Lehrerin nach Kriegsende

Hildegard Meilert auf mühevollem Weg

Peter Jakobs, Simmern

Mai 1945: Trostlose Zustände in unserm Land in allen Bereichen, nicht nur im Schulwesen. Seit Mitte 1944 ruhte der Unterricht überall. Die Schulsäle wurden mit Einquartierung belegt, dann kamen Kampfhandlungen und Vandalismus. Entweder waren die Lehrer einberufen oder sie halfen beim Bau von Panzergräben und Stellungen. Schülerinnen und Schüler hatten eine lange Ferienzeit. Nach dem Zusammenbruch wurden die früheren Lehrer - sie mussten im Dritten Reich Mitglied der Partei sein -nicht übernommen. Es sah für diese Menschen ausgesprochen schlecht aus. Ohne die alte Lehrerschaft ging es aber auch nicht, wo sollte man in der neuen Demokratie »unbelastete Lehrer« herholen? So kam es zur sogenannten »Entnazifizierung«. Eine Spruchkammer verhängte Bußgelder, die zu zahlen waren. Damit wurde der Weg frei für diesen Berufszweig.

Die früheren Lehrer standen den Schulen also größtenteils wieder zur Verfügung. Daneben gab es junge Leute, die Freude am Lehrerberuf zeigten, obwohl in der Kriegszeit die Ausbildung und das Studium weitgehend ruhte. Hildegard Meilert, Jahrgang 1925, in Schladt Kreis Wittlich geboren und wohnhaft in Niederbettingen, hatte von Jugend an Freude an diesem Beruf. Sie wollte Gewerbelehrerin werden. 1944 hatte sie in Trier ihr Abitur abgelegt, dann musste sie in den Arbeitsdienst und als Luftwaffenhelferin sogar noch in den Osten. Im Sommer 1945 kehrte sie heim und fand gerade auf dem von ihr angestrebtem Weg trostlose Verhältnisse vor. Sie meldete sich beim Schulrat in Daun. Als Gewerbelehrerin gab es keine Ausbildungsmöglichkeiten und keine Aussichten - so entschied sie sich für den Volksschuldienst. Mit viel Freude und großem Einsatz ging Hildegard Meilert an die Dinge heran. Bereits ab 1. Dezember 1945 durfte sie an der einklassigen Volksschule in Niederbettingen hospitieren, an der ihr Vater seit 1928 als Lehrer angestellt war. In dieser Schule hatte sie fünf Jahre als Schülerin gesessen, damals noch keine Ahnung von all den Schwierigkeiten einer einklassigen Schule; nun hatte sie täglich damit zu tun. Die ständige Hast durch das Arbeiten mit Abteilungen, das dauernde sich Einfühlen in die Bedürfnisse verschiedener Altersstufen, die zweckmäßige Beschäftigung verschiedenartiger Kinder, das Hin- und Herspringen von einem Stoff zum anderen, von einer Stimmung in die andere. Anfangs war Hildegard Meilert verwirrt ob all der Schwierigkeiten und fragte sich immer wieder, wie ein Unterrichten in den verschiedenen Abteilungen möglich sei. Allmählich merkte sie jedoch, dass die Fächerteilung nicht so scharf war, wie sie es von der höheren Schule in Erinnerung hatte. Oft stand ein Lebensgebiet für alle Jahrgänge im Mittelpunkt der Unterrichtsarbeit, an dem alle gelegentlich gemeinsam arbeiteten. Große Hilfe gab ihr oft die Lehrerin in Oberbettingen, bei der sie öfters reinschaute; hier lernte sie die Form des Anfangsunterrichts kennen. Mit Wirkung vom 1. Januar 1946 wurde Hildegard Meilert als Schulhelferin an der Volksschule in Niederbettingen beauftragt. Ihr Vater Paul Meilert unterrichtete abwechselnd an den Nachbarschulen in Dohm und Bolsdorf. Die Kollegen aus diesen Dörfern waren noch nicht aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt.

