Heuschrecken

Plage der Menschheit und Glücksbringer

Andrea Jakubzik, Köln

Insekten werden von uns heute eher beiläufig wahrgenommen. Nur hin und wieder stören im Sommer die Stubenfliegen und Mücken, lassen Wespen- und Hornissennester Furcht aufkommen und beschwören größere Maikäferaufkommen Katastrophenstimmung. Die Schönheit von Insekten wird so gut wie gar nicht registriert, allenfalls erregt schon mal ein schöner Schmetterling Bewunderung. Diese Einstellung wird nicht von allen Völkern unseres Planeten geteilt und war früher auch in unserem Raum nicht so vorhanden. Vielmehr empfand man Insekten als Elemente der Natur, die die Lebensqualität im Positiven wie im Negativen bestimmen konnten. Gerade die Heuschrecken waren vielbeachtete Mitgeschöpfe. Als eine der ägyptischen Plagen bedrohten sie das Land der Pharaonen, wobei die in der Bibel beschriebene Heuschrecken-Invasion keineswegs übertrieben ist: »Die Heuschrecken fielen über ganz Ägypten her und ließen sich in ungeheueren Mengen im ganzen ägyptischen Gebiet nieder... sie bedeckten die Oberfläche des ganzen Landes, das davon verdunkelt wurde, und fraßen alle Feldgewächse und Baumfrüchte, .. .so dass in ganz Ägypten nichts Grünes an den Bäumen... übrig blieb.« (Exodus 10, Vers 12-15). Die weltweit durch diese gefräßigen Insekten an Pflanzen angerichteten Schäden sind immens und als wohl bedeutendster Schädling des Altertums wurden sie neben einigen weiteren Tieren in Dokumenten aus der Ur- und Frühzeit immer wieder bildlich dargestellt und erwähnt. Besonders aus dem Alten Ägypten ist eine Reihe von Darstellungen überliefert. In einem alten Papyros beklagt sich ein Bauer: »Der Wurm hat die eine Hälfte der Nahrung genommen und das Nilpferd die andere. Es hat die Mäuse auf dem Felde gegeben und die Heuschrecken sind niedergefallen, das Vieh hat gefressen und die Spatzen haben gestohlen.«

Der griechische Dichter Homer beschrieb in seinen Epen bereits das Verhalten von Heuschrecken.

Heuschreckenjahre und Hungersnöte

Durch alle Kulturkreise des Altertums, des Mittelalters bis in die Neuzeit zieht sich die Angst vor Wanderheuschrecken und ihren Attacken, denn oftmals folgten den Invasionen jahrelange Hungersnöte durch die vollkommene Vernichtung der Ernte. Nach vorsichtigen Schätzungen hatte Europa im Mittelalter und in der Neuzeit nachgewiesene 134 Heuschreckenjahre, Deutschland davon 54.

Die Züge der europäischen Wanderheuschrecke führten von ihren Brutplätzen in Ungarn, Rumänien und Südrussland entlang der Donau bis in die Schweiz, im Süden Österreichs bis nach Südtirol. Im Norden zogen sie durch Deutschland bis nach Frankreich und Belgien, auf einem anderen Weg drangen sie über Berlin bis zur Ostsee vor. Mittels der sehr kräftigen beißenden Mundwerkzeuge wurden Felder, Obstbäume, Gärten und sogar Wald von den gefräßigen Eindringlingen kahlgefressen, wobei ein mittlerer Schwärm allein während seiner Jugendentwicklung etwa 20.000 Tonnen Grünmasse vertilgt. Gewaltige Heuschreckenschwärme verursachten im Jahre 873 zwischen Mainz und Hersfeld eine große Hungersnot, als sie vor der Ernte in das Gebiet eindrangen. In der Steiermark fand 1309 ein Heuschreckeneinfall statt, den der österreichische Geschichtsschreiber Ottokar von Steiermark in seiner Reimchronik (1290-1310) schildert. Welches Entsetzen die Heuschrecken hervorriefen, geht daraus hervor, dass Ottokar mitteilt, es wären von einem Knappen, der zuviel getrunken hatte, und der aus Neugier mit seinem Pferd in den Heuschreckenzug hineingeritten sei, nur das Gebein des Mannes sowie seines Pferdes und sein Gewand gefunden worden. 1693 war eines der bekanntesten Heuschreckenjahre. Nach dem Verschwinden der Tiere atmeten die Menschen in Mitteleuropa erleichtert auf, Gedenkmünzen geben noch heute Zeugnis von diesem Schrecken.

