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Dem »Prümer« auf der Spur

Zur »Krippenverwandtschaft« zwischen Niederbettingen und Lichtenborn

Prof. Matthias Weber, Niederbettingen

Der »große Unbekannte«

Es war spannend wie in einem Krimi. Nur nicht so mörderisch, aber schön. Es ging auch nicht um ein Verbrechen, sondern um eine Wohltat, sozusagen um ein gutes Werk. Der (Wohl)Täter wurde gesucht, woher er kam, wer er war, was ihn zur Tat befähigte und angestiftet oder bewegen hatte. Was man von ihm in der Hand hatte, war ein Gruppenfoto aus den 30er Jahren. Keines aus dem Verbrecheralbum, eher ein schönes Erinnerungsfoto an ein gemeinsam geschaffenes Werk, nach dem Motto »Wir waren dabei«. Das Foto entstand auf der Treppe zum Hauptportal des Niederbettinger »Eifel-Doms« und hatte bald einen Namen; es zeigt die Niederbettinger »Alt-Krippenbauer«. Gemeint sind damit die acht einheimischen »Bettinger« und ihr von auswärts kommender Vormann, der »Prümer«, die am Ort die vorher vermutlich etwas unscheinbar wirkende Kirchenkrippe erstmals in eine sehr eindrucksvolle, so hier noch nicht erlebte Landschaftskrippe verwandelten, gleichsam sie dazu verzauberten. Das geschah mit Hilfe des »Fachwissens« und großen handwerklichen Geschicks eben des besagten »Prümers«. Sein Name war mangels Dokumentation bis vor kurzem noch völlig unbekannt, da er bei den nachfolgenden Generationen aus der Erinnerung geschwunden, sprich schlicht vergessen worden war. Ein Alltagsschicksal, so schien es, an dem leider nichts mehr zu ändern sei, bis schließlich durch einige Nachforschungen überraschend Licht in das Dunkel kam und manches Unbekannte aufklärte. Das geschah so.

In Niederbettingen hatte der 80jährige Küster Philipp Rauch noch aus seiner Jugendzeit, den 30er Jahren, in seiner Erinnerung bewahrt, dass der im Ort »Prümer« genannte Alt-Krippenbauer in Wirklichkeit nicht aus Prüm, sondern aus Lichtenborn gekommen sei. Der aus der Nähe von Waxweiler, nämlich vom Berscheider Hof, stammende damalige Niederbettinger Pastor Billen habe ihn damals nach »Bettingen« quasi ausgeliehen.

Auf dem bereits genannten Foto wollte man ihn schon genau identifiziert haben, was sich jedoch bald als ein Irrtum erwies. Das Foto ist übrigens im Aufsatz »Ein Wunderwerk aus Moos und Wurzeln« im Dauner Heimatjahrbuch 1999 auf Seite 130 abgebildet. Die Erkenntnis des Irrtums war die erste Überraschung. Alle, die das Bild kannten, glaubten nämlich, es sei der große stattliche junge Mann auf dem Bild, in der ersten Reihe der zweite von links. Aber Pustekuchen, es stimmte nicht. Durch die engagierte und erfolgreiche Unterstützung des Ortsbürgermeisters von Lichtenborn, Friedhelm Hermes, stellte sich bald heraus, dass der gesuchte »Prümer« eine ganz andere Person auf dem Foto ist.

