Ein Dreschtag, den ich nie vergesse

Christel Weber, Birresborn

Es war im November Anfang der dreißiger Jahre. Schon die ganze Woche hörte man aus irgendeiner Scheune des Dorfes das Geräusch der Dreschmaschine; heute nun bei uns. Mit einer Zugmaschine, die wohl der Urahn der heutigen Traktoren war, brachte Onkel Pitter schon am Vorabend die Dreschmaschine in unsere Scheune. Als ich mittags aus der Schule kam, türmten sich riesige Strohbündel auf dem Hof. Jetzt war Stille.

In der Stube saßen alle, die beim Dreschen halfen, um den großen Tisch. Erst gab es einen Schnaps, um den Staub aus Mund und Hals zu spülen. Nach dem Tischgebet gingen dann die Schüsseln rund. Sauerkraut war es nicht, das roch ich. Mutter hatte Schweinebraten und grüne Bohnen aus dem Steintopf im Keller gemacht Alle Esser lobten die Veränderung des Speisezettels. Sauerkraut ist ja auch ein gutes Essen, aber alle Bauersfrauen hatten um diese Jahreszeit die »Kappes-bütt« fertig und das Schwein in der Butt. Doch wenn man, wie die Drescher, die oft 10 bis 14 Tage mit der Maschine von Scheune zu Scheune zogen, fast jeden Mittag Sauerkraut und gekochtes Schweinefleisch bekam, verging der Appetit darauf. Am frühen Nachmittag wurde es schon dämmerig. Die Lampen wurden fertig gemacht, weil in Stall und Scheune noch kein elektrisches Licht war. Aber das Petroleum reichte nicht. Was nun? Im Dorf gab es keins zu kaufen. Da sagte Tunnen Tant, die meiner Mutter in der Küche half: »Us Mattes wor alt oft mat mir zu Gerolsten un dem Kölner Kaufhaus. Jef him un irem Christel en Flasch und et Jeld, da kunnen die flott durch et Millenwäldchen lofen, da hen se hos de Ker!« Aufgeregt schritt ich mit Mattes, denn ich war noch nie durchs Mühlenwäldchen gegangen. Wenn wir sonntags nach Gerolstein in die Messe gingen, durften wir nur den alten Lissinger Weg hin und zurück benutzen.

Wie erstarrt stand ich später vor den riesigen Schaufenstern an dem Eckhaus am Hindenburgplatz. Darin waren ein Mann, eine Frau und ein Kind in Sonntagskleidern und bewegten sich alle nicht. »Komm«, sagte Mattes, »dat sind doch nur Poppen«. Ich sagte: »Key un dem feine Geschäft mosen mir hudetsch schwäzen. Wes do, wie Petroleum ob Hudetsch hescht?« »Nee, woher soll ech dat wossen«, meinte Mattes. Wir überlegten hin und her. Um uns nicht mit Petroleum auf Platt zu blamieren, kauften wir Oel. Am Fenster einer Bäckerei drückten wir uns die Nasen platt. Dort standen Nikolause und viele leckere Dinge, die wir nicht kannten. Auf dem Heimweg fragten wir uns, ob wir wirklich »schlechter« waren, als die Gerolsteiner Kinder? Wir hatten vom Nikolaus oder Christkind noch nie so etwas bekommen. Zu Hause wartete man schon voll Ungeduld. »Wo bleft dir su lang?« Vater öffnete die Flasche, um in die Lampe zu schütten, Aber das lief so steif und roch auch nicht. Onkel Pitter kam schon, um die Lampen zu nehmen. »No kuk es, wat dat he äs, dat äs ze Lewen ken Petroleum, dat äs Olech«, sagte Vater. »Wat het dir jekof«? Nun mußte ich Farbe bekennen. Gab das ein Donnerwetter. »Die Flasch on de Tasch un zrek no Gerolsten und emge-touscht, un dat ihr flott zrek sit.« Wir stürmten wie die Wilden los, zurück nach Gerolstein. Zum Glück kam der Chef des Hauses selber in den Laden. Als ich dann unter Tränen unsere Geschichte erzählte, durfte der Verkäufer die Flasche umfüllen. »Und jetzt aber schnell nach Hause. Es wird ja schon dunkel und dass ihr die Flasche nicht fallen lasst!« So schnell bin ich nie mehr durchs Mühlenwäldchen gegangen.