Amerikaner in Feusdorf

Erich Brang, Basberg

Am 7. 3. 1945 besetzten amerikanische Trappen des 347. Inf. Regiments, aus Richtung Birgel kommend, zwischen 6 und 7 Uhr Feusdorf.

Im Ort selbst fanden während der Einnahme keine Kampfhandlungen statt, obwohl etwa 100 deutsche Soldaten in Gefangenschaft gingen. Die meisten dieser Soldaten gehörten zu einer Artillerieeinheit, die am Vortag noch nach Gönnersdorf und Jünkerath geschossen hatte. Sie hatten keine Munition mehr und auch keine Fahrzeuge zum Abtransport der Geschütze.

Die Gefangenen wurden alle unter Bewachung in den Saal Reifferscheid geführt. Gegen Mittag marschierten sie Richtung Gönnersdorf in ein anderes Sammellager. In unserem Haus quartierte sich ein amerikanischer Kompanietrupp ein. Da wir uns wegen des Artilleriebeschusses schon seit Wochen im Keller häuslich eingerichtet hatten mit Tisch, Stühlen und Schlafgelegenheiten, durften wir in unserem Haus bleiben. Vielleicht lag es aber auch daran, dass meine Mutter den Soldaten - auf Bitten eines Offiziers - ein großes Bauernbrot aufgeschnitten hatte, welches sie ohne Belag mit Heißhunger verzehrten. Viele andere Häuser mussten dagegen geräumt und die Bewohner in der Nachbarschaft untergebracht werden. An den Haustüren hing ein Schild »Off Limits«, »Zutritt für Militärs verboten«. Die Bewohner der drei Häuser »Auf dem Faller« wurden für eine Nacht in den Saal Reifferscheid ausquartiert. Gegen 9 Uhr schlugen plötzlich Granaten in und um den Ort ein. Deutsche Artillerie beschoss unser Dorf. Eine Granate explodierte auf der Kreuzung und tötete einen amerikanischen Soldaten. Insgesamt hatten die Amerikaner vier tote Soldaten und auch Verwundete durch den Beschuss zu beklagen. Eine weitere Granate riss in die Rückwand am Haus Mai (Hubert Schmitz) ein Loch von einem Meter Durchmesser zwischen Küchenfenster und Kellerdecke. Auch das Hausdach der Witwe Elisabeth Schneider (Helliesch) wurde von einer Granate durchschlagen. Der Beschuss dauerte etwa eine Stunde. Zum Glück gab es keine Toten oder Verletzte bei der Zivilbevölkerung.

Gegen 12 Uhr durften mein Vater und ich in den Stall gehen, um die Tiere zu versorgen. Auch in der Scheune saßen amerikanische Soldaten und ließen sich die dort lagernden Futterkohlrabi gut schmecken; anscheinend waren sie alle sehr hungrig, weil es mit der Verpflegung und dem Nachschub nicht richtig geklappt hatte. Auffallend war, dass an diesem Vormittag unsere Hühner keine Eier gelegt hatten. Gegen 16 Uhr ging Franz Trierscheid (Kutsch) - begleitet von einem bewaffneten Soldaten - mit der Ortschelle durch das Dorf und verlas eine Bekanntmachung des Ortkommandanten: »Alle männlichen Einwohner von 15 bis 65 Jahren haben sich morgen ab 13 Uhr zwecks Straßenreinigung an der Kommandantur einzufinden. Handwerkzeug ist mitzubringen. Die Ortskommandantur befindet sich im Hause Hermann Michels (Geverts) Ortsmitte«.

Nachdem die Straßen in allen Richtungen und auch im Ort selbst mit Minensuchgeräten abgesucht waren, kamen zuerst die schweren Panzer, dann neue Trappen und Nachschub auf schweren Militärlastwagen und fuhren weiter in Richtung Alendorf. In unserer Scheune wurde ein Verpflegungslager eingerichtet. Alle Fahrzeuge hielten kurz an und Soldaten nahmen so viele Pakete, wie Leute auf oder in den Fahrzeugen waren. In einer Pause habe ich auch mal nachgeschaut und so ein Paket, als Ersatz für die Futterkohlrabi, durch die Zwischentür in den Stall befördert. In der hintersten Ecke traute ich mich, das Paket zu öffnen. Ich verdrängte meine Angst, und ein Gefühl wie Weihnachten überkam mich, als Schokolade, Kekse, Kaugummi, Zigaretten, »Harn und Eggs« und weitere schöne, mir bis dahin unbekannte Sachen zum Vorschein kamen. Die Schokolade und ein Päckchen Kaugummi verschwand in meiner Tasche, den Karton mit Inhalt versteckte ich hinter der Schrotkiste. Ich hatte keinen Mut, mit jemandem über meine Errungenschaft zu sprechen. Die amerikanischen Soldaten verhielten sich sehr vorsichtig, auch misstrauisch, aber gegen die Bevölkerung stets korrekt. Von Übergriffen ist mir im Dorf - außer hohem Brandholzverbrauch und kleineren Sachbeschädigungen in den Quartieren - nichts bekannt

Am 8. 3. um 13 Uhr trafen sich alle männlichen Einwohner an der Kommandantur. Der Kommandant besah sich das Aufgebot und gab über den Dolmetscher seine Anweisungen. Wir sollten die Dorfstraßen von dem hohen Schlamm säubern, und verteilten uns so wie es gerade ging und begannen mit der Arbeit.

