Das Blaukehlchen, ein lieblicher Erdsänger

Heinz Hürth, Auel

Erdsänger sind die Lieblinge der Vogelfreunde, zu ihnen zählen alle »Sängerfürsten« wie Nachtigall, Schmätzer, Rotkehlchen. Wandern wir im April an Bächen und Flüssen entlang, sehen wir vielleicht einen Trupp unscheinbar gefärbter Vögel, die im Ufergebüsch oder am Wasser munter hin und her hüpfen. Wegen ihrer graubraunen Oberseite verschwinden sie fast völlig in ihrer Umgebung, aber bei unserer Sichtung werden sie unruhig, stelzen ihren Schwanz und spreizen denselben. Deutlich wird hierbei ein rotbraunes Zeichnungsmuster erkennbar. Drehen uns durch unsere Anwesenheit beunruhigte Vögel aber ihre Vorderseite zu, erkennen wir deutlich einen leuchtenden blauen Farbfleck, der sich über Kinn, Hals und Kehle erstreckt. Dieser Anblick überrascht jeden Naturfreund, denn wer vermutet nach der ersten Betrachtung einen so seltenen und schönen Vogel wie das Blaukehlchen? Nur wenige Tage vergehen, bis unser Heimkehrer sich von der Strapaze der Rückwanderung erholt hat und sein altes Brutrevier erkundet. Die ersten Tage gelten der Gefiederpflege, denn in den kurzen Ruhepausen am Tage war die Nahrungssuche vordringlicher; im Schütze der Nacht wurden viele Kilometer zurückgelegt. Erholt und nicht mehr auf Diät gesetzt beginnt es zu singen und zu balzen, dabei zeigt es mitten im blauen Farbfeld einen weißen Fleck, den Stern, der es als unser heimisches Blaukehlchen ausweist. Beim Weibchen fehlt der auffällige blaue Kehlfleck, bei ihm ist diese Gefiederpartie weißlich mit dunkler Fleckung; nur einzelne blaue Federchen kann man bei dem einen oder anderen erkennen. Im Herbst legt das Männchen ein farblich gleiches Gefiederkleid auf seiner Wanderung wie das Weibchen an.

Noch vor wenigen Jahrzehnten waren das Blaukehlchen ein nicht seltener Brutvogel in unserer Heimat, intensiv genutzte Flächen, Trockenlegung von Feuchtgebieten, Rodung von Weidengebüschen haben den schönen Vogel an den Rand der Ausrottung gebracht. Seine Brutheimat sind feuchte Böden, dichtes Gestrüpp, einzelne Bäume, nasse Wiesen, Überschwemmungsgebiete, Altwässer und Kiesgruben.

An den Brutplätzen werden vom jeweiligen Männchen alle Rivalen vertrieben, und er lässt vor allem morgens und abends seinen wunderschönen Gesang von einer hohen Warte aus erschallen. Blaukehlchen sind gute Imitatoren, so werden viele Teile anderer Vogellieder in ihren eigenen, sehr schönen Gesang mit eingeflochten. Einige wenige, nicht allzu hohe Balzflüge, werden besonders bei der Sichtung eines Weibchens gemacht. Die Weibchen streifen umher und suchen sich einen Partner. Ob es der Gesangsvortrag ist oder die schöne gefärbte Brust des Auserwählten oder aber der Brutplatz bei der Partnerwahl, ist schwer zu sagen. Nun beginnt die Balz nach allen Regeln der Selbstdarstellung, der Latz mit dem weißen Stern wird hierbei zur Schau gestellt. Er spricht mit ihr, es beginnt ein Dialog. Sie antwortet der kräftigen Männerstimme sanft, leise, fast flüsternd.

Nachdem sich ein Paar gefunden hat, beginnt das Weibchen mit dem Nestbau, das Männchen begleitet bei dieser Arbeit seine Auserwählte, übernimmt aber nur den Schutz während der Bauzeit oder ist es die Sorge, dass ein Rivale vielleicht doch noch sein Ziel erreichen könnte; wer will das wissen. Nach sechs bis acht Tagen ist das Nest fertig, man kann bei unserem Blaukehlchen nicht von einem soliden Bau sprechen,

 

das Gegenteil ist der Fall. Der Innenausbau ist sehr ordentlich und mit weichen Materialien bestückt. Ende April oder Anfang Mai liegen fünf oder sechs Eier im Nest. Vorherrschend im Blaukehlchengesang ist die Nachahmung der Laute und Melodien anderer im Revier lebender Vogelarten. Doch nicht nur Vogelstimmen, auch das Zirpen von Grillen und Heuschrecken werden imitiert, ja menschliche Laute können durchaus dabei sein. Der Wachtelschlag war noch vor Jahren vom Blaukehlchen zu hören, leider verschwindet die Wachtel immer mehr, somit auch ihr Lied. Der Name Erdsänger bedeutet nicht, dass das Blaukehlchen auf der Erde lebt, sondern man hat ihn allen Vogelarten zugedacht, die ihre Nahrung vorwiegend auf dem Boden aufnehmen. Das Blaukehlchen kann auch als guter Spötter bezeichnet werden, denn ein vielen Erdsängern geläufiges TAK-TAK ist auch die Lockstimme des Blaukehlchens, ein sanftes FIEDFIED der Laut der Zärtlichkeit, ein unnachahmliches Schnarren Ausdruck des Zorns. Zum Singen wählt das Männchen einen etwas erhöhten Sitzort, doch auch vom Boden trägt es Lieder vor, vom Morgen bis in die Abendstunden. Während des Singens wippt es seltener als sonst, begleitet nicht jede Strophe mit einer Bewegung des Schwanzes, wie es beim Lockruf üblich ist. In der Brutzeit weicht das Männchen nicht vom Neststandort, löst das Weibchen zur Nahrungssuche beim Brüten ab. Nach vierzehn Tagen schlüpfen die Jungen, weitere zwei Wochen später verlassen diese, noch flugunfähig, das Nest und rennen mit der Hurtigkeit von Mäusen durch das Gestrüpp. Beide Eltern kümmen sich aufopfernd um den Nachwuchs, bei günstigen Wetterbedingungen ist eine zweite Brut im Jahr nicht ausgeschlossen.

Kein anderes Geschöpf weiss

so zu leben,

wie der Vogel lebt.

Ihm ist der längste Tag kaum

lang genug,

die kürzeste Nacht

kaum kurz genug.

Er will wach, munter, fröhlich

die Zeit durchmessen,

die ihm vergönnt ist.

Zitat A.E. Brehm