Ein Motorrad erzählt. - Nachkriegsepisoden

Friedbert Wißkirchen, Daun

Der Vater von Ludwig, Bernhard T., betrieb in einem Ort an der Kleinen Kyll vor und nach dem II. Weltkrieg eine Küferwerkstatt und einen Kelterbetrieb, in dem unter anderem Eichenfässer und Bütten hergestellt wurden. Meister T. war, wie viele Eifelaner nach dem Krieg, auf Schusters Rappen angewiesen, wenn er sich fortbewegen wollte. Da kam 1948 das Angebot des Metzgermeisters Clemens T. aus Deudesfeld gerade recht. Er hatte ein Motorrad zu verkaufen, eine alte Wehrmachts-DKW, die den Krieg ziemlich unbeschadet überstanden hatte; 10.000 Reichsmark sollte die Maschine kosten, eine Summe, die die Ersparnisse bei weitem überstieg. Ein Glück, dass Bernhard T. gerade eine Schnapsbrennerei eröffnete, so konnte der Kaufpreis für das Motorrad teilweise in Naturalien beglichen werden. Jetzt hatte Vater Bernhard T. zwar ein Motorrad, aber keinen Führerschein. Auch Sohn Ludwig, 17 Jahre alt, war natürlich sehr daran interessiert, den Führerschein zu machen, um - so hoffte er - ab und an auch das Motorrad benutzen zu können. Wie kam man an einen Führerschein? Fahrschulen gab es in der näheren Umgebung noch nicht. Im Amtsort Niederstadtfeld war Gendarmeriemeister W. tätig und somit auch für die Orte der Umgebung zuständig. Auf Anfrage kam er in den kleinen Kyllort, um Bernhard und Ludwig T. in die Verkehrsregeln einzuweisen und die Prüfung abzunehmen. So saßen der Gesetzeshüter, die Führerscheinaspiranten Senior und Junior T. in der guten Stube und lauschten aufmerksam dem Vortrag über die Verkehrsregeln und das Verhalten im Straßenverkehr. Besonders strenge Maßstäbe wurden natürlich an den 17jährigen Ludwig gestellt, der eigentlich den Führerschein erst mit 18 Jahren hätte machen können. Während Gendarm W. zu Vater T. nur bemerkte, »das weißt du ja schon alles«, warteten auf Ludwig einige Fragen, wie »aufweicher Straßenseite fährt man, auf welcher Seite wird überholt?« Ludwig konnte die wenigen Fragen zur Zufriedenheit des Gesetzeshüters beantworten, und damit war die Prüfung auch schon beendet; Gendarm W. füllte die mitgebrachten Führerschein-Formulare aus und übergab sie. Während Ludwig schon bald einige Runden mit der DKW auf der Dorfstraße drehte, schaute sein Vater aufmerksam zu und ließ sich die Bedienung des Motorrades mehrmals erklären. An einem Sonntag im November war es soweit; Bernhard wollte mit seiner Frau eine Waschmaschine im Nachbarort besichtigen und zeigen, dass auch er das Motorrad beherrschte und es sich vorzüglich zu sonntäglichen Ausflügen mit der Gattin eignete. Die stieg mit gemischten Gefühlen zu ihrem Bernhard aufs Gefährt, das in der Straßenrinne stand, in der sich schon ein wenig Eis gebildet hatte. Ludwig erklärte seinem Vater noch einmal die Bedeutung des Kupplungshebels und schärfte ihm ein, nach Einlegen des Ganges die Kupplung ganz langsam loszulassen. Bernhard unterbrach mit einem strafenden Blick die Belehrungen seines Sohnes, legte den Gang ein, gab wohl etwas zu viel Gas, ließ die Kupplung etwas zu schnell kommen und das Motorrad schoss mit einem Satz nach vorn, rutschte auf dem Eis weg, hob mit dem Vorderrad von der Erde ab und Fahrer und Beifahrerin landeten im hohen Bogen auf der Dorfstraße. Gott sei Dank, außer dem Schrecken und ein paar blauer Flecken war die Landung zwar unsanft, aber dennoch glimpflich abgegangen. Auch die weltkriegserprobte DKW, die schon einiges mitgemacht hatte, blieb fast ohne Schaden. Während Mutter T. erklärte, nie mehr eine solche Höllenmaschine zu besteigen, war auch den Worten von Vater T. zu entnehmen, dass er so schnell nicht mehr Motorrad fahren wollte. Nur einem schien das Geschehen nicht ungelegen gekommen zu sein - die Familie T. hatte ein Zweirad, Ludwig den Führerschein und die Fähigkeit des Fahrens. Fortan war Ludwig mit einem Fortbewegungsmittel ausgestattet, um das ihn viele im Dorf und der Pfarrei beneideten.

