Der Kuhfladen

Beitrag von »Kleintieren« zum Gleichgewicht der Natur

Klaus Cölln, Gönnersdorf Et Andrea Jakubzik, Köln

Das System

Im Durchschnitt bedeckt ein Rind fast einen Quadratmeter Land pro Tag mit seinen Exkrementen. Land, das für bis zu zwei Jahren als Weide verloren wäre, wenn nicht eine Schar von Kleintieren für eine schnellere Beseitigung sorgte. Dazu gehören zunächst die »Kotfresser«, eine Gilde aus Käfer- und Fliegenarten, die als Larven und/oder erwachsene Insekten auf die Ausscheidungen der Rinder angewiesen sind. Unterstützt werden sie durch die »Kotliebenden«, die den Kot für ihre Ernährung nutzen können, aber nicht unbedingt davon abhängig sind. Hierzu gehören manche Regenwurmarten und bestimmte Spezies der Urinsekten. Natürlich stellen sich auch eine Reihe von Räubern ein, die sich von den Kotnutzern ernähren und zu denen eine Vielzahl von Käfer-, Fliegen- und Milbenarten gehört. Schließlich dienen gerade ältere, getrocknete Fladen Laufkäfern, Schaben, Ohrwürmern und Tausendfüßern als Schutz und weniger als Nahrung. Verschiedene Tierarten besiedeln den Kuhfladen zu unterschiedlichen Zeiten. Während die einen das frisch ausgeschiedene, noch dickflüssige Produkt bevorzugen, haben andere eine Vorliebe für das ältere und durch Austrocknung festere. Mit der Zustandsänderung geht also ein regelhafter Wechsel in der Fauna einher. Auch die Jahreszeit spielt eine Rolle (v. LILLIENSKIOLD 1977). So enthielt ein zwei Tage alter Fladen bei Untersuchungen im Frankenforst am Rande des Siebengebirges im Mai 1159 Insektenindividuen, ein anderes, entsprechend altes Exemplar dagegen im September 185. In beiden Fällen waren die Kuhfladen jedoch nach 42 Tagen abgebaut und von Gras überwachsen. Zusammen mit vielen anderen Organismen wie Bakterien und Pilzen werden die Kuhfladen in die Erde eingearbeitet und die in ihnen enthaltenen Substanzen recycled, so dass sie wieder von Pflanzen zur Synthese neuer Nahrung für das Vieh genutzt werden können. Es existiert ein Netzwerk von Lebewesen, das die Hinterlassenschaften der Rinder Schritt für Schritt beseitigt und ohne Gefährdung des Grundwassers die Weideflächen wieder regeneriert.

Ein unfreiwilliges Experiment

Normalerweise können wir uns auf die Natur verlassen. In kontinuierlichen Kreisläufen sorgt sie für den Auf- und Abbau von Stoffen, wobei zahlreiche Organismen beteiligt sind, die man nach Größe und Ernährungsweise in Gilden einteilen kann. Mitglieder einer Gilde können sich bis zu einem gewissen Grade gegenseitig vertreten, so dass die Systeme auf allen Ebenen mehrfach gesichert sind. Wir können darauf bauen, dass unsere Wälder nicht im Falllaub ersticken oder dass wir in einer knietiefen Schicht täglich anfallender Leichen von Insekten, Mäusen und Vögeln waten müssen. Doch am Beispiel des Kuhfladens wurde durch ein unfreiwilliges Experiment deutlich, welchen Wert die Aktivitäten kleiner, von uns bestenfalls beiläufig registrierter »Krabbeltiere« haben.

Vor mehr als 200 Jahren brachten englische Einwanderer die ersten sieben Rinder nach Australien - ein Kontinent, dessen Fauna zwar an den trockenen Kot der Beuteltiere, nicht aber an die feuchten Fladen der eingeführten Nutztiere angepasst war. Anfangs fiel angesichts der geringen Individuenzahl der importierten Wiederkäuer dieser Umstand nicht ins Gewicht. Als dann aber die Zahl der Rinder wuchs und schließlich 30 Millionen Exemplare erreichte, wurden die Probleme unübersehbar. Pro Tag wurden jetzt 30 Quadratkilometer mit Kuhfladen überzogen. Daraus resultierte jährlich eine Fläche von 10.800 Quadratkilometern, was praktisch der Hälfte der Fläche des Bundeslandes Rheinland-Pfalz entspricht.

