Irgendwo in Amerika

...auf der Suche nach Verwandten in Nord-Amerika

Helmut Pauly, Kradenbach

Die wirtschaftliche Not in Deutschland, und hier insbesondere auch die Not in der Eifel, veranlasste in der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts viele Bewohner unserer Städte und Dörfer, auszuwandern und ihr Glück in der »Neuen Welt« zu suchen.

Manche fanden es, viele auch nicht.

Insbesondere die erste Generation der Auswanderer hatte es schwer. Waren die Neuankömmlinge doch der fremden Sprache nicht mächtig, ohne qualifizierte Ausbildung und ohne nennenswerte Finanzmittel.

Als wir Kinder waren und sich die Familie bis Ende der 50er Jahre noch ausschließlich von der Landwirtschaft ernähren musste, erwähnten die Eltern oft scherzhaft, vielleicht würde sich unsere Situation einmal bessern, wenn sich der reiche Onkel aus Amerika meldet. Tatsächlich waren zwei Onkel meiner Mutter 1884 im Alter von 19 und 17 Jahren nach Amerika ausgewandert. Der ältere um dem anstehenden Wehrdienst zu entgehen, der jüngere als Begleitung. Die Familie sollte nachziehen, tat dies aber nicht, weil sich schließlich doch noch ein Ausweg aus der Not zuhause fand. In der ersten Zeit gab es noch einen Briefwechsel, aber nach und nach verliefen sich die Spuren und niemand hatte mehr Kenntnis darüber, wo sich die beiden angesiedelt hatten und unter welchen Adressen die Nachkommen erreichbar waren. Als ich älter wurde und die englische Sprache erlernt hatte, hätte ich doch zu gerne gewusst, wie ein Kontakt zu den Verwandten hergestellt werden könnte. Eines Tages Ende des Jahres 1988 sprachen Besucher aus Amerika bei meinem Onkel, dem damaligen Bürgermeister

 

von Boxberg, vor. Sie gaben an, dass sie Bekannte hätten, deren Vorfahren aus Boxberg stammten; handelte es sich um ein Familie Zenzen aus Minnesota?

Mein Onkel erzählte mir von dem Besuch und ich schaute im Buch von Josef Mergen " »Die Amerika-Auswanderung« nach. Tatsächlich war ein Josef Zenzen im Jahre 1868 nach Amerika ausgewandert.

Da die Adresse der Familie Zenzen in Minnesota bekannt war, schrieb ich der Familie einen Brief mit der herzlichen Einladung zu einem Besuch, verbunden mit der Bitte, mir bei der Auffindung meiner Verwandten in Amerika behilflich zu sein. Nach einiger Zeit erhielt ich Antwort.

Ja, sie wollten gerne den Kontakt aufnehmen und wenn es sich einrichten ließe, wollten sie auch mal nach Deutschland kommen, um zu sehen, wo ihre Vorfahren herkamen.

Auch bei der Suche meiner Verwandten hatten sie Erfolg. Einer der Onkel meiner Mutter, der Jakob Lenarz, hatte ebenfalls in Minnesota gesiedelt, ganz in der Nähe des Wohnortes der Zenzens. Hier war ein Kontakt mit den Nachkommen nicht herzustellen, da es sich in der dritten Generation um Adoptivkinder handelte.

Der andere Onkel, Peter Josef Lenarz, war mehr als 1000 Meilen weiter westwärts sesshaft geworden, und zwar in Eureka im Bundesstaat Montana, etwa sieben Meilen südlich der kanadischen Grenze in den Rocky Mountains.

Hier meldete sich ein Urenkel, der als Bibliothekar in einer Schule im Schwarzfuß-Indianerreservat arbeitet. Es entwickelte sich ein reger Briefwechsel.

Im Sommer 1991 reisten dann die Zenzens zu Besuch an. Es war Edwin Zenzen mit Ehefrau, Tochter, Schwiegersohn und Schwiegertochter. Edwin, Jahrgang 1917, hat seinen Großvater - den Auswanderer - noch gut gekannt. Auch konnte er noch nahezu perfekt deutsch und sprach von den Geschichten, die der Großvater seinerzeit über seine Heimat, die Eifel, erzählt hatte. Gerade für ihn war es sehr bewegend zu sehen, wo sein Großvater geboren und aufgewachsen war. Wie die meisten Amerikaner auf Europatour blieb leider nicht viel Zeit zum Aufenthalt, da noch ein erhebliches Reiseprogramm in kurzer Zeit zu erledigen war. Als sie abreisten, musste ich versprechen, sie unbedingt auch einmal in Amerika zu besuchen.

