Was du ererbt von deinen Vätern,

Josef Jakob, Jünkerath

Ist das Ererbte verloren, vergangen, vergessen? Vieles spricht dafür. Gelehrte sind sich längst noch nicht einig darüber, wie, wo und wann unsere Sprachen entstanden sind, welchen Weg sie genommen, wem sie unterwegs begegnet sind.

Die Jüngeren unter uns haben keine Schwierigkeiten, »geil« oder »affengeil« als ihren Wortschatz zu erkennen. Sprache der jungen Generation nennt man das. Könnten Sie den Anfang eines Märchens enträtseln, das so beginnt: »Abe in Staich sainta hoche steel und diese steel habent in grosse löchar, beiz jar sainta gewest die seligen Waiblen. Diese waiblen saint gawest kloan loite, balz un gute...« (Unten im Staich gibt es sehr hohe Felsen. Diese Felsen haben tiefe Löcher. In diesen Löchern sollen die seligen Weiblein gehaust haben. Die Weiblein waren sehr kleine Leute, schlau, aber gut.) So aus einem Reisebericht von Klaus Hammächer im »Volksfreund« vor einigen Jahren Nördlich von Verona liege der kleine Ort Giazza, in dem »Bar reidan tautsch« noch gängig sei. Untergegangenes, vergessenes Deutsch, Wortgut des Germanischen, der Cimbern, Langobarden, Goten?? Wortgut entsteht, Wortschatz vergeht, Wortbedeutungen verändern sich.

Älteren Eifelern sagt Eidam noch etwas jüngere Leute finden Schwiegersohn treffender. Ähnlich ergeht es der Schnur (Schnour); der Schwiegertochter. Rasierwasser läuft längst unter der Modebezeichnung Aftershave; dass aber ein voreheliches, uneheliches Kind Afterkind genannt wurde, klingt seltsam. Auch Afterwelt für Nachtwelt will uns nicht einleuchten. Die Schuld für den Untergang der After-Wörter liegt bei der Nähe zum After, Hintern. Als Saarlouiser war mir zur Kinderzeit die Halfschääd als die Hälfte einer Sache vertraut. Als Halbscheid ist sie untergegangen. Auch den Hälberling hat es erwischt, den, der nur zur Hälfte ehelich war, der Bastard. Unverständlich, wieso Urlaub um Urlaub Millionen ins Elend verreisen, freiwillig, ohne Zwang! Setzen wir für Elend Aus-Land, dann wird auch der wehleidige Abschied von Innsbruck verständlich, den angeblich Kaiser Maximilian (womöglich aber sein Kapellmeister Isaac) angestimmt hat: »Innsbruck, ich muss dich lassen... mein Freud ist mir genommen, die ich nit weiß bekommen, wo ich im ELEND bin«.

