Das alte Brotkörbchen

Hildegard Kohnen, Brühl

Sie betrachtet das alte Körbchen, und liebevoll streichen ihre Hände über die Innenfläche. Es stammt aus dem Hause ihrer Großeltern und erinnert an die Kindheit in der Eifel. Manchmal, wenn sie Brot schneidet, taucht ein Bild vor ihr auf. Immer ist es das gleiche; ihre Tante, Schwester der Mutter, gebeugt über die Brotmulde, den Sauerteig ansetzend und leise vor sich hin summend.

Sie war noch ein Kind, klein, aber nicht so klein, dass die Erinnerung an diese Zeit fehlt. Das Kind saß auf der Bank in der Küche, rechts und links neben sich die runden Brotkörbchen, hochaufgetürmt, und sah stumm, staunend und begeistert zu, wie Brot entstand. Die Tante beherrschte das Backen wie keine andere. Sie walkte, knetete und formte aus Wasser, Mehl, Salz und Hefe Brotlaibe in einer großen Mulde, die sonst mit einer Eichenplatte bedeckt als Tisch diente.

Wenn es groß war, wollte es auch Brot backen. Viele Brote, jede Woche, so wie die Tante. Sie war ihm Vorbild. Es wusste nicht, wie schwer es für die schmächtige Frau war, Woche für Woche ein Dutzend Brote herzustellen. Das Kind sah weder die Schweißperlen auf der Stirn der Frau, noch die Müdigkeit in ihren Augen. Es wusste nichts von ungewollten Schwangerschaften und schlaflosen Nächten, nichts von Sorgen und Nöten und wenig vom Krieg. Seine Welt war heil und heiter. Brot zu backen gehörte damals zum Alltag eines Bauernhofes, war Selbstverständlichkeit und wöchentlich wiederkehrendes Muss. In der Küche lag der Teig zu Laiben geformt und ruhte in bemehlten Weidenkörben. Er hatte nichts anderes zu tun als zu »gehen«, wie man es landläufig nannte. Inzwischen war das Kind ins Backhaus gelaufen, wo der Großvater mit Holz und Reisig den Backofen anheizte. Alles brauchte seine Zeit. Sobald der Ofen die richtige Temperatur erreichte, musste die Glut entfernt werden. Man hatte keine Thermometer, dafür aber viel Erfahrung. Das Kind sah dem Großvater voll Spannung zu, wie er geschickt mit dem Riesenofen hantierte, schließlich den Brotschieber nahm, Laib für Laib, aus den Körbchen auf das breite Ende stürzte. Mit dem Daumen in die Mitte drei Löcher drückte, als Symbol der Dreifaltigkeit und sie dann, eins nach dem anderen, in den Ofen schoss. War das Werk fast vollendet, hörte man einen befreienden Seufzer der Tante. Das Kind bekam vom Großvater den tagtäglichen Apfel, hosentaschenwarm, und trollte sich...schlich sich klammheimlich in die Vorratskammer, um den Apfel auszutauschen. Großvaters Hosentaschenäpfel schmeckten immer nach Kautabak. Apfel und Brot macht Wangen rot, war einer seiner beliebten Wahlsprüche. Die Tante bereitete inzwischen die alte Eichentreppe vor, putzte sie und rieb sie mit Mager- oder Kälbermilch ein. Keiner durfte sie dann mehr betreten. Die fertigen, dunkelglänzenden Brote wurden noch ofenheiß, Stufe für Stufe, auf die Treppe zum Auskühlen gestellt. Und durch das ganze Haus zog der wunderbare Duft von frischem Brot. Manchmal hat die Frau, die einmal dieses Kind war, diesen Geruch wieder in der Nase und schmeckt ihn auf der Zunge. Immer, wenn Erinnerungen und Heimweh in ihr wach werden, ist er besonders intensiv. Doch niemals hat sie selbst ein Brot gebacken.