Zum einen die ausgesprochene Einladung, zum anderen die Neugier, was denn wohl aus meinen Verwandten geworden war, veranlasste mich dann, im Oktober 1998 mit meiner Ehefrau die Reise nach Amerika anzutreten. Auf dem Flugplatz in Minneapolis wurden wir von Edwin Zenzen und seiner Tochter Carla herzlich empfangen. Carla wohnte mit ihrer Familie etwa 80 Meilen nördlich in St. Cloud, einer Stadt mit 30.000 Einwohnern direkt am Mississippi gelegen. Nochmals gut 50 Meilen weiter entfernt - was man in Amerika als ganz in der Nähe bezeichnet - war die Farm der Zenzens gelegen. Ein Anwesen mit 80 ha Land, ganz auf Ackerbau ausgerichtet. Angebaut wurden vorwiegend Sojabohnen und Mais. Auffällig war , dass fast 80 °/o der Bewohner in der Gegend deutsche Namen trugen. Schaute man auf die Mannschaftsaufstellung der heimischen Footballmannschaft, so sah diese deutscher aus, als die Aufstellungen mancher Bundesligaclubs. Edwin erzählte, dass dieses Gebiet ursprünglich ausschließlich von deutschen Auswandern besiedelt war. Erst in einer zweiten Wanderungswelle mit dem Slogan: »Go West«, bei der viele Amerikaner von der Ostküste Richtung Westen siedelten, seien auch Bewohner mit anderen Ursprungsnationalitäten in die Gegend gekommen. Seine guten Deutschkenntnisse führte Edwin darauf zurück, dass in seiner Kindheit zuhause ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Der Großvater hatte nie die englische Sprache erlernt. Wir erlebten zehn schöne Spätherbsttage in Minnesota und setzen unsere Reise in Richtung Westen nach Montana fort. Nach zwei Stunden Flug landeten wir auf einem kleinen Flughafen in Great Falls. Da in Amerika ohne Fahrzeug gar nichts geht, mieteten wir uns ein Auto und fuhren nach Norden Richtung Glacier (Gletscher) Nationalpark.

Von hier war es nicht mehr weit bis nach Eureka, dem Ort, in dem sich Peter Josef Lenarz niedergelassen hatte. Wir nahmen telefonisch Kontakt zu der einzigen noch lebenden Tocher, Marble Leonard (88 Jahre) auf und verabredeten für die nächsten Tage ein Treffen. Dann war der große Augenblick gekommen. Nach mehr als einhundert Jahren seit der Auswanderung kam es zum ersten persönlichen Kontakt zwischen den Mitgliedern der beiden verwandten Familien. Nach herzlicher Begrüßung

luden uns Marble und ihr Neffe Dick zu einer Fahrt ein, die zunächst zu der Stelle führte, an der ehemals die Lenarz-Farm gestanden hatte. Es war ein Areal, das unmittelbar an die kanadische Grenze reichte und auf dem seinerzeit Viehzucht betrieben wurde. Marble erzählte davon, dass sie als Kinder früher hier die Kühe hüteten und immer Angst vor den Wölfen und Bären hatten. Die Farm stand nicht mehr, das Land war wieder Prärieland. Peter Josef Lenarz war im Jahre 1949 verstorben. Marble nahm uns mit zum Friedhof und zeigte uns das noch vorhandene Grab.

Es gehen einem schon mancherlei Gedanken durch den Kopf, wenn man »im wilden Westen« in den Rocky Moun-tains am Grab eines Mannes aus Boxberg steht und wenn dieser Mann zudem auch noch der Onkel der Mutter war, ausgezogen, der Armut zu entgehen und in der neuen Welt ein besseres Leben zu finden. Aus alten Briefen ist bekannt, dass er jahre lang durch das Land zog, sich nirgendwo richtig heimisch fühlte und starkes Heimweh hatte. Seine Frau verstarb sehr früh und er musste sich mit fünf Kindern durchschlagen.

In den Tagen des Aufenthalts gab es viel zu erzählen. Als der Abschied kam, erging eine herzliche Einladung auf einen Gegenbesuch in Deutschland an die Mitglieder der Lenarz-Familie. Inzwischen hat sich der Sohn Marble's gemeldet, der im Staate Washington wohnt, er will uns einmal besuchen.

Anmerkung:

Der Beitrag soll alle Leser und Leserinnen, aus deren Familie ebenfalls Vorfahren nach Amerika ausgewandert sind, ermuntern, den Versuch einer Suche und Kontaktaufnahme zu wagen.

Sicherlich ist dies nicht ganz einfach, aber in Zeiten von Internet und E-Mail ist manches möglich geworden. Günstig ist es, wenn noch bekannt ist, wo sich die Auswanderer ursprünglich niedergelassen haben. Dann kann man die Suche über die Stadt- oder Gemeindeverwaltung oder Kirchengemeinde versuchen. Josef Mergen hat sich um die Aufarbeitung des Themas »Amerikaauswanderung« sehr verdient gemacht und in seinem Buch »Die Amerika Auswanderung aus dem Landkreis Daun« eine Liste der Auswanderer aus dem Altkreis des Landkreises Daun veröffentlicht. Ich habe diese Liste EDV-mäßig erfasst und ins Internet gestellt, dies kann unter www.kradenbach.de eingesehen werden.