Nachtkerzen-Abend

Christa Feltgen, Steffeln

Es gibt so vieles, was sich draußen im Garten ereignet. Man muss allerdings zur rechten Zeit zur Stelle sein, sonst erfährt man nie, was sich dort zugetragen hat. An einem Sonntagabend saßen wir, mein Mann und ich auf unserer Terrasse. Die Sonne wollte gerade untergehen, nach einem Tag, an dem sie ununterbrochen am Himmel zu sehen gewesen war. An den Knospen der Nachtkerzen konnte man sehen, dass sich an diesem Abend viele Blüten öffnen würden. Sie hatten einen winzigen Riss bekommen, aus dem das Gelb der Blumen hindurchschimmerte.

Die Schwalben schössen über den noch hellen Himmel und plötzlich saß im letzten Sonnenlicht neben der Vogeltränke ein Rotkehlchen. Saß da und schaute, ob auch keine Gefahr drohte. Stieg dann vorsichtig in die flache Schale, nahm mit dem Schnabel ein wenig Wasser auf und flog wieder zur Seite und schaute. Dann knickste es ein paar Mal höchst anmutig und stieg dann wieder in die Schale, breitete seine Flügel aber nur so weit aus, dass ihre Spitzen ins Wasser tauchten. Wieder hüpfte es misstrauisch zur Seite. Als weiter nichts geschah, knickste es wieder und dann ging es zurück ins Wasser.

Und dann wurde gebadet! Mit weit ausgebreiteten Flügeln plantschte der kleine Vogel so selig in dem Wasser herum, dass sich über der flachen Tränke eine in der Sonne leuchtende Kuppel aus winzigen Wassertröpfchen bildete. Man konnte richtig mitfühlen, wie gut dem Vogel das Bad nach diesem heißen Tag tat.

Am nächsten Tag würden wir wieder genügend Wasser in die Schale gießen. Mittlerweile war die Sonne hinter den Nachbarhäusern verschwunden und es war kühler geworden. Es ging kein Lüftchen, aber um den großen Nachtkerzen-Kandelaber, der in diesem Jahr bei uns mehr als zwanzig Zweige getrieben hatte, war es wie eine Unruhe. Man sah nichts, aber der Strauch schien zu atmen. Kurz nach neun Uhr riss die erste Blütenhülle auf. Das ging so schnell, dass man kaum sehen konnte, wie es zu der Bewegung gekommen war. Eine kleine Weile passierte nichts, dann bogen sich die braungrünen Hüllenblätter der Blüten nach außen, bis sie fast den Stengel der Pflanze berührten. Jetzt stand die Blume hell unter dem dämmrigen Himmel, aber die einzelnen Blätter waren noch eins ins andere zusammengerollt.

In der Zwischenzeit begannen sich auch viele andere Blüten zu regen.

Die Erste hatte mittlerweile ihre vier Blütenblätter entfaltet, aber noch immer war das Aufblühen nicht beendet. Nachdem sie eine kleine Weile ihre Blättchen in die kühle Luft gehalten hatte, bog sie sie schließlich so weit sie konnte nach hinten, wie eine Primaballerina, die ihre Arme ausbreitet.

So wartete sie mit ihren Schwestern auf den nächtlichen Besuch, der sich an ihrem Nektar und Blutenstaub gütlich tun würde. Späte Hummeln und die dicken Nachtschmetterlinge würden kommen und sie besuchen. So viele Blüten hatte unsere Nachtkerzenpflanze an diesem Abend bekommen. Am nachten Tag hatten sie es schwer, dem mächtigen Sonnenlicht zu trotzen. Am späten Nachmittag war von dem ganzen gelben Strahlen nur noch ein matter, rotüberglänzter Schatten der schönen Blumen da. Sie hatten für die Pflanze ihre Schuldigkeit getan. Am Abend würde es neue Blüten geben.