Taxifahrten für den Pastor

Das sprach sich auch bald herum, zumal Ludwig am Sonntag mit dem Motorrad nach Bleckhausen zur Kirche fuhr. Auch der Bleckhausener Pastor, in seiner Pfarre und der Nachbarschaft auch als »Bläkesser Jusep« bekannt, erkannte, dass er mit einem Motorrad nicht nur nach Schutz in die Kapelle, sondern ab und an auch zu den Kollegen in den Nachbarpfarreien zum Skatspiel gelangen konnte. So kam es dann auch, dass der Bleckhausener Pastor bei T. anrief und bat, Ludwig sollte ihn da- oder dorthin fahren. Ob nach Manderscheid zum Zigarrenkauf oder zu benachbarten Amtsbrüdern um Skat zu spielen; die DKW mit Fahrer Ludwig war gefragt.

Eines Tages wollte der Bleckhausener Pastor zu seinem Kollegen Michel nach Deudesfeld. Also fuhr Ludwig, ein Leichtgewicht von 65 kg, mit dem Pastor - der mehr als 180 cm groß und über 90 kg schwer war, über die Serpentinen ins Tal nach Schutz und auf der anderen Seite die kurvenreiche Strecke nach Deudesfeld hoch. Schnell konnte man - allein wegen der schlechten Straßenverhältnisse - nicht fahren, aber auch weil die zusätzlichen 90 kg des Pastors dem 3,5-PS-Motor einiges abverlangten. Abends holte Ludwig den Pastor wieder ab und auf der Rückfahrt pflegte man bei langsamer Fahrt auf dem Motorrad eine angeregte Unterhaltung. Ludwig hatte auf einmal den Eindruck, das Motorrad lief besser und auf dem Rücksitz war es auch ruhig geworden. In einer Kurve, der Pastor hatte sich nicht festgehalten und ein Schlagloch tat das andere, war der Soziusfahrer - ohne Schaden zu nehmen - heruntergefallen. Nachdem der den Staub aus seinem weiten Mantel geschüttelt, den breitkrempigen Hut wieder aufgesetzt hatte, kam man doch noch wohlbehalten in Bleckhausen an. Das kleine Missgeschick hielt den Geistlichen aber nicht davon ab, künftig auf die Taxifahrten per Motorrad zu verzichten.

Kirmeseinnahmen

Wer hatte schon als Jugendlicher nach der Währungsreform Geld, um ausreichend Kirmes feiern zu können! Damals, als noch der Tanzgroschen erhoben wurde, drehte so mancher junge Mann das Geldstück dreimal um, bevor er es ausgab. Ludwig und seine Freunde machten sich fast jeden Sonntagnachmittag auf, um in Nachbardörfer zu fahren, sich als stolze Motorradfahrer bewundern zu lassen oder auch zu erkunden, wo was los war. Am späten Nachmittag kam Ludwig in Weidenbach an, wo in der Nähe des jetzigen Sportplatzes aus Anlass der Dorfkirmes ein Festzelt aufgebaut war. Natürlich waren auch viele Dorfbewohner im und ums Festzelt, so dass

Die Wehrmachts-DKW NZ 250 - so ähnlich muss das beschriebene Motorrad ausgesehen haben.

