Urkund der Wahrheit

Erwin Holzer, Feusdorf

Jünkerath ist bereits seit alter Zeit ein Ort, an dem das Eisen gewonnen und dem Menschen nutzbar gemacht wurde. In der Umgebung gibt es alles, was man in vorindustrieller Zeit zur Eisengewinnung und -Verarbeitung braucht; den Rohstoff Eisenerz (als Rot- und Brauneisenstein) und die Energiequellen Holz und Wasser. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich bereits in der Römerzeit im Jünkerather Raum Spuren einer Eisenverhüttung finden. Im Mittelalter, als überall in der Eifel Eisenhütten entstehen, bleibt der Jünkerather Raum allerdings zunächst nicht nachhaltig erfolgreich. Für das 14. und 15. Jahrhundert wird in Jünkerath zwar eine Eisenhütte erwähnt, die jedoch aus unbekannter Ursache wieder in Verfall geriet. Ein neuer (und dauerhaft erfolgreicher) Anfang der Eisennutzung kommt dann aber am 14. Mai 1687. An diesem Tag unterzeichnet der einflussreiche Eifeler Territorialherr Salentin Ernst von Manderscheid-Blankenheim, dem auch die reichsfreie Herrschaft Jünkerath gehört, auf seinem Residenzschloss Blankenheim das Gründungsprivileg für ein neues Jünkerather Hüttenwerk und versieht die »Urkund der Wahrheit« mit seinem Großsiegel. Ernst Salentin ist ein aufgeklärter und engagierter Landesherr, der vieles versucht, um in den unruhigen Zeiten des ausgehenden 17. Jahrhunderts die Wohlfahrt seiner Untertanen (und damit natürlich auch den eigenen Wohlstand) zu verbessern. Er hat aufmerksam beobachtet, dass viele seiner Nachbarn, insbesondere das Geschlecht der Arenberger, die Eisengewinnung und -Verarbeitung in ihren Territorien mit Gewinn für sich und ihre Untertanen fördern. Er beschließt deshalb, ihrem Beispiel zu folgen: »Wir Salentin Ernst, Graf zu Manderscheid und Blankenheim, Freiherr zu Jünkerath, Herr zu Daun und Erp, des Erzstifts Köln Erbhofmeister, tun hiermit kund und bekennen, da wir seit vielen Jahren beobachten wie unsere benachbarten Herren und Vettern in ihren Eisenhüttenwerken sich selbst und mehr noch ihren Untertanen durch kontinuierliches Gewerbe Nutzen schafften, dass wir zur Errichtung desgleichen in unserer Graf- und Herrschaft dem fürstlich arenbergischen Landschultheißen und derzeitigen Hüttenmeister zu Ahrhütte, Johann de Leau und seiner Gemahlin, Anna Maria Ruth von Asp gnädig bewilligt und gestattet haben, ein freies Hüttenwerk auf beste Manier, und wie es ihm von Nutzen scheine, in unserer reichsfreien Herrschaft Jünkerath an der Kyll auf unserem eigenen Grund und Boden zu errichten....«

Es folgen in der Urkunde zahlreiche Regelungen, die den Erfolg der neuen Hütte sichern sollen. So bemüht sich Ernst Salentin, die Versorgung des neuen Hüttenwerks mit dem notwendigen Erz sicherzustellen. Da dieses Erz zunächst in erster Linie aus den Ländereien der benachbarten Arenberger Fürsten kommen soll, wendet er sich an die häufig in Brüssel residierenden Arenberger, die dort hohe Ämter im Dienste der habsburgischen Kaiser versehen: »Weil eines Hüttenwerkes Grundlage der Eisenstein ist, und solcher zur Zeit aus dem Arenberg'schen Commersdorfer Bergwerk genommen werden muss, wir aber vernehmen, dass es zwischen den fürstlich arenbergischen Commis, der Stall- und Ahrhütten und den Müllen-born-Cronenburger Hüttenmeistern des Steins wegen oft Schwierigkeiten gibt, so haben wir Ihre fürstliche Gnaden von Arenberg um Bewilligung ersucht, dass solch notwendiger Eisenstein an das Jünkerather Hüttenwerk ausgegeben werde, und darauf erhielten wir die gnädige schriftliche Bewilligung aus Brüssel..., dass der Statthalter Herr Johann Christoph Vey- der die Anweisung erhalte, diesem Hüttenmeister den notwendigen Eisenstein ohne Benachteiligung der übrigen auszuhändigen.« Künftig soll das Eisen zum höheren Gewinn

 

Takenplatte im Eisenmuseum, Darstellung einer mittelalterlichen Eisenhütte mit Hammerwerk zum Ende des 17. Jahrhunderts.