Es erscheint ein Neuling auf der Werbebühne: der Gilb, der sich in den Vorhängen festsetzt. Er hatte schon einmal als »Gilbe« einen Platz im Wörterbuch, verschwand aber wieder. Es sei kaum mehr gebräuchlich, also entbehrlich! Seltsamerweise hat es »gelblich« nicht erwischt, wenn es zuvor auch »gilblich« hieß. Tändelwoche ist der Flitterwoche gewichen, das Raspelhaus, in dem Spitzbuben zur Strafe Brasilholz raspeln mussten, hat dem Zuchthaus Platz gemacht. In Österreich hat das Wahlkind überlebt, bei uns ist es Adoptivkind geworden. Wenn sich zwei mochten, sich die Ehe versprochen hatten, hielten sie den Mahlschatz für Verlobung oder Hochzeit bereit. Heute nennt er sich Verlobungs- oder Hochzeitsgeschenk. Der Schwäher hat sich in den Schwiegervater, die Schwieger in die Schwiegermutter verwandelt. Als siech (von einer Seuche befallen) stellt sich niemand gerne dar. Heute ist man lieber fit, fit wie ein Turnschuh. Ob der in der Eifel beheimatete Brassel vom Brast (Kummer, Sorge) hergeleitet wird? Um der Kammerlauge auf die Spur zu kommen, benötigt man Phantasie. Lauge aus dem Kammertopf, aus dem Nachttopf, Urin war gemeint. Nahezu verwandt damit hatte sich »Wasser abschlagen, pinkeln, schiffen« festgesetzt. Waren wem diese bösen Worte zu leichtfertig oder absichtlich über die Lippen gekommen, war beim Beichtiger Nachlass der Sünde zu erlangen. Podagra nannte sich die unangenehme Erkrankung, die sich schmerzhaft an den Fußballen zeigte, auch Ballenfieber genannt; die Eindeutschung verlief sich bald, verschwand ganz. In der Eifel sind Flurnamen wie Klingelsräch und Klinge nicht unbekannt. So umschreibt man eine ganz enge Schlucht, oft verbunden mit dem Bach im Grund. (Klingental, Klingenbrunn, Klingelpütz erinnern daran). Wenn Sie auch noch wissen, wer sich Harnprophet nennen konnte, sind Sie obenauf! Goethe selbst nannte einen Arzt so, wenn er glaubte, aus dem Harn eines Menschen oder Tieres Schlüsse ziehen zu können. Nennen Sie Ihren Doktor ruhig wieder »Harnprophet«, wenn er...! »Aich hann de Pipps« hieß es bei uns daheim, wenn die Nase tröpfelte, Erkältung drohte. In früheren Wörterbüchern (um 1700 noch) ward das mit »Pfips, Fipps« umschrieben. Das Ungeheuer lebt noch. Wo aber ist das Geheuer geblieben? Geblieben ist es uns als Eigenschaft. Rumäniendeutschen - habe ich mir erzählen lassen - sei das Geheuer heute noch geläufig. Wer wird sich in zwanzig, dreißig Jahren noch an das breite, behäbige »Marjiellche« aus Ostpreußen erinnern? Werden die Nachgeborenen den Breslauer »Lärje« vermissen? L. M. Lommel hat herzerfrischende Sprachbeispiele für das Schlesische hinterlassen. Wie haben sich die Sudentenländer miteinander unterhalten, wie die Oberschlesier, die aus dem Kaschubenland? Während der Gefangenschaft in Russland bin ich einer alten Frau begegnet, deren Sprache mir seltsam bekannt vorkam. Mein Brigadier, ihr Sohn, meinte lachend, das sei Jiddisch. Ich musste eine Weile zuhören, dann verstand ich vieles davon. Dem Jiddischen drohte der endgültige Untergang. Zu viel erinnert an die in Verruf geratene deutsche Sprache. Aber Wörter wie GANOVE, TACHELES REDEN, KIES HABEN, STUSS REDEN, SCHMU MACHEN, MIESE HABEN, SCHOFEL SEIN... werden bleiben. »schwarze kerschelech reijst man, grine lest man schtejn, schejne mejdelech nemt man, mise lest man gejn...« So sang der Leierkastenmann noch vor dem schlimmen Krieg im Warschauer Ghetto. Möglicherweise bleiben Reste untergegangener Dialekte auf Sprachinseln erhalten. Ein Germanist, Nabil Osmann, hat sich um die untergegangenen Wörter bemüht. Er kommt aus dem arabischen Raum und bemüht sich, nach oder mit Bach, Adelung, Duden, Schirmer, Debus... um untergegangenen und untergehenden Wortschatz.

...erwirb es, um es zu besitzen...

Im ersten Teil von Goethes

Faust sinniert der Denker und

Zweifler Dr. Faust:

»Was du ererbt von deinen

Vätern hast,

erwirb es, um es zu besitzen.

Was man nicht nützt, ist eine

schwere Last.

Nur was der Augenblick erschafft, das kann nützen.« Ist dies die Aufforderung, die im ersten Teil dieser Abhandlung aufgezeigten Wörter rasch zu ersetzen, die Lücke flott zu füllen? So wollte Herr Goethe noch verstanden werden. Er, dem wir - neben vielen Wortschöpfungen auch »morgenschön« verdanken, wäre gewiss nicht einverstanden mit der Art, wie wir mit unserer Sprache umgehen. Dem weitgereisten, welterfahrenen Meister der Sprache war bewusst, wie sehr Griechisch und Latein und Französisch auf unsere Redeweise einwirken. Hörte er uns aber heute zu, musste er sein Haupt verhüllen aus Verzweiflung über die Gier, mit der sich rundum seine Teutschen bemühen, möglichst Denglisch oder Engleutsch zu wirken. Sie glauben mir nicht!? Ich werde es belegen! Faxe ich eine Firma im Kreis Daun an, möchte erklärt haben, was ich unter SCOUT-SAMMIES (so in der Werbeschrift) zu verstehen habe. Mein Enkel sei auf einen Schulranzen aus, und sein Opa wisse zwar, dass ein SCOUT ein Pfadfinder, oder Fährtensucher oder Führer sein könne. Die SAMMIES aber seien rätselhaft! Rückfax der verladenen Firma: SAMSONLTE stamme von der Kofferfirma Samsonite ab!! Verdeutschtes Englisch oder billiger Werbetrick? Besonders eifrig betätigen sich unsere Musikgruppen, Spielgruppen, eine BAND zu sein; die COVERBAND FAIRGROUND betätigt sich bei Wittlich auf einer sinnigen Weihnachts ROCK-PARTY. STARGATE feiert einen Jubeltag (zwei Jahre alt) als HAPPY-BIRTHDAY-PARTY. Unser RWE empfiehlt EASY LIVING, wenn die Familie wächst und rät zum Stromtarif COMFORT FAMILY. Prüm lockt um die Weihnachtszeit zur PROJEKTFETE unter der Mitwirkung dieser Musikanten: CROSSING, PEE WEE GANG, HIGH VOLTAGE, EDGE OF THORNS. Im TV wirbt wer für einen GIRLS DAY. Wer wünschte sich auch einen Mädchentag?? Zehn Jahre JUKEBOX hält eine Eifel-Zeitung für feiernswert. (Musikautomat wäre besser).