Die neue Schulhelferin hatte den Vorteil, dass sie alle Kinder kannte. Es gab keine Disziplin-, wohl aber ernste Zeitprobleme. Schwierigkeiten gab es aber auch, weil Kinder sich nicht eine Stunde lang auf Stillarbeit konzentrieren konnten. Doch dank der Unterstützung durch ihren Vater hatte Hildegard eine befriedigende Lösung gefunden. Auf Beratung und Mithilfe dieses erfahrenen und beliebten Pädagogen konnte und wollte die Tochter nicht verzichten. Dann kam im August 1946 der Ruf zum Besuch der pädagogischen Akademie in Andernach, er schloss am 27. August 1947 mit der Ablegung der ersten Lehrerprüfung ab.

Mit Wirkung vom 1. Oktober 1947 übernahm Hildegard Meilert eine freie Schulstelle in Gerolstein. Die Volksschule war damals schon achtklassig, 60 Mädchen und Jungen warteten hier auf die neue Lehrerin, unvorstellbar für uns heute. Die Kleinen kamen den Bemühungen durch ihre Zutraulichkeit entgegen. Es gab auch große Nervosität und Zerfahrenheit, die oft ihren Grund in den Nöten der Einzelnen hatte, der gefallene Vater, der noch nicht zurückgekehrte oder vermisste Vater. An den Sorgen der einzelnen Kinder nahm die ganze Klasse teil.

Wörtlich schreibt Hildegard Meilert in einem Bericht: »Die größte Sorge während meiner Tätigkeit in Gerolstein bereitete mir die geringe Konzentrationsfähigkeit der Kinder. Erst konnte ich sie mir nicht erklären. Doch als ich nach und nach Einblick in die sozialen Verhältnissen gewonnen hatte, wurde mir manches klar. Die meisten Kinder stammten aus Beamten-, Angestellten- und Arbeiterfamilien, die besonders von der Not der Nachkriegsjahre betroffen waren. Viele Mütter erklärten mir, dass sie ihre Kinder ohne einen Bissen Brot zur Schule schicken mussten. Dadurch waren die Kinder der Arbeit nicht gewachsen. Rührend war es manchmal anzuschauen, wie sie sich dennoch bemühten, anzufassen und dem Unterricht zu folgen. Aber meist gelang es nur für kurze Zeit. »Als ich Herrn Rektor Z. meinen Kummer klagte, gab er mir den Rat, langsam zu arbeiten und möglichst viel zu üben.«

Die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger werden sich noch an diese Zeit erinnern. Zu den Ernährungsschwierigkeiten kam in Gerolstein die Tatsache, dass die Schule fast völlig im Kriege zerstört wurde. Die meisten Klassen mussten folglich in der alten Rektoratsschule oder in Baracken unterrichtet werden. Dort war es im Sommer drückend warm und im Winter bitter kalt. So nahmen die Kinder im Winter in Mänteln am Unterricht teil. Dazu kam, dass das Dach an vielen Stellen undicht war, bei Regen tropfte es überall durch. Lehr- und Lernmittel waren nicht vorhanden, Kreide fehlte gänzlich. Trotzdem machte der neuen Lehrerin - die Arbeit mit den Kleinen - viel Spaß und Freude.

Ungewöhnlich war die Zeit, ungewöhnlich die Personalnot. Dass dabei vielfach improvisiert werden musste, zeigte die Vielzahl der Stellen, die Hildegard Meilert in den Jahren 1946-1950 durchlief. Nach Niederbettingen und Gerolstein ging es am 1. 10. 1948 nach Steiningen, im September 1949 nach Mückeln, dann nach Basberg zu nur 15 Kindern. Zum l. 5.50 erfolgte die Versetzung nach Pelm und wenige Monate später an die dreiklassige Schule in Gillenfeld. An sieben Volksschulen war Hildegard Meilert in nur fünf Jahren tätig, aus der Not wurde hier eine Tugend gemacht. Hildegard Meilert bildete und entwickelte sich zu einer hervorragenden Pädagogin, meisterte alle Situationen in schwerer Zeit, machte ihre Berufung zum Beruf und dies bis zum letzten Tag. 1959 wurde Hildegard auf eigenen Wunsch nach Manderscheid versetzt. 1978 musste sie wegen einer schweren Krankheit ausscheiden. Bereits im Jahre 1989 verstarb Frau Meilert und fand ihre letzte Ruhe auf dem Friedhof in Manderscheid.