Beim Vorbeigehen fragte mich der Dolmetscher, wie alt ich wäre und da ich drei Jahre, bis August 1944, die Oberschule in Gerolstein besucht hatte, antwortete ich ihm auf englisch. Sehr erstaunt fragte er, wo ich Englisch gelernt hätte. Ich antwortete ihm: »Three years at School«. Daraufhin sprach er mit den Kommandanten und forderte Martin Möller, Franz Ganser und mich auf, mitzukommen. Auf der Kommandantur wurden wir dann von einigen Offizieren begutachtet und in unsere neuen Aufgaben eingewiesen. In erster Linie waren wir für den Ofen und das nötige Brandholz zuständig, daneben auch als Laufburschen eingeteilt und ich noch Hüfsdolmetscher. Da Franz einen Ausschlag im Gesicht hatte, wurde ich mit ihm in die Sanitätsstube geschickt, die sich in der Schule befand. Dort bekam er eine Salbe und konnte nach Hause gehen, sein »Arbeitsverhältnis« war beendet. Die Salbe hat ihm gut geholfen; bereits nach zwei Tagen war der Ausschlag weg.

Martin und ich bekamen Zigaretten, Kaugummi und Schokolade; mittags mussten wir aber nach Hause essen gehen. Die Dienstzeiten waren für uns morgens von 9 bis 12 Uhr, nachmittags von 13 bis 17 Uhr. Dies sah sehr vielversprechend aus; wir brauchten zu Hause und an der Straße nichts zu tun und hatten es schön warm. Am nächsten Tag, nachdem die Straßen einigermaßen abgetrocknet waren, musste ich an einer Ortsbesichtigung teilnehmen. Der Ortskommandant, zwei weitere Offiziere, der Dolmetscher und ich gingen durchs Dorf. Der Kommandant interessierte sich für die Bewohner der einzelnen Häuser, ihre Beschäftigung und vor allem für die Zahl der Kinder. Ich habe die Fragen so gut wie ich konnte beantwortet. Groß war sein Erstaunen, als er die vielen Bombentrichter (70 vom Abwurf am 29. 12. 1944) auf der »Stierewies«, »Sauren Wies«, »Im Seitert« und «Auf dem Rüddel« sah. Auf die Frage, ob auch Menschen umgekommen wären, konnte ich ihm Gott sei Dank mit Nein antworten. Daraufhin sagte er auf Englisch: »Da habt ihr aber sehr viel Glück gehabt!«

