Kerzenlicht

Peter Zilligen , Wittlich

....kannten wir in der Kindheit als etwas ganz »Besonderes«. Kerzenlicht schmückte den Weihnachtsbaum und gab dem Fest das Feierliche. In der Kirche brannten Kerzen am Hochaltar und bei den Heiligen. Das Licht der Kerze gab wohltuende, beruhigende Gemütlichkeit. Nach und nach verlor das Kerzenlicht viel von seinem Fluidum. Stärkere Lichter, Fackeln, Pechfackeln waren beeindruckender. Sie wurden auf der Straße getragen, bei Fackelzügen von Uniformierten, von Männern in braunen Uniformen. Männer, mit dem Stahlhelm auf dem Kopf, standen mit der Fackel am Ehrenmal, breitbeinig, mit starrem, unbeweglichem Gesicht. Dann wurden die Lichter wieder kleiner, es wurde dunkler. Es war die Zeit, in der sie uns von der Schulbank holten, Soldaten aus uns machten. Bald erhielt die Kerze eine ganz andere Bedeutung. Mit dem Kerzenlicht lebten wir im Erdbunker, Tag für Tag und Nacht für Nacht. Tageslicht gab es nur draußen. Auf dem roh gezimmerten Tisch stand immer das kleine Licht. Es hatte die Form und den Namen geändert, Hindenburglicht hieß es; der Docht im Wachs war geblieben. Alles geschah bei dem kleinen, flackernden Licht. Es wurde gewacht und geschlafen, gegessen und getrunken, Briefe gelesen und geschrieben. Dann und wann wurden beim Kerzenlicht die Hände, das Gesicht gewaschen, auch rasiert, die Stiefel angezogen und ausgezogen, Kleider getrocknet und Waffen gereinigt. Groß durfte die Flamme nicht sein, sonst hätte ihr im Erdloch der Sauerstoff gefehlt. Spärlich leuchtete es den Soldaten ins Gesicht, machte sie alle gleichaussehend, blass, schattenhaft, oft unwirklich. Das Gesicht verschwand fast unter dem Stahlhelm. Hier brannte das Licht nur für die noch Lebenden; draußen, bei den vielen Toten, blieb es dunkel. Das Kerzenlicht hörte mehr schimpfen als lachen; wenn Zeit zur Besinnung blieb, wurde auch getrauert. Unser Uhrmacher, ein Soldat aus dem Schwarzwald, reparierte Uhren beim Kerzenlicht, die Lupe vor das Auge geklemmt. Bei jedem Landser, der durch die knarrende Tür herein kam, machte das Licht besonders auf sich aufmerksam. Es flackerte kurz auf, beleuchtete schemenhaft all das, was sich hier versteckte. Bei jedem Kommen und Gehen war nichts vertrauter, selbstverständlicher, auch armseliger als unser Kerzenlicht. Von dem »Besonderen«, dem Feierlichen der Kerze aus der Kinderzeit, war nichts geblieben.

Jahre gingen dahin, ehe das Kerzenlicht wieder ruhiger wurde, ehe es wieder die Herzen gewinnen konnte, man wieder zur Andacht kam. Auf jedem Tisch wird es wieder angezündet, wenn sich die Menschen wohlfühlen, einander verstehen sollen. Das Kerzenlicht hat gewonnen, es ist uns vertrauter geworden.