 

Motorradfahrer und Gefährt ausführlich bestaunt wurden. Ludwig hatte gerade noch zwei Mark in der Tasche. Ein bisschen wenig, um einige Stunden Kirmes feiern zu können. Da hatte Ludwig die Idee! »Wer will eine Runde mit dem Motorrad vom Festzelt bis zum Waldrand und zurück fahren?« Das ließen sich die Weidenbacher nicht zweimal fragen. Schon bald stand eine lange Schlange junger und älterer Männer vor dem Motorrad und wartete darauf, ihre Fahrkünste zu testen. Natürlich ging dies nicht ohne Bezahlung - 50 Pfennig verlangte Ludwig für jede Runde und erhielt einen 50-Pfennig- Schein. Ein stolzer Preis, aber für eine Motorradfahrt war fast jede Summe recht, auch wenn das Vergnügen noch so kurz war. So füllte Ludwig seine Kasse und blieb noch einige Stunden, um die Einnahmen bei Tanz und Musik umzusetzen. Die Motorradfahrt am Kirmestag war in Weidenbach eine Attraktion, über die man noch lange sprach.

Die Udler Kirmes oder der Motorrad-Diebstahl

Ludwig besuchte die Dauner Handelsschule und mit seinem Schulfreund Erich war er nach Udler zur Dorfkirmes eingeladen. Bevor man sich auf den Weg zum Festzelt machte, wurde das Zweirad in der Scheune einer Bekannten, die aus Schutz stammte, untergebracht. Es dauerte nicht lange, bis jemand im Festzelt erzählte, dass junge Udler Burschen mit einem Motorrad einen Feldweg auf- und abfuhren. Ludwig ahnte nichts Gutes und tatsächlich, es war seine Maschine; einer saß darauf, der andere schob, weil sie das Motorrad nicht in Gang bringen konnten. Bei den Fahr- und Startversuchen hatten sie wahrscheinlich die Lichtmaschine beschädigt. Nachdem Ludwig und Erich den »Dieben« eine Tracht Prügel verpasst und das Motorrad wieder in Sicherheit gebracht hatten, wurde über die Wiedergutmachung verhandelt. Als Schadenersatz boten die »Diebe« 20 DM an. Mit Barem ausgestattet, vergnügte man sich bis zum frühen Morgen bei Musik, Tanz und Bier. Bei Dämmerlicht machten sich Ludwig und Erich gegen fünf Uhr mit dem Motorrad ins Tal der Kleinen Kyll auf, um pünktlich um 7 Uhr die Handelsschule in Daun zu erreichen. Am Dorfausgang in Richtung Kreisstadt stand der Gillenfel der Gendarm, veranlasste Ludwig und sein Gefährt zum Anhalten. »Wieso brennt kein Licht«, war die erste Frage, »wo kommt ihr her und wo wollt ihr hin«, die nächste. Ludwig machte deutlich, dass sie es eilig hätten zur Schule zu kommen und das Licht würde deshalb nicht brennen, weil sein Motorrad von Udler Jugendlichen am Vorabend entwendet worden und wahrscheinlich dabei die Lichtanlage beschädigt sei. Zunächst hielt der Hüter des Gesetzes dies wohl für eine Ausrede, dann aber wollte er weitere Einzelheiten des Diebstahls und auch den Namen der »Diebe« wissen. So mussten Ludwig und Freund Erich unter anderem auch den Namen Theo R., Sohn des Udler Dorflehrers, und Josef B. nennen. Die Erklärung schien dem Gendarmen schlüssig und ausreichend, so dass sie die Fahrt - auch ohne Licht - zunächst schiebend und außer Sichtweite des Polizeibeamten fahrend fortsetzten. Die frühmorgendliche Begegnung sollte aber noch Folgen haben. Wenig später erhielt Ludwig als Zeuge eine Ladung vor das Amtsgericht Daun, wo der »Diebstahl eines Motorrades und Fahren ohne Führerschein« unter Vorsitz von Amtsgerichtsrat Haupe-tal verhandelt werden sollte. Der Gendarm hatte in Udler weiter ermittelt und Anzeige erstattet. Die Tat, die Ludwig eigentlich schon mit einer Tracht Prügel als geahndet betrachtet hatte, führte zur Verurteilung von Theo und Josef mit einer Geldstrafe von je 50 DM, zahlbar in monatlichen Raten von fünf Mark. Theo, der später oft nach Schutz kam, weil er das Nachbarsmädchen von Ludwig freite, konnte ihm nie verzeihen, dass er seinen Namen preisgegeben hatte. Übrigens: Trotz der jugendlichen Sünden - Theo wurde später Fahrlehrer.