Im Sommer 1711 kam in Masuren, kurz nachdem die Pest grausamen Tribut gefordert hatte, eine neue Plage über das Land: Scharen von Wanderheuschrecken machten sich über die Ernte her. Die Regierung in Königsberg erließ daraufhin eine Verordnung: »Anfänglich müssen an jedem Orte, wo dergleichen Ungeziefer sich findet, einige Leute bei anbrechendem Tage in den Feldern mit breiten Schaufeln sich einfinden und die von der Kälte betaumelten Heuschrecken mit der verkehrten Seite totschlagen... darf dieses Ungeziefer nicht tot auf dem Felde belassen werden, sintemal aus ihren toten Körpern und aus den daran hängenden Eiern die neue Brut entstehet und solchergestalt dieses Geschmeiß auf künftiges Frühjahr sich einfinden könnte, sondern in tiefen Kaulen vergraben... werden muss.«

Schließlich endeten in Mitteleuropa die Bedrohungen durch große Heuschreckenzüge im 19. Jahrhundert.

Glockengeläut und Kanonen gegen Heuschrecken

Drei Eigenschaften machen die Wanderheuschrecken zu nur sehr schwer bekämpf baren Schädlingen; ihre kaum vorhersehbare Massenvermehrung, ihre Fähigkeit zur Schwarmbildung und das grenzüberschreitende Wanderverhalten. Da aber in Altertum und Mittelalter biologische Zusammenhänge so gut wie unbekannt waren, konnte man sich derlei Phänomene überhaupt nicht erklären. Entsprechend dem Stand der wissenschaftlichen Aufklärung zieht sich daher eine ganze Palette sehr unterschiedlicher Bekämpfungsmaßnahmen durch die Jahrhunderte.

Im Altertum rückte man den Tieren mit schwelenden Feuern zuleibe und trieb ihre Larven in wassergefüllte Gräben. Überliefert sind auch Vertreibungsversuche durch Glockengeläut, Trommelwirbel, Pistolenknall, ja sogar durch Kanonenschüsse. Die katholische Kirche versuchte im Mittelalter mit Exkommunikation und Beschwörungen der Bedrohungen durch Heuschrecken Herr zu werden. Nach dem Befehl der Kirche sollten sich die Tiere von den bestellten Feldern zurückziehen auf Plätze, die ihnen vom Bischof zugewiesen wurden. Die Heuschrecken verschwanden natürlich nicht umgehend, was man wiederum auf die Sünden der Ortsbewohner zurückführte. Auch vor Gericht sind die Tiere schon gestellt worden; so geschehen in Basel 1481, als Heuschrecken verklagt und mit dem Bann belegt wurden.

Das Edikt der Kaiserin Maria Theresia

Vom Altertum bis in das 18. Jahrhundert wurden gesetzliche Bestimmungen hinsichtlich der Heuschreckenbekämpfung herausgebracht. Angesichts des gewaltigen Einfalls von Heuschrecken in den Jahren 1747/1748 erließ Kaiserin Maria Theresia ein Edikt, das schon ganz vom Geist der Aufklärung getragen war, mit dem Titel: »Beschreibung, deren Anno 1747 und 1748 in der Wallachey, Moldau und Siebenbürgen eingedrungenen Heuschrecken, und was zu derenselben Ausrottung für Mittel zu gebrauchen seyen.« »Quarto: Was sie für Schaden gethan, und zu thun pflegen? Ad Quartum. Wo sie sich niedergelassen, haben sie allerhand Früchte, so noch mil-chicht, und grün, auch das Graß, hauptsächlich den Schilf abgefressen. Wo sie aber im Frühe-Jahr ausgebrüttet worden, und in die noch zarte Früchte sich vor dem Flug kriechend, und hupfend ausgebreitet, haben sie alle Früchte, und Graß dergestalten abgefressen, dass nur die blosse Erde geblieben. Septimo: Was zu ihrer Vertreibung für das beste, und ergeblichste Mittel befunden worden?

Ad septimum: Wenn aber die Früchte schon halb, und fast zeitig seynd ist kein anderes Mittel, auch dieses noch nicht zu völliger Ausrottung, sondern allein zu einer merklichen Verminderung, dass man mit vielen Leuten einen Fleck Früchte umfange, durch welche sie mit Sehellen, Glöcklein, oder ändern Messing, Kupfer, und eisernen Geschirr, Trommeln, und dergleichen Getöss, und Geschrey. Wann sie schon von Thau gegen 8. oder 9. Uhr getrocknet auf ein blasses oder abgemähtes Stück Erden größten Theils zusammen getrieben und dann, wann sie dicht übereinander hupfen, mit Dreschflegeln, dicken starken Hofbesen, und von harten Brettern mit einem schrägen Stiel zugerichteten Pritschen todt geschlagen, zusammen gekehret, und mit Stroh und trockenem Mist verbrennet werden können.« (Aus Rösel von Rosenhof, 1749) Als mit dem 20. Jahrhundert das Zeitalter der Insektizide begann, ließ sich die Plage endlich erfolgreich eindämmen.

