Eine Puppe namens Karl-Heinz

Inge Böffgen, Gerolstein

Es war einmal... und gilt noch immer.

Es war Heiligabend anno 1952, der sehnsüchtig erwartete Heilige Abend. Das Wohnzimmer, das den schier endlos langen Tag geheimnisvoll verschlossen war, öffnete sich einladend mit dem Klingelzeichen des weihnachtlichen Cherubins. Mit klopfendem Herzen und freudiger Spannung sog es mich auf.

Unsichtbare Schnüre zogen mich zum festlich geschmückten Tannenbaum. Spritzkerzen versprühten ihren sekundenlangen Zauber und knisternder Rausch verwöhnte meine Sinne. Das Jesuskind lag ruhig im milden Schein der Krippe. Erwartungsvoll streiften meine Blicke umher und suchten den weihnachtlichen Gabentisch. Da endlich, verborgen zwischen verschiedenen kleinen Kostbarkeiten, blinzelte sie mir zu, meine vom Christkind heiß ersehnte Puppe! Zwar hatte mir die vorweihnachtliche Fantasie in bezug auf die Puppengröße einen mittleren Streich gespielt; doch ausstaffiert mit einem »fantastischen« Strickanzug, einer Teufelsmütze und passenden Schuhen lockte mich die Puppe versöhnlich an. Irgendwie elektrisiert näherte ich mich dem vermeintlichen Himmelsgeschenk und traute meinen Augen kaum. Auf der linken Brustseite des Anzugoberteils prangte ein gesticktes Monogramm. Die hübsch ineinander verflochteten Buchstaben K und H versetzten mich aus besonderem Grund in atemloses Staunen. Das fast allwissende Christkind hatte mein süßes Geheimnis (v)erraten, denn der erste zarte Schwärm meiner sich entwickelnden Mädchenseele hieß Karl-Heinz! Karl-Heinz war der ältere und unnahbar stolze Bruder meiner Spiel- und Schulgefährtin. Der Stellenwert der Puppe war vorübergehend unbeschreiblich. Die Zeit verging im Spiel und es relativierte sich der wachsende Anspruch der Jugend. Neue Wünsche bahnten sich ihren Weg und meine einst gehätschelte Puppe Karl-Heinz verlor mit verblassender Erinnerung ihren einzigartigen Wert.

Irgendwann verstaute ich sie in einen Schuhkarton und überließ sie dem elterlichen Speicher. Die zur Frühlingszeit des Lebens gehörenden »männlichen Schwärme« wechselten ihre Namen und das Leben schrieb, wie so oft, auch diese kuriose Geschichte: seit 35 Jahren habe ich einen Ehemann... namens Karl-Heinz.

Natürlich ist meine Puppe mit dem schicksalhaften Monogramm »KH« als stiller Familienteilhaber wieder präsent. Hin und wieder schaue ich sie an und lächle.