Das verlorene Paradies

Aufgrund der fehlenden Fauna erwiesen sich die »blühenden Landschaften« Australiens als ungeeignet für Rinder, ja, die Anwesenheit der Nutztiere verschlechterte die Weidegründe zusehends. Während bei uns die Fladen in durchschnittlich unter 100 Tagen aufgearbeitet werden, blieben sie unter den australischen Bedingungen bis zu mehreren Jahren erhalten. Durch die Störung des Stoffkreislaufes ging sowohl Weidefläche als auch Weidequalität verloren. Darüber hinaus erwiesen sich die unzersetzten Kuhfladen als optimale Brutstätte für eine Reihe von Parasiten, zu denen blutsaugende Fliegen und parasitische Fadenwürmer gehören, womit eine weitere, sehr ernst zu nehmende Bestandsgefährdung der Rinder ins Spiel kam.

Die chemische Keule, ein Symbol der Hilflosigkeit

Man dachte zunächst daran, den Kot zu beseitigen und die Parasiten durch Pestizide zu bekämpfen - beides Maßnahmen, deren langfristiger Erfolg in Zweifel zu ziehen war. Besonders letztere war in zweifacher Hinsicht problematisch, denn zum einen mussten die eingesetzten Mittel ein von chemischen Rückständen freies Fleisch garantieren. Zum anderen bestand die Gefahr, dass sich Parasitenstämme entwickeln würden, die gegen die zur Verfügung stehenden Gifte resistent sind. Beispiele in dieser Hinsicht existieren aus allen Teilen der Welt.

Versuche zur biologischen Lösung des Problems

Schließlich nahm das Problem derartige Dimensionen an, dass man auch über die Einführung von Tierarten aus entsprechenden Klimazonen anderer Kontinente nachdachte, die die Beseitigung des Rinderkots übernehmen könnten. Allein in Afrika fand man über 2000 Arten

der Dungkäfer, die mehr oder weniger spezialisiert sind. So bevorzugen einige den Kot von Elefanten, Zebras oder Schafen, andere den von Rindern. Es lag nahe, besonders effektive Vertreter der letzteren Gruppe für die Einfuhr vorzusehen.

Mühsam erzielte Erfolge

Natürlich ging man vorsichtig zu Werke, denn mit der Einfuhr von Tierarten hat man in Australien unliebsame Erfahrungen gemacht. Ein weniger bekanntes Beispiel betrifft eine aus Südamerika über Hawaii eingeführte Kröte, die bestimmte, Zuckerrohr-Kulturen schädigende Käfer dezimieren sollte. Die Kröten stellten aber statt dessen ihre Ernährung bald auf tote Insekten unter Straßenlaternen um und kamen damit der ihnen zugedachten Aufgabe nicht nach.

Die ersten eingeführten Arten der Dungkäfer brachten nur Teilerfolge, was nicht besonders verwundert, wenn man sich die Komplexität unserer Kuhfladen-Fauna vor Augen führt (SKIDMORE 1991, TOPP 1981). So hatte man bei der Einfuhr nach Australien die Milben entfernt, die normalerweise von den Käfern mitgeführt werden, um der unkontrollierten Einfuhr von Organismen vorzubeugen. Erst später stellte sich heraus, dass gerade die Milben die unerwünschten Fliegenlarven dezimieren und somit die Effektivität der Dungkäfer steigern. Völlig unerwartet löste sich das Problem der Kontrolle der Käferpopulationen, die ja unter den einheimischen Tieren Australiens keine nennenswerten Feinde hatten. Hier kam die oben genannte Krötenart erneut ins Spiel, stellte sich nochmals um und wartet jetzt vor den Kuhfladen Australiens auf Mistkäfer.

Ein Plädoyer für die Kleinen

Der Kuhfladen ist ein eindrucksvolles Modell für die Komplexität der Vorgänge in der Natur, der uns über die Geschehnisse in Australien hinaus auch noch verdeutlicht, was passiert, wenn bestimmte Prozesse nicht (mehr) ablaufen. Nur wenige der Tiere, die daran beteiligt sind, werden normalerweise in ihrer Funktion erkannt. Sie werden bestenfalls als »Käfer« oder »Fliegen« bezeichnet oder aber ganz einfach den »Kleintieren« zugeordnet, die zum Teil unsere Existenz auf der Erde garantieren. Deshalb unsere Bitte an Politiker und auch manche Naturschützer:

»Habt mehr Achtung vor den Kleinen, denn der Wert, den sie für uns durch ihre Tätigkeit erbringen, wird leider oft erst kalkulierbar, wenn sie nicht (mehr) vorhanden sind.«

Literatur

v. LILLIENSKIOLD, R. (1979): Sukzession der verschiedenen Insektengruppen im Rinderkot des Frankenforstes/Siebengebirge. - Decheniana 132, 43-45. Bonn.

SKIDMORE, P. (1991): Insects of the British cowdung Community. - Leiden, 166 S.

TOPP, W. (1981): Biologie der Bodenorganismen. - Heidelberg, 224 S.