Satelliten und Nomaden im Kampf gegen Heuschrecken

Heutzutage wird die Überwachung der Heuschrecken nicht nur von Satelliten, sondern auch von afrikanischen Nomaden durchgeführt. Aus Mitteleuropa ist die Bedrohung aufgrund der Zerstörung der Brutgebiete durch landwirtschaftliche Kultivierung inzwischen verschwunden. Doch in anderen Bereichen der Erde ist die Plage noch allgegenwärtig. Im Sommer letzten Jahres überfielen die gefräßigen Insekten Sibirien und Russland und vernichteten einen Großteil der Ernte. Neben außergewöhnlicher Hitze und Trockenheit trug der Zerfall der postsowjetischen Landwirtschaft zu dieser heftigen Plage bei. Die Tierchen lieben nämlich neben hohen Temperaturen verödete Böden, die sie im Russland der Nachwendezeit reichlich finden.

Vom Einzelgänger zum Schwärm

Unter dem Begriff »Wanderheuschrecke« werden weltweit 10 Arten zusammengefasst, die unter bestimmten optimalen Bedingungen wanderlustige Massenheere bilden und große Schäden verursachen. Alle Wanderheuschrecken gehören zur Familie der Feldheuschrecken, wobei die Europäische Wanderheuschrecke die verbreitetste ist und mit 10 Rassen nahezu die gesamte Alte Welt bewohnt. Eigentlich sind Heuschrecken eher ortsgebunden und verstreut lebende Einzelgänger. Wie werden nun aus solchen Individualisten riesige Wander-Schwärme? Innerhalb des Verbreitungsgebietes einer Art gibt es nur wenige kleine Bezirke, in denen die Möglichkeit einer Schwarmbildung besteht. Hier kommen günstige Eiablageplätze mit lockeren Böden und spärlicher Vegetation sowie reichhaltige Nahrungsplätze für die Larven zusammen. Auf diese Weise wird eine Massenvermehrung bedingt, durch die die Tiere so dicht beieinander sitzen, dass sie sich ständig gegenseitig beeinflussen. Dies führt zu einer Steigerung der Erregung, Aktivierung der Lebensprozesse und einer allgemeinen erhöhten Reizbarkeit. Wird nun ein kritischer Erregungspunkt überschritten, kommt es zur Herausbildung der Schwarmphase, in der die Individuen einen starken Annäherungstrieb, Erregungsdrang und die Neigung, Bewegungen der Artgenossen nachzumachen, zeigen. Bei passenden Wetterbedingungen findet schließlich die Schwarmbildung statt; wie auf ein Signal hin erheben sich die Tiere und fliegen in die gleiche Richtung. Sie können offenbar gewaltige Flugstrecken ohne Unterbrechung zurücklegen, denn es wurden Schwärme bis zu 2000 km vom Festland entfernt über dem Meer beobachtet.

Die Ausmaße der Schwärme sind riesig: 700 Millionen bis zwei Milliarden Tiere mit einer Ausdehnung von fünf bis 12 km2 sind nichts Ungewöhnliches. Es wurden jedoch auch schon Schwärme mit ungefähr 35 Milliarden Individuen gesichtet. Mit der Zeit werden die Schwärme durch ungünstige Lebensbedingungen immer individuenärmer, es kommt wieder zum Wechsel in die Einzelgänger-Phase.

Frittierte Heuschrecken

Wo immer es geht, sollte man aus unabwendbaren Katastrophen in pragmatischer Weise zumindest noch einen möglichen Teilnutzen ziehen. Dementsprechend werden in den Speisegesetzen von Moses auch Heuschrecken genannt: »Ihr sollt essen von allem, was sich bewegt, Flügel hat, auf vier Beinen geht und noch dazu zwei Beine zum Hüpfen hat.« In der Bibel sind sie eine durchaus gängige Nahrung:

»Johannes aber war bekleidet mit Kamelhaaren und aß Heuschrecken und wilden Honig.« (Markus-Evangelium, Vers 1/6)