Die Grabstein-Krippe als Indiz

Auch dieser Vorgang hatte eine kleine Vorgeschichte. Nach einem Besuch im Orchidarium in Daleiden am 6. April 2000 hielten wir, meine Frau und ich, auf der Rückfahrt in Lichtenborn an, um einen Blick in die schmucke neuromanische Kirche zu werfen. Stilistisch ist sie ja »verwandt« mit der Pfarrkirche in Niederbettingen. Doch ging es uns in erster Linie um Anhaltspunkte zu unserer selbstgesetzten Suchaufgabe, wo könnte der »Prümer« hier eine Landschaftskrippe hingebaut haben. Da es Anfang April war und die Krippenzeit ja nur bis Lichtmess (Anfang Februar) dauert, fand sich nichts. Es war auch niemand in der Nähe, den wir hätten fragen können. Leicht enttäuscht besuchten wir aber auch den direkt neben der Kirche liegenden Friedhof. Plötzlich entdeckte meine Frau schon aus einiger Entfernung ein schmales Grab mit einem ebenso wunderschönen wie einzigartigen Grabstein. Der »Kopf« des aus gelbem Sandstein gehauenen Grabsteins war - wir trauten unseren Augen nicht - eine richtige Weihnachtskrippe. Sogar Ochs und Esel lugten darin seitlich aus dem »Stall von Bethlehem« heraus. Darunter wies eine schwarze Marmortafel mit ihrer Inschrift auf den hier beerdigten Dechanten und Pastor Joseph Klassen (* 1885 t 1947) hin. Vermutlich war dieser Pastor ein besonderer Krippenliebhaber und Krippenkenner. So ähnlich machten wir uns einen Reim auf den ungewöhnlichen Grabstein. Dann könnte uns ja möglicherweise das Wissen um sein Wirken hier in Lichtenborn auch auf der Suche nach dem »Prümer« weiterhelfen. Der Sockel dieses sehr schönen Priestergrabes enthielt nämlich die etwas verwitterte knappere Inschrift eines hier auch beerdigten Karl Klassen (* 1888 t 1937). Den Lebensdaten nach konnte das ein Bruder des Pastors Klassen sein. Unsere Neugier war nun erst recht geweckt und die vorherige Enttäuschung schlagartig verflogen.

Der hilfreiche Ortsbürgermeister

Am nächsten Tag schrieb und schickte ich einen Brief an den Bürgermeister von Lichtenborn, er war mir dem Namen nach aus einem Zeitungsartikel bekannt. Dem Brief legte ich in Fotokopie meinen Jahrbuchaufsatz über die inzwischen »berühmt gewordene« Niederbettinger

 

Landschaftskrippe mit dem Gruppenfoto bei. Nach ungefähr acht Tagen erreichte mich am frühen Abend ein Telefonanruf aus Lichtenborn. Ortsbürgermeister Friedhelm Hermes war am Apparat. Seine frohe Botschaft lautete: Der gesuchte »Prümer« auf unserem Foto sei von alten Leuten im Ort klar erkannt und identifiziert worden, es sei aber nicht der in Niederbettingen vermutete stattliche junge Mann in der ersten Reihe, sondern der ältere Blonde, derjenige mitten in der hinteren Reihe. Und zwar handele es sich um den Bruder des damaligen Lichtenborner Pastors Joseph Klassen. Auf dem Grabsteinsockel sei es der dort mit seinem Namen »eingemeißelte« Karl Klassen. Diese erfreuliche Nachricht war eine kleine Sensation, ja, sie spornte uns bald zu weiteren Überlegungen und Schritten an. In die Sache kam richtig Bewegung, die weiteren Erfolg versprach.

Auskünfte in der Lichtenborner Pfarr-Chronik

Der Telefonanruf aus Lichtenborn hatte weitere Fragen ausgelöst. Also schrieb ich an Bürgermeister Hermes einen zweiten Brief. Als Zeichen der Anerkennung und des Dankes für seine Hilfe fügte ich ein Niederbettinger Kirchenheft bei. In Lichtenborn revanchierte man sich mit einem der letzten Exemplare der inhaltsreichen und mit schönen bildern ausgestatteten gedruckten Pfarr-Chronik. Sie war 1996 zum 100jährigen Baujubiläum der schönen Lichtenborner Kirche St. Servatius erschienen. Hierin fand ich zunächst viel Wissenswertes über den Lichtenborner »Krippenpfarrer« Joseph Klassen. Sein Name war mir zwar schon vom bereits genannten Grabstein bekannt, aber sonst wuste ich noch nichts über sein Leben. Nun erfuhr ich mehr.