Wenn Sie Lust verspüren, besuchen Sie die EURO RACING SCHOW im benachbarten Luxemburg! Oder zieht es Sie mehr zu einem Besuch der DESIGNER-Kollektion SUN & MORE mit Jane et Juliette? In der VG Daun sucht man nach Geld für einen STREET-WORKER. Sollte er sich schlicht Straßenarbeiter oder Straßenhelfer nennen? Unter aller Würde!

Die Eindeutschung dieser Werbung würde viele unbedarfte Nichtenglischkenner in arge Verlegenheit bringen: THE K2 VELOCITY SAFETY PACKAGE. Hätten Sie zur rechten Zeit Englisch gelernt, kämen Sie klar! Ihr Pech! Wissen Sie wenigstens, wer oder was mit YOUNGSTERS gemeint ist? Unsere jungen Fußballspieler natürlich. Im Fernsehen kann einem eine Frühgeburt als VERY VERY LOW WEIGHT verdeutlicht werden. Unsere Lufthansa hat es mit THINKING IN NEW DLRECTIONS; Mannesmann NEED(s) A CHANGE; C8tA bevorzugt THE FÖRDE OF INNOVATION, unser aller Deutsche Bahn AG bietet am SERVICE-POINT RAIL und FLY an. Karstadt dient uns PERSONALITY, BATH SHOWER, HAND AND BODY LOTION zum Kauf an. Gipfel in der Eifelzeitung: WE MAKE MAR-KETS. WORLDWIDE! Klasse! Durchweg haben junge Leute kaum Schwierigkeiten damit, im Internet herum zu surfen. Sie kennen die richtigen „WEBSIDES. Aber wir Älteren quälen uns doch sehr, mit den häufig sinnwechselnden Begriffen zurecht zu kommen. Wer vor dem Computer sitzt der seine Liebchen wechselt wie die Hemden (auch ein SWICHER). Zugegeben ist, dass der Gewinner und der Ver/iererum je eine Silbe länger sind als der WINNER und der LOOSER. muss es deshalb denglisch sein?? Selbst der französische »Figaro« beklagt den Verfall der Sprache Goethes, nennt es »kannibalisch«, wie die Deutschen mit ihrer Sprache umgehen. Dass sie den guten alten Volkswagen NEW BEETLE nennen, ist zu bedauern. Sony wirbt mit Leuchtreklame: SEE YOU TOMORROW! (Weshalb nicht einfach: BIS MORGEN)? Die deutsche Telekom hält MOONSHINE-Tarife für richtig, unterscheidet CITYCALL, GERMAN-CALL, GLOBALCALL Firma A im Nachbarkreis Prüm wirbt für eine Firma B, die angeblich die Sache besser machen will (LETS MAKE THINGS BETTER) mit folgendem verständlichen Text: AUDIOSYSTEM; MINI-SYSTEM WOOX-TECHNOLOGIE; RA-DIO-DA(R)TA-SYSTEM, HOME-CINEMA-DESIGN, DUAL LASER DRIVE mit neuer BLACK LINE-FX-Bildröhre. AKTIVE CONTROL, INCRE-DIBLE SURROUND... und so weiter. Wenn das in einen Eifeler Kopf nicht hinein will, sind die Hersteller nicht die Schuldigen! Unsere Jüngsten sollen mit SAVE-KIDS-BOXEN schon in Kindergarten und Grundschule denglisch vorbereitet werden, weil sie »wahre Sprachgenies« seien. Fußballanhänger werden wenigstens wissen, was eine SLOMO ist; wenn der Ball in ganz verzögertem Tempo herunter fällt. Engländer nennen das SLOW-MOTION. Wenn ein Reporter das Zeitlupe nennen würde, wäre das kürzer und auch nicht falsch. Ein Eifeler Bauernhof bietet Babybeef und Jungbullenfleisch an. Ein unbedarfter Leser kennt das BABY, weil Kleinkinder neudeutsch so heißen. Gefahr droht also! Ist dies das Ende unserer Sprache, oder ist es nur vorübergehende Modeerscheinung? Wenn man noch sinnvoll deutsch miteinander reden kann, sollten wir nicht modisch UP TO DATE (zeitgemäß) sein wollen. »Deutsche Sprache stirbt nicht aus«, verspricht uns Kulturstaatsminister Nida-Rümelin. Wir sollten »keine Minderwertigkeitskomplexe haben«. Sei's drum! Vielleicht ist es so.