Leben ohne Musik?

Josef Jakob, Jünkerath

Büchereien und Museen könnten leicht gefüllt werden mit dem, was Denker, Dichter, Maler gedacht, gefunden, gemalt haben über und zur Musik.

Die ersten Schreie des eben geborenen Kindes klingen den Eltern wie Musik in den Ohren. Später wird sich das ein wenig ändern! Musik in vielerlei Formen, begleitet unser Leben: Die Mutter bringt ihr Kind mit dem Wiegenlied zur Ruhe, Kinder necken sich gegenseitig mit Spottliedchen, das Heile-Lied lässt Schmerz vergessen. Heische-Lieder öffnen Türen und Herzen gebewilliger Spender, Shantys begleiten die harte Arbeit der Matrosen.

Mir klingen - nach fast 50 Jahren - noch die mehrstimmigen Gesänge russischer Mädchen nach, wenn sie, auf Panjewagen und mit soldatischer Begleitung, zur Strafarbeit fahren mussten. Zogen nicht auch Bauern mit harten Trutzliedern gegen »die Herren da oben«? Kaisern und Königen brachten die Untertanen untertänigst Liedopfer dar, muckten aber auch ganz ungnädig dann und wann auf, wenn sie nicht in die Schlacht ziehen wollten. Revolutionslieder hielten die Massen bei der Fahne. Bänkelsänger brachten die neuesten Nachrichten und Moritaten singend unters Marktvolk. Posaunenschall ließ die Mauern von Jericho einstürzen. Pilgerlieder begleiteten die Frommen auf ihren Wallfahrten, Liebeslieder ließen die Herzen der Liebenden höher schlagen. Jagdhörner eröffneten den Beginn und das Ende einer Jagd. Feuerhörner verkündeten die drohende Feuersbrunst. In modernen Arenen, unseren Fußballstadien, stärken die Schlachtgesänge der Fußball-begeisterten der eigenen Mannschaft den Rücken, und kaufen der gegnerischen den Schneid ab.

Musik hat zu allen Zeiten den Menschen bewegt. »Musik wird oft nicht schön empfunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden«, schrieb Willhelm Busch, der Erfinder von Max und Moritz um 1780. Manche Zeitgenossen empfinden das ähnlich, wenn (für die einen) Mozarts Figaro erklingt oder (für die anderen) Rock oder Techno mit elektronischem Donner und farbigen Blitzen die Wände erzittern lässt. Gleich wie: Musik fordert heraus, hinterlässt Spuren. Sie sind uns gelegentlich nicht mehr als sprachlicher Hintergrund bewusst. Beispiele belegen es: Wer jemandem den Marsch blasen will, benötigt dazu kein Instrument, außer seiner Stimme (und eine Portion Ärger). Notfalls können Sie ihm auch eins geigen oder andere Saiten aufziehen. Hilft es nicht, hauen Sie doch einmal gewaltig auf die Pauke! Vielleicht gelingt es Ihnen dabei, den guten Ton zu wahren, taktvoll zu bleiben. (Man muss gestehen, dass dies nicht einfach ist.) Selbst wenn Sie in der Mode tonangebend sind oder andere nach Ihrer Pfeife tanzen lassen wollen, können Sie auf jedes Instrument verzichten. Nicht einmal dann, wenn Sie eine Versammlung zusammengetrommelt haben, und hinterher dort noch die erste Geige spielen, ist ein Instrument gefragt. Wussten Sie übrigens, dass der Bänkelsänger seine Moritaten tatsächlich von einer Bank herab gesungen hat? Reichtum brachte ihm seine Kunst nie ein. Man nannte jemanden einen pfiffigen Kerl einen Pfiffikus; und oft blies er (ohne Instrument) aus dem letzten Loch. Kam er abends mit leeren Taschen nach Hause, umstanden ihn seine Kinder wie die Orgelpfeifen; dann war sein Mut in Gefahr, flöten zu gehen. Ihm und den Seinen hing der Himmel dann keineswegs voller Geigen. Was half es ihm, wenn er alle Register seiner Überredungskunst zog?

»Lass sein!, immer das alte Lied! immer die gleiche Leier«, raunzt der alte Brummbär seine verschüchterte Frau an. Das ist wahrlich kein Zeichen von besonderem Takt. Ihm tat es weh, wenn die beiden Söhne auch noch ins gleiche Horn stießen. Sollte er seinen eigenen Ärger hinausposaunen? Das Ende vom Lied ; bescheiden und einsichtig schweigen und in sich hineinseufzen : '' Wess' Brot ich ess, dess' Lied ich sing'' , grummelte der hörige Leibdiener. Wenn es Ihnen hier ein wenig kunterbunt zugegangen sein sollte, bedenken Sie, dass selbst ''kunterbunt'' der verunstaltete ''Kontrapunkt'' aus dem Bereich der Musik ist.