Geboren wurde er am 27. 11. 1885 in Trier, zum Priester geweiht am 1. 8. 1912 und Pastor von Lichtenborn im Jahre 1918, schließlich auch Dechant des Dekanates Waxweiler 1945. In der kurzen Lebensbeschreibung fielen mir zwei wichtige Hinweise besonders auf: So der Satz »Er widmete in jahrelanger stiller Arbeit seine großen schriftstellerischen Fähigkeiten der Ehre Gottes und dem Heile seiner Mitmenschen.« Ferner: »Seine besondere Liebe... galt dem Krippenbau, und seine aufopferungsvolle Arbeit auf diesem Gebiet machte ihn weit über die Grenzen seines Heimatbezirkes hinaus bekannt.«

Pfarrer Klassen: »Die Krippe ist ein Apostel«

Für Pastor Klassen war die Weihnachtskrippe nicht einfach ein Werk geschickter Bastler oder gar eine verzückende Miniaturwelt für Kinder, sondern ein höchst wirksames Instrument christlicher Mission. Entsprechend erhob er das Krippenbauen gleichsam in den Rang einer religiösen Tätigkeit. In seinem Krippenbüchlein heißt es dazu wörtlich: »Die Krippe ist ein Apostel, vom Glauben genährt, weckt und belebt sie den Glauben. Wo ihr Hausrecht gewährt wird, geht der Würgeengel, der in mancher Familie das Glaubensleben ertötet, vorbei. Es gibt keinen Gast, der sich so dankbar erweist wie die Krippe« (S. 11). »Sie (die Krippe) regt zum Beten an« (S. 12). »Wer eine Krippe baut, vermittelt seinen Hausgenossen religiöses Wissen. ...Eine ganze Predigtreihe vermag das Kripplein dir zu halten: vom wahren Frieden, von der Entsagung, vom Werte der Seele, von der Genügsamkeit, von der Freude in Gott, vom Vertrauen auf die Vorsehung« (S. 14). Die geistige Einstellung des Krippenbauers lag unserem Autor so sehr am Herzen, als gehöre er zu einem religiösen Eliteorden. Ein ganzes Kapitel widmete er ihm unter der Überschrift: »Vom Geiste des Krippenbauers«. Hier einige Auszüge: »Krippenbauer hab acht! Rutsch mir nicht ab auf die Bahn des Hochmuts und der Eitelkeit. ...Wenn dir etwas Besonderes beim Krippenbau gelingt, darfst du gewiss deine Freude haben und es anderen zeigen, aber geh nicht auf Lobhudelei aus. ...Wenn du ein Protz sein willst, mein Gott, dann laufen dir die bescheidenen Hirtenleute gleich davon und Sankt Josef sattelt den Esel und flieht mit der Magd des Herrn und dem Heiland aus deinem hochmütigen Haus. Demütiger Kindersinn steht dem Krippenbauer am besten, der soll ihn auszeichnen vor denen, die nicht zu seiner Zunft gehören« (S. 109). ...Das Hauptziel bei der Krippe ist und bleibt die eigene Erbauung und die Erbauung anderer. Dem muss der Krippenbauer vor allem nachstreben und je näher er diesem Ziel kommt, desto gesegneter ist seine Arbeit, desto froher sein Herz« (S. 109/110). »Krippengeist ist Gebetsgeist« (S. 110).

