In den Fußstapfen von Max und Moritz

Amanda Haagen, Gerolstein

Wer kennt sie nicht, die Lausbuben von Wilhelm Busch! »Dieses war der erste Streich, und der zweite folgt sogleich...«

Meine Brüder waren diesen Spitzbuben sehr ähnlich. Die Schulbank drückten sie wohlbehütet in einem Internat, doch zu Hause war dafür der Teufel los.

Bruder Willi, als Neunjähriger ein lockiger Trotzkopf, war eines Abends spurlos verschwunden. Die ganze Familie suchte Haus und Umgebung ab. Ein Nachbar meinte: »Wir sollten mal in der Hundehütte nachsehen.« - Richtig! Unser Schäferhund Wolf und Willi lagen eng umschlungen in der Hütte. So war der Traum, in der Hundehütte zu übernachten, schnell ausgeträumt. Ein andermal ließ er sich Schlimmeres einfallen. Mamas ganzer Stolz war die Karnickelzucht. Etwa zwanzig Tiere bewohnten einen geräumigen, großen Käfig. Den sperrte Bruder Willi eines Tages auf, um den Karnickeln die Freiheit zu schenken. Schnell fanden sie einen Weg durch sämtliche Gartenzäune hinüber ins angrenzende Kornfeld.

Wieder war es der Nachbar, der uns das Unglück meldete und den Übeltäter dazu. »Die armen Tiere muss man doch frei laufen lassen, ist doch Tierquälerei, sie Tag und Nacht einzusperren!« so verteidigte sich dieser. Unsere gestrenge Großtante versohlte ihm das Hinterteil mit dem Teppichklopfer. Es war die hellste Aufregung, all die Tiere wieder einzufangen. Kurz vor Ende der Ferien vermissten wir nicht nur den trotzigen Bruder Willi, auch der Elfjährige, Georg, erschien nicht zum Abendbrot. Beide waren fortan nirgends zu finden. Auch die Hundehütte blieb leer. - Die Nacht war verstrichen, Mama verzehrte sich vor Angst. Sie gab bei der Polizei eine Vermisstenanzeige auf. Kein Ergebnis. Zwei volle Tage und Nächte bleiben sie unauffindbar. Endlich klingelte das Telefon. Der Förster verriet uns, wo die Buben samt Schäferhund zu finden seien; in einer Höhle am Waldrand oberhalb des Mühlenbaches. Sie waren immer viel mit dem Hund unterwegs, deshalb fiel es auch niemandem auf, dass sie fast die ganze Ferienzeit mit Schaufel und Spaten damit beschäftigt waren, sich diese Höhle auszuschaufeln. Großtantes Strafgericht war ihnen sicher. Auf die Frage, was der Blödsinn sollte, sich in eine Höhle zu verkriechen und der ganzen Familie Angst einzujagen, kam die Antwort der beiden wie aus der Pistole geschossen. »Wir wollen nicht mehr ins Internat zurück, wir wollen uns nicht mehr einsperren lassen.« Als Papa, von einer längeren Reise zurück, davon erfuhr, schüttelte er nur den Kopf und lachte: »Tüchtig, tüchtig! Das sind echte Lausbubenstreiche!«

Mit lachen und »tüchtig, tüchtig« war es beim nächsten Streich nicht abgetan. Eines Tages stand Polizei vor dem Haus. »Ihre Buben werden verdächtigt, beim Getreidemüller den Bach mit Erde und Steinen abgestaut zu haben. Das Mühlrad ist stehen geblieben.« Aha, diesmal war auch der Jüngste, der zukünftige ABC-Schütze, mit von der Partie. Die drei Missetäter sahen sich ertappt und versprachen, den Bach sofort wieder frei zu schaufeln. Die Beamten waren zufrieden, zogen mit verschmitztem Lächeln wieder ab. Der Müller drehte die Buben nicht etwa - wie bei Max und Moritz zu lesen - durch die Schrotmühle, nein, er ließ Gnade vor Recht ergehen. Die Wiedergutmachung war zwischen Papa und dem Müller geschickt und tolerant ausgehandelt. Sie »durften« bis zum Schulbeginn mit der Familie des Müllers ihre Kräfte auf den Feldern bei der Ernte strapazieren. Auch der Hund durfte mitkommen - so war jedem geholfen. Wenn jemand drei Kreuze machte, nach den Ferien die Lausbuben wieder im Internat zu wissen, so war das unsere Dienstmagd. Ob das die Mäuse waren, die sie nachts aus ihrem Bettüberzug befreien musste (ihre Schreckensschreie hallten durch das ganze Haus) oder die Blindschleiche, die sich ihr beim Öffnen ihres Kleiderschrankes entgegenschlängelte. Im Brotkasten in der Speisekammer fand sie Kieselsteine statt Brot, und im Milchtopf schwamm eine halbierte Zitrone; aus war's mit der Frischmilch! An ihrem Sonntagskostüm nähten sie die Ärmel zu, ihre Sonntagsschuhe bestückten sie unter der Einlegesohle mit Reißnägeln. Unsere Großtante, der sie den Spitznamen »Feldwebel« gaben, auch sie blieb von den Neckereien nicht ganz verschont.

Wollte sie einmal ihr Badewasser einlaufen lassen, war das kalt und zwei riesen- große, hässliche Kröten tummelten sich darin. »Sappralott, ihr Lausfratzen!« hörte man sie schimpfen. Und einmal flatterte ihr aus dem Nachtkonsölchen eine kreischende Dohle entgegen... An Einfallsreichtum fehlte es meinen Brüdern nicht. Doch mit der Zeit schlüpften auch sie aus diesen Kinderschuhen und entwickelten sich zu brauchbaren und anständigen Menschen.