Der verhinderte Weinkauf

In Ludwigs Heimatort war eine Hochzeit geplant. Natürlich brauchte man auch Wein. Also kam der Bräutigam zu Ludwig und bat ihn, am Nachmittag mit ihm nach Lieser zu einem Kriegskameraden und Winzer zu fahren; die Fahrt war mit Pannen geradezu gepflastert. Bei Manderscheid gab es den ersten »Plattfuß« und auch der zweite beim Bahnhof Pantenburg ließ nicht lange auf sich warten. Zudem regnete es und die Reparatur im Freien wäre unmöglich gewesen. Zum Glück konnte sie unter einer Überdachung ausgeführt werden. Aller »guten« Dinge sind drei - in Höhe des früheren Munitionslagers bei Hasborn gab es einen Knall und der Reifen platzte erneut. Also zurück nach Hasborn, wo in einem Schuppen der Schule die Reparatur vorgenommen wurde. Inzwischen nahte der Abend und es dämmerte schon. Aber man hatte ja Licht am Motorrad. Jedesmal wenn Ludwig das Licht einschalten wollte, spielte die elektrische Anlage »verrückt« und der Motor ging aus. Ohne Licht konnte man nicht fahren. Schließlich hatte Ludwig auch diesen Fehler gefunden und abgestellt, so dass die Fahrt an die Mosel fortgesetzt werden konnte. In Noviand ging das Licht endgültig aus. So kehrten die beiden gegen 23 Uhr - drei km vor dem Ziel - wieder unverrichteter Dinge an die Kleine Kyll zurück. Inzwischen strahlte der Vollmond so hell, dass sie den Weg auch ohne Beleuchtung schafften. Irgendwie wurde doch noch der Hochzeitswein beschafft und das Fest soll feuchtfröhlich gewesen sein.

Handelsschulausflug

1950 machten die Schüler der Handelsschule einen Ausflug mit den Fahrrädern. Lehrer Heinrichs, der sich die Strapaze einer Fahrradtour ersparen wollte, erkor Ludwig mit seinem Motorrad als Transporteur. Zunächst ging es von Daun an den Maaren vorbei zur Altburg. In Niedermanderscheid wurde die Burg besichtigt, über Meerfeld fuhren die Handelsschüler nach Deudesfeld. Ludwig musste mit dem Studienrat vorfahren und auf die Radler warten, die sich unterwegs mit allerlei Spaßen vergnügten und hier und da auch ein Bier tranken. Gerne hätte sich Ludwig auch beteiligt, aber er hatte ja die Aufgabe, den Lehrer zu chauffieren und war damit unter ständiger Aufsicht. Damit so was nicht nochmal vorkam, lenkte Ludwig seine DKW von Deudesfeld nach Schutz nicht

 

über die serpentinenähnliche Straße, sondern kürzte gerade aus über die Trampelpfade ab, so dass es Lehrer Heinrichs auf dem Sozius angst und bange wurde. Die Aufforderung seines Soziusfahrers, er solle die Straße benutzen, konterte Ludwig mit dem Hinweis, die Kiesstraße sei so schlecht, dass sie bei Benutzung einen »Plattfuß« befürchten müssten. Kreidebleich überstand Lehrer Heinrichs nach dem »Geländeritt« die letzte Einkehr in Schutz, bevor es zurück nach Daun ging. Nie mehr kam das Ansinnen des Lehrers, Ludwig sollte ihn auf seinem Motorrad befördern.

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