Karl Klassen (1888- 1937) war der »Prümer«

Schon diese wenigen Ausführungen weisen auf eine gewisse Arbeitsteilung der beiden Brüder Klassen bezüglich ihrer Beschäftigung mit Weihnachtskrippen hin. Der studierte und schriftstellernde Pastor Joseph Klassen war der Theoretiker und der aktive Krippenbauer Karl Klassen - über seinen Beruf ist leider nichts bekannt - der handwerklich begabte Praktiker. Wir haben unseren neuen Lichtenborner »Krippenfreund« Gerd Staus kürzlich bei einem Besuch in seiner Heimatkirche St. Servatius gebeten, für uns aufzuschreiben, was ihm seine Großmutter, Frau Christine Staus, geb. Schmitz (» 30. 8. 1914), über den »Prümer« noch zu erzählen wusste. Hier sein Bericht, der gleichermaßen für die Lichtenborner wie Niederbettinger Krippengeschichte erhebliche Bedeutung hat. Gerd Staus schreibt: »Karl Klassen, geboren 1888, war im Ersten Weltkrieg schwer verwundet worden, weshalb er eine Kriegsrente bezog. Nachdem sein Halbbruder Josef Klassen (geb. 1885) zum Pfarrer des Eifeler Höhenortes Lichtenborn ernannt worden war, zog Karl Klassen ebenfalls im Pfarrhaus in Lichtenborn ein. Die beiden Brüder konnten hier ihrer großen Leidenschaft, dem Krippenbau, nachgehen. Pfarrer Klassen reiste viel umher, nach Bamberg, Regensburg, um Krippen zu besichtigen und Kontakte zu knüpfen. Daraufhin fuhr nun Karl Klassen als Krippenbauer durchs Land, sogar bis nach München, wo er in den 20er Jahren im Auftrag seines Bruders die schönen beweglichen Figuren für die Lichtenborner Krippe bei Bildhauer Otto Zehentbauer anfertigen ließ. Er war aber auch im nahe gelegenen Ausland (Luxemburg, Belgien) als Krippenbauer tätig. Somit haben sich Jose/und Karl Klassen um die Verbreitung der Weihnachtskrippe verdient gemacht - der Pfarrer durch seine >Studien< -Reisen und schriftstellerischen Werke. Karl durch seine praktische Anleitung beim Bau von Wurzel- und Landschaftskrippen nach dem Vorbild der Lichtenborner Ganzjahreskrippe.

Karl verstarb 1937 und Josef 1947. Sie fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof zu Lichtenborn.«

»Krippenverwandtschaft« -erste wechselseitige Besuche Die Kontakte mit den Lichtenborner Herren Ortsbürgermeister Friedhelm Hermes und Gerd Staus sowie die sich daraus ergebenden neuen Kenntnisse über die Krippengeschichte beider Ortschaften führten bald auch zum ersten Besuch und damit zum persönlichen Kennenlernen. Zu Weihnachten 2000 konnte ich den Niederbettinger Neukrippenbauern das erfreuliche Ergebnis der Recherchen in Lichtenborn mitteilen und die Besuchseinladung von Herrn Staus übermitteln. Bereits am 7. Januar 2001 (einen Tag nach Drei Könige) machten sich die »Bettinger« auf zur ersten gemeinsamen Krippenfahrt nach Lichtenborn. Ihren Berichten zufolge muss der Besuch im Prümer Land eindrucksvoll gewesen sein. Es kam nicht nur zur ersten Begegnung mit dem geistigen Geburtsort der heutigen prächtigen Niederbettinger Landschaftskrippe in der schmucken Lichtenborner Servatius-Kirche sowie zu Begrüßung und Gespräch mit dem dortigen verantwortlichen Krippenbauer, Herrn Staus, sondern auch anschließend zur weiteren Besichtigung von Kirchenkrippen: in Waxweiler und in Prüm. Wenn das die geistigen Väter der Lichtenborner und Niederbettinger Krippe, Pastor Joseph Klassen und sein Bruder Karl Klassen, noch erlebt hätten, dass und wie ihre geistige »Saat« so erfreulich aufgegangen ist und als Frucht jung und alt große Freude bereitet, müssten sie darüber tiefe Genugtuung empfinden.

Danksagung

Für wertvolle Mitteilungen und wichtiges Quellenmaterial danke ich herzlich den Herren Ortsbürgermeister Friedhelm Hermes und Gerd Staus, beide aus Lichtenborn, Kreis Bitburg-Prüm.