Als wir im Unterdorf am Hause Schneider (Hellisch) vorbei kamen, bemerkte er das durch Granateinschlag stark beschädigte Hausdach und fragte nach den Bewohnern. Ich sagte ihm, dass in dem Hause eine Kriegerwitwe mit ihrem kleinen Sohn wohne. Er besprach sich kurz mit den Offizieren und beauftragte mich, den Ortsbürgermeister, den er schon kannte, herbei zu holen. Bis an »Fritzen« war es nicht weit und Nikolaus Brang war schnell zur Stelle. Der Kommandant beauftragte ihn, für den nächsten Morgen, zwei Männer und vier Dachbalken bereit zu stellen. Zeltplanen und das benötigte sonstige Material würden von den US-Streitkräften gestellt. Am nächsten Vormittag haben dann amerikanische Soldaten und die Nachbarn gemeinsam das Dach notdürftig repariert. Als wir von der Ortsbesichtigung zurück kamen, hatten Soldaten die Feuerwehrspritze aus dem Spritzenhaus geholt und am Dorfbrunnen (Potz) angeschlossen. Zwei Wasserschläuche wurden in der Scheune von Mastiaux (Dettisch) oben im Gebälk befestigt und die Ausläufe in dort hängende Benzinfässer geleitet. In die Fassböden hatten die Soldaten Löcher gestanzt und so eine Art Duschbrause gefertigt. Es hat lange gedauert, bis Martin und ich begriffen hatten, was da, uns direkt gegenüber, entstehen sollte. Aus Brettern wurden Holzroste zusammen genagelt und damit der Boden der Scheune (Tenne) ausgelegt. Die Brauseanstalt war fertig. Die Männer zwischen 45 und 60 Jahren, die in der Nachbarschaft wohnten, wurden rekrutiert (Franz Schäfer, Heinrich Mastiaux, Hermann Michels, Leo Hack und Hubert Schneider) und mussten tagsüber ab etwa 10 Uhr bis 16 Uhr mit der Feuerspritze für das nötige Wasser in den Brausen sorgen. Ein Duschmeister beaufsichtigte das Ganze und gab auch die nötigen Anweisungen. Die Männer saßen bei Klaus (Schäfer) in der Küche, spielten Skat und wurden bei Bedarf mit einer Trillerpfeife an die Spritze gerufen, von den Amerikanern verpflegt und an Zigaretten war auch kein Mangel. Ab 16 Uhr konnte die Zivilbevölkerung die Anlage benutzen, aber das Angebot wurde nicht angenommen. Vielleicht war es zu kalt und Warmwasser war ja noch nicht vorhanden. In Feusdorf gab es damals noch keine Wasserleitung und auch noch keine Badezimmer. Die Duschanlage hatte aber trotzdem auch für die Anwohner ihr Gutes. Die Soldaten brachten jeder ein Stück Toilettenseife (noch verpackt) mit und ließen dasselbe nach dem Duschbad auf dem Tennenboden liegen. Mir wurde erzählt, dass die Tenne am Morgen des anderen Tages immer aufgeräumt und frei von Toilettenseife (Luxusartikel) gewesen sei. Am anderen Morgen fragte mich der Kommandant, seit wann die Schule geschlossen wäre und die Kinder keinen Unterricht mehr gehabt hätten. Ich sagte ihm, dass die Schulen im September 1944 geschlossen wurden. Dann beauftragte er mich, den Lehrer, Nikolaus Bohnen, für 14 Uhr in die Kommandantur zu bestellen. Er sollte ein Rechen- und ein Lesebuch mitbringen. Lehrer Bohnen war sehr aufgeregt und fragte mich, was das zu bedeuten hätte? Ich konnte ihm auch keine Auskunft geben. Zum vorgegebenen Termin kam er und der Kommandant unterhielt sich über den Dolmetscher mit ihm. Dann musste ich noch den Ortsbürgermeister Nikolaus Brang rufen und es wurde vereinbart, dass in etwa zwei Tagen der Unterricht für die Oberstufe in der Kapelle beginnen sollte. Die war noch ausgeräumt, weil sie zuvor zum Hauptverbandplatz der Deutschen Wehrmacht umfunktioniert worden war. Die Schulbänke befanden sich auf dem Schulspeicher und sollten von den Amerikanern in die Kapelle transportiert werden. Aber zuerst das Wichtigste. Fast zwei Tage brauchten der Dolmetscher, Martin und ich, um die zwei Bücher zu entnazifizieren. Alle Blätter, auf denen sich ein Hinweis auf das Dritte Reich oder Hitler-Deutschland befand, wurden entfernt. Im Lesebuch war das ja noch zu machen, aber das Rechenbuch hatte nur noch ein Viertel seiner Blätter, da sich die Rechenaufgaben meist auf Vierjahresplan, Rüstung, Reichsnäherstand, Lebensmittelkarten oder Winterhilfswerk-Sammlungen bezogen. In einer Pause erzählte uns der Dolmetscher, dass er Jude sei und seine Eltern mit ihm und zwei Geschwistern 1933 nach Amerika ausgewandert seien. Sie hätten in der Nähe von Mayen ein Haus gehabt. Er sprach auch Mayener Dialekt. Das Interesse des Kommandanten für den Schulbeginn erklärte er damit, dass er im Zivilleben Lehrer an einer High-School sei und sich Gedanken um die Schulbildung der deutschen Kinder mache.

Am siebten Tag war es soweit, die Amerikaner rückten Richtung Osten ab. Kurz und schmerzlos war der Abschied; jeder bekam noch ein paar Packungen Zigaretten und Martin und ich waren wieder Feusdorfer Jungen, wie alle anderen auch. Der Unterricht wurde nach einem großen Frühjahrsputz im Schulgebäude, so wie es der amerikanische Ortskommandant angeordnet hatte, am 17. März von Lehrer Bohnen wieder aufgenommen. Das passte aber nicht ganz in das Konzept der Franzosen und nach fünf Wochen schlossen sie die Schule wieder.

Soviel mir bekannt ist, war es die einzige Schule im Kreis Daun, in der ohne offizielle Genehmigung Unterricht erteilt wurde und Lehrer Bohnen auch sicher kein Gehalt bekommen hat. Erst im September 1945 erteilte die mittlerweile für den Regierungsbezirk Trier zuständige französische Militärverwaltung offiziell die Unterrichtsgenehmigung. Bei allem, was in diesen sieben Tagen passierte, muss man sich die Lebensverhältnisse im Ort vor Augen führen. Alle wehrdienstfähigen Männer waren noch im Krieg oder in Gefangenschaft. Der Ort mit 250 Einwohnern und 52 Häusern war durch die Einquartierungen und etwa 80 Flüchtlingen aus Hallschlag und Jünkerath überbelegt. Die Landwirte aus Hallschlag hatten auch ihre Viehbestände mitgebracht. Überall herrschte eine große Enge, einer trat dem anderen auf die Füße und das alles ohne Wasserleitung und Strom. Die meisten Häuser hatten zwar Hausbrunnen; es gab aber auch Häuser, die ihr Wasser am Dorfbrunnen holen mussten und trotz aller Widerwärtigkeiten machten die Leute das Beste daraus; das Leben ging weiter.