Die verhinderte Heuernte

Therese Schneider, Brockscheid

Wir hatten eine Wiese, die lang und schmal war, deshalb nannten wir sie die »Handtuchwiese«. Sie lag nahe des Dorfes und wurde meistens zuletzt für die Heuernte in Angriff genommen. Das Heu machen auf dieser Wiese war sehr angenehm, da sie keine Unebenheiten aufwies, das heißt, keine Vertiefungen oder Wölbungen hatte, woran man leicht die Zähne des Heurechens hätte abreißen können, was sehr unerwünscht war. Glatt wie ein Teppich lag sie in einer leichten Senke. Es gab noch einen Grund, warum wir so gerne in diese Wiese gingen, wir konnten zu den Mahlzeiten nämlich nach Hause gehen. Bei anderen Wiesen waren weite Strecken zu Fuß zu laufen - bepackt mit Gerätschaften und etwas Verpflegung. Dort blieben wir den ganzen Tag über, um das Heu durch öfteres Wenden mit Hilfe von Sonne und Wind so trocken zu bekommen, dass es gegen Abend nach Hause geholt werden konnte. Wir begrüßten es sehr, wenn in den Wiesen eine kleine Schattenstelle war, wo wir uns zwischendurch mal ausruhen konnten. Auch war es schön, wenn in der Nähe ein kleiner Wasserlauf war, wo wir unseren mitgebrachten Gries- oder Reispudding sowie Brote und Getränke hinlegen konnten, wo alles kühl blieb. Und wie wohl es unseren Füßen tat, wenn wir sie mal ins Wasser tauchen konnten, bedarf keiner Beschreibung.

Dies alles war bei der Handtuchwiese nicht nötig. Oft brachten wir schöne reife Erdbeeren mit nach Hause, die wir an den Wiesenrändern pflücken konnten und, als Dessert zubereitet, besonders gut schmeckten. So gefiel es uns und wir waren gewohnt, dass alles gut ablief. Aber dann kam es doch einmal ganz anders. Das Heu war, ohne einmal Regen zu bekommen, trocken geworden und verströmte den feinen würzigen Duft, der besonders gutem Heu eigen ist - und auch die Farbe lässt erkennen, wenn das Gras in der Blüte geschnitten, nicht zu alt wird und auf »Heuwetter« warten muss. Dazu ist zu erwähnen, dass früher in den Wiesen viele Kräuter und Tees wuchsen, die heute wegen überhöhter Düngung nicht mehr vorhanden sind. Heute kommen in vielen Kurkliniken Heusamen zur Linderung der verschiedensten Beschwerden zur Anwendung; Heu ist also nicht nur Viehfutter, sondern ein Naturheilmittel. Die Pharmazie legt eigene Anbauflächen an, auf denen ausgesuchte Gräser, Krauter- und Blütensamen aufgezogen werden, die nur in der Naturheilkunde Verwendung finden. Wer kennt nicht das warme Heusäckchen bei Leibweh oder Nackenverspannung?

Nun aber zurück zu unserer Handtuchwiese. Gleich nach dem Mittagessen machten wir uns auf, das Heu zu zwei langen Schwaden zusammen zu kämmen, dass wir es aufladen konnten. Von Westen her kündigte sich ein Gewitter an, doch die Sonne stand noch am Himmel und wir hofften, dass nichts schief lief. Nach kurzer Zeit blitzte und donnerte es schon und wir arbeiteten immer schneller - das Gewitter im Nacken gab das Tempo an. Auf einmal kam eine Windhose auf, die über die Wiese hinwegfegte. Unsere Dirndl-Röcke flogen bis über die Köpfe hoch, was zunächst noch lustig anzusehen war und worüber wir herzhaft lachen konnten. Aber dann kam starker Sturm auf. Das Heu wurde wie Seifenblasen hochgehoben und in die Luft gewirbelt, um dann auf den angrenzenden Wiesen verstreut zu werden. Oh, unser schönes Heu! Uns blieb keine Zeit, wehmütig darüber nachzudenken, sondern wir mussten uns in Sicherheit bringen, sofern das überhaupt möglich war. Nach Hause konnten wir nicht mehr, dazu war der Sturm zu heftig. So zogen wir es vor, über die Nachbarwiese zu einem kleinen Hang zu laufen, der mit seinem niedrigen Baum- und Heckenbewuchs Schutz bieten könnte. Unser Fuhrmann spannte das Gespann vom Wagen und folgte mit den Tieren im Laufschritt. Instinktiv steckten die Tiere ihre Köpfe ins Gestrüpp und der Fuhrmann blieb nahe bei ihnen. Das beruhigte sie. Wir »Heumacherinnen« hatten uns ein Kleidungsstück über den Kopf gelegt und lehnten in gebückter Haltung an der Böschung, hoffend, dass das Gewitter bald vorbei wäre. Aber dem war nicht so, im Gegenteil, es fing erst richtig an. Ganz tief hingen die schwarzen Regenwolken über uns, es wurde dunkel wie in der Abenddämmerung. In Fetzen flogen die Wolken über uns hinweg; es sah gespenstig aus. Dann setzte Regen vermischt mit Hagelkörner ein.

Es fielen Wassermassen wie mit Eimern geschüttet. In der Senke vor uns bildeten sich bereits Tümpel. Blitze, die vor unseren Augen niedergingen, waren so grell, dass sie blendeten und die darauf folgenden Donnerschläge so gewaltig, dass das weite Wiesental davon erschüttert wurde; unser Trommelfell schmerzhaft reagierte. Einem Inferno gleich spielte sich dieses Unwetter ab und wir drei Menschen haben in der gefährlichen Situation, in der wir uns befanden, im Stillen gebetet. Mir fiel dabei eines ein, das früher in »besonderer Not« gebetet wurde. Da hieß es unter anderem: »Blitz und Donner nehmen die Wege, die Du ihnen zeigst... wenn Du die Sünder strafen willst, so ist alles wider sie bereit.« Ob wir Strafe verdient hätten? Das habe ich mich oft gefragt. Zum Glück war das Unwetter nach etwa 45 Minuten vorbei, doch uns kam diese Zeit wie eine halbe Ewigkeit vor, und wir konnten, ohne Schaden erlitten zu haben, den Ort verlassen, der uns, wenn auch nicht vor dem Regen, so aber doch vor dem starken Sturm geschützt hatte. Sicherlich waren unsere Schutzengel auch nahe und wir dankten dem Himmel für die Rettung aus »besonderer Not«. Mit dem wenigen Heu, das wir auf dem Wagen hatten, fuhren wir nach Hause; man hatte sich große Sorgen um uns gemacht - nicht ohne Grund. Sechzig Jahre liegt diese Begebenheit zurück, ich habe seither ein solches Unwetter nie wieder erlebt.