Im Heuschreckenjahr 1693 kochte Hiob Ludolf diese Tiere wie Flusskrebse, legte sie in Weinessig mit Pfeffer ein und servierte sie dem Frankfurter Stadtrat, der versammelt war, um das Heuschreckenproblem zu lösen. Hingegen stellt heutzutage der Genuss solch kulinarischer Kuriositäten eine Ausnahme dar, dem man nur in einigen mehr oder weniger skurrilen Restaurants frönen kann, zumindest in unseren Breiten. Ganz anders in Erdteilen wie Afrika, Asien oder Amerika, hier war und ist bei vielen Kulturen der Verzehr von Insekten, also auch von Heuschrecken, ein normaler Lebensbestandteil. In Afrika wurde oft aus der Not eine Tugend gemacht; waren die Nahrungspflanzen der Buschbewohner durch Heuschrecken vernichtet, so aßen diese einfach die Tiere selbst. Bereits vor Sonnenaufgang standen die einheimischen Buschmänner auf, um die Insekten zu fangen, bevor diese sich erwärmten und umherzulaufen begannen. Somit riefen in Afrika Heuschreckenplagen nie Hungerkatastrophen in dem Ausmaß wie in Europa hervor.

Heuschrecken als Glücksbringer und Medizin

Der intensive Kontakt zu den Heuschrecken wirkte auch in transzendentale Felder menschlicher Existenz hinein; Darstellungen dieser Insekten galten und gelten bei vielen Kulturen als magisches Zeichen, religiöses Symbol oder Glücksbringer. Nach dem Volksglauben »verbürgen Amulette in Gestalt einer Heuschrecke oder Grille Erfolg in geschäftlichen Dingen, während es als glücksverheißendes Omen gilt, die Tierchen im Gras oder in der Nähe des Hauses zirpen zu hören. Auf keinen Fall darf man ihnen weh tun oder sie verscheuchen.« (Villiers Ö Pa-chinger, 1927)

Als ein das Böse abwehrendes Sinnbild findet man Heuschrecken auf griechischen Münzen und Gemmen. In der christlichen Tiersymbolik verkörpern sie das Sinnbild der Seele, da sie sich viermal häuten, was als Befreiung von der Last des Irdischen angesehen wird. Ja sogar in die Medizin fanden sie Eingang. Nach altem Volksglauben sollen mit dem beim Biss des Warzenbeißers - einer bis 4,5 cm langen, plumpen Heuschrecken-Art - abgegebenen Darmsaft wirkungsvoll Warzen bekämpft werden.

Heuschrecken-Musik

Schließlich dienten Heuschrecken auch zur Unterhaltung des Menschen. Die Chinesen hielten sie in eigenen kleinen Käfigen, lauschten der Musik der Tiere und fütterten sie mit Grünzeug und Gurkenscheiben. In der Shang- und Zhou-Dynastie (etwa 1500-960 v. Chr.) war es Mode, zirpende Grillen unter der Kleidung zu tragen. In Hamburg und Umgebung bestand seit dem 18. Jahrhundert die Volkssitte, im Herbst die große Grüne Laubheuschrecke in häuschenartigen Pappkäfigen als Haustier zu halten. Dieser Brauch hielt sich bis kurz vor dem ersten Weltkrieg.

In China standen sogar Kämpfe zwischen Heuschreckenmännchen im Mittelpunkt gesellschaftlichen Interesses. Bei den Wetten über den Ausgang der Turniere wurden große Summen gesetzt, so dass die Verlierer oft Haus und Hof verloren. Die Namen der Champions wurden sogar auf Elfenbeintafeln festgehalten. Demgegenüber spielen Insekten insgesamt in unserer Kultur kaum eine positive Rolle. Wir Deutschen singen allenfalls als Kinder das Lied: »Maikäfer flieg...«; die Spanier und Südamerikaner widmen allerdings schon der Küchenschabe einen Tanz: »La coca-racha«. Vielleicht sollten auch wir den Insekten wieder mehr Interesse entgegenbringen.

Literatur:

BERENBAUM, M. R. (1997): Blutsauger, Staatsgründer, Seidenfabrikanten: die zwiespältige Beziehung von Mensch und Insekt. - Heidelberg. GÜNTHER, K. et al. (1994): Urania-Tierreich: Insekten. - Jena. KEMPER, H. (1968): Kurzgefasste Geschichte der tierischen Schädlinge, der Schädlingskunde und der Schädlingsbekämpfung. - Berlin. RÖSEL VON ROSENHOF, A. J. (1749): Der monatlich herausgegebenen Insecten-Belustigung ZweyterTheil, welcher acht Klassen verschiedener sowohl inländischer als auch ausländischer Insecten enthält. - Nürnberg. SCHIMITSCHEK, E. (1977): Insekten in der bildenden Kunst. - Veröffentlichungen des Naturhistorischen Museums Wien, N. F. 14. Wien. VTLUERS, E. a PACHINGER, A. M. (1927): Amulette und Talismane. -Berlin.