der Beteiligten aber auch aus den eigenen Landen kommen: »Daneben bewilligen wir gnädig dem Hüttenmeister für alle Zeiten das Recht, in unserer Graf- und Herrschaft nach Belieben Eisenstein zu suchen und ausgraben zu lassen, behalten uns aber den zehnten Teil des so gefundenen vor.« Wichtig ist auch die Sicherung der notwendigen Energiequellen für das neue Hüttenwerk: Holzkohle zum Schmelzen des Erzes und Wasser zum Betreiben der Hämmer. Dem Hüttenmeister werden deshalb eine Reihe von Wald- und Wasserrechten zugesichert. Die neue Hütte darf Holzkohle herstellen lassen und zur Sicherung des notwendigen Wasserstandes der Kyll beschränkt Ernst Salentin seine eigene Nutzung des Flüsschens: »Gleichwohl sollen weder wir noch unsere Erben das Recht haben, Wasser abzuleiten, wenn das Hüttenwerk betrieben wird.« Da der Holzeinschlag für die Gewinnung von Holzkohle und den sonstigen Holzbedarf der Hütten bereits im 16./l7. Jahrhundert zur Entwaldung weiter Flächen und zu Holzknappheit geführt hatte, setzt Ernst Salentin als fürsorglicher Landesherr zugleich mit der Bewilligung aber auch Grenzen: »Weil uns untertänigst berichtet wurde, dass in der Hütte viel Ruten und Kleinholz gebraucht werden, so gestatten wir ein für allemal unserem Förster, solches Holz im Feusdorfer und Gönnersdorfer Busch zu schlagen, jedoch mit der ausdrücklichen Bedingung, dass hierbei kein Missbrauch geschehe.«

Zu Nahrungsmittelversorgung der Hüttenarbeiter werden dem Hüttenmeister eine Reihe von Weiderechten zugewiesen, unter anderem im Bereich der zur Herrschaft Jünkerath gehörenden Gemeinden Feusdorf und Gönnersdorf: »Wir haben durch unseren Oberschultheißen zu Esch die Gemeinden Feusdorf und Gönnersdorf, die den meisten Nutzen von dieser Hütte haben können, bewegen lassen, dass sie dem Hüttenmeister ein für allemal für drei Kühe und zwei Pferde Weideland bewilligen.« Auch für die Versorgung mit sonstigen Gütern erhält der Hüttenmeister Privilegien und Befreiungen: »Weiter bewilligen wir, solang das Hüttenwerk betrieben wird, die Freiheit aller commercien an Wein, Bier, Brandwein, Tabak, Früchten, Leder, Leinwand, auch Wolltuch, jedoch mit Vorbehalt, dass Wein, Bier und Brandwein nur von den zum Werk gehörenden Arbeitern und von denen, die dort abzurechnen oder sonst zu schaffen haben, konsumiert wird.« Der Hüttenmeister darf auch eine eigene Mühle sowie ein Back- oder Brauhaus errichten, ihm wird zudem ein Abschnitt der Kyll zur Fischerei übertragen: »Ferner bewilligen wir hiermit ein für allemal dem Hüttenmeister oder dessen Verwalter die Fischerei in der alten Kyll von der Schleuse der jetzt abgegrabenen neuen Kyll bis sodann den Hüttenteich, soweit dieser nicht zum Tiergarten gehört.« Auch für das seelische Heil der Hüttenarbeiter wird eine Regelung getroffen: »Der Seelsorge halber ist dies Hüttenwerk der Pfarrei Glaadt unterstellt.« Im letzten Teil der Gründungsurkunde kommt Ernst Salentin dann auch zu dem Gewinn, den er selbst von dem neuen Hüttenwerk haben will: »Damit nun wir und unsere Erben und Nachkommen dieser cessionen und Befreiungen Ergötzlichkeit haben mögen, haben wir uns mit dem erwählten Hüttenmeister, Johann de Leau, geeinigt, dass er halbjährlich 50 Reichstaler, zu 80 Albi, der Albus zu 12 kölnischen Hellern, zahlen solle....«

Für die Zeit, bis die Hütte richtig läuft, gewährt Ernst Salentin allerdings Zahlungserleichterungen. Ernst Salentin scheint in seiner Urkunde wirklich an alles gedacht zu haben, denn die so sorgfältig und umfassend geregelte Gründung hatte durch die folgenden Jahrhunderte bis zum heutigen Tage Bestand! Unter zahlreichen wechselnden Herren - auf Johann de l'Eau folgten die Familien Peuchen, Münker und Poensgen, schließlich die Firmen Demag und Mannesmann - blieb die Jünkerather Hütte erfolgreich, während zahllose andere traditionsreiche Eifeler Hütten aufgeben mussten. Noch heute wird hier Eisen, wenn auch nicht mehr aus Eifeler Gruben, zu nützlichen und anspruchsvollen technischen Gütern gegossen. Im gleich neben dem Jünkerather Werk gelegenen Eisenmuseum kann man die Gründungsurkunde des Jahres 1687 in einem aus Anlass der 275-Jahr-Feier der Gießerei Jünkerath erstellten Faksimile bewundern. Nicht nur wegen dieser interessanten und für die Ortsgeschichte von Jünkerath unvergleichlich bedeutsamen Urkunde lohnt sich ein Besuch.