Maßgeschneiderte Karfreitagslektion

Diesen Gottesdienst hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Den Lektordienst übernehmen, ja, dann aber ungestört der Predigt zuhören, zum Abendmahl gehen. Alles kam ganz anders. Gewiss, ich hatte bemerkt, dass wir seit geraumer Zeit eine NEUE an der Orgel haben, Übersiedlerin, Pianistin. In die Liturgie - so unser Pfarrer - muss sie sich noch einarbeiten. Unser Kirchenmeister meinte, ob ich nicht nach den Lesungen zur Empore gehen möchte, ein wenig helfen? Meine innere Reaktion war nein. Ruhe wollte ich haben, Andacht.

Gesagt hab ich das nicht, sondern.... »da will ich sie erst mal fragen, vielleicht wird sie durch mich gestört?« Eine dumme Ausrede für einen erwachsenen Menschen. Sie meinte, es wäre gut, wenn ich neben ihr stünde, die ungewohnte Abendmahlliturgie machte ihr zu schaffen. Irgendwie war sie mir sympathisch, die Neue auf der Orgelbank, wir verstanden uns bald und... ich wollte ihr im Grunde Ruhe vermitteln, mühte mich, dass zur rechten Zeit der richtige Ton kam. Es ist schon ein Unterschied, ob man das Geschehen aus der Gemeindebank verfolgt oder sich am Instrument mitverantwortlich weiß. Dann die Lieder, Passionstexte, sie spielte sie melodisch sauber, aber in einem Rhythmus, der dem Sinn so widersprach, dass es weh tat. Doch, da kam Groll auf. Kann sie denn nicht umsetzen, was da geschrieben steht? Dann ihre Erklärung.... »mein Mann und ich, wir haben seit einem halben Jahr Deutschunterricht, ich verstehe noch so wenig...«; also konnte sie die Verse gar nicht lesen, wusste nichts vom Inhalt, daher die Fehlinterpretation. Nach dem Segensspruch und AMEN schaute mich die NEUE an, nahm mich beinahe schüchtern in die Arme, dankte für meine Hilfe -. An diesem Karfreitag habe ich viel gelernt und ging dankbar nach Hause, ohne Abendmahl, trotzdem glücklich.

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