mangel bei Erwachsenen und Jugendlichen ist eine gute Streitkultur. Es wurde nicht gelernt, gegensätzliche Standpunkte gelten zu lassen, zu tolerieren. Statt dessen werden Differenzen oft mit Gewalt ausgetragen. Einen anderen Umgang vorzuleben, ist darum eine wesentliche Aufgabe.« Und bewiesen hat er es auch. Wiederholt war er in den ersten schwierigem Zeiten im »Club am Turm« körperlichen Übergriffen ausgesetzt. Er wurde mehrfach geschlagen, schlug aber nicht zurück. Für die Umstehenden eine nicht begreifbare Reaktion. Doch Pauly machte deutlich, dass Gewalt für ihn keine Lösung sei. Die Jugendlichen erlebten an ihm mit, dass auch er Angst hatte wie sie, aber dass es für ihn mehr Werte gibt als die Verteidigung der eigenen Person. Oft stellte er sich auch schützend vor andere und war bereit, dafür ein großes Risiko einzugehen. Tätlichkeiten gegen ihn und seine Reaktion darauf sprachen sich herum wie ein Lauffeuer. Eine Gruppe von Skinheads bot ihm Personenschutz an, doch Winfried lehnte ab mit dem Hinweis, dass er nicht mit Gewalt gegen Gewalt vorgehen wolle. Eine für die Jugendlichen unbegreifliche Erfahrung, aber ein schönes Beispiel für den Grundansatz der Arbeit der Brandenburger Redemptoristengemeinschaft, nicht durch Predigten und Vorträge, sondern durch das Leben mit den Benachteiligten, das Eintreten für ihre Anliegen, die Hilfe in der Not ihr Glaubenszeugnis abzulegen. Winfried Pauly bestellt das seelische Feld bei Menschen. Er, der als Struther Bauern-junge die Feldarbeit aus eigener Erfahrung kennt, ackert und sät. Und seine karitative Saat wird bei vielen aufgehen und Frucht bringen.