Die Ganztagsschule - ein neuer Schultyp?

Alfons Töbs, Wittstock

Seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der Pisa-Studie nimmt die Wertung und Lösung der aufgeworfenen Probleme im bundesweiten Schulwesen eine dominierende Rolle ein. Die Studie weist aber nur die großen Mängel im Wissen und Können der 15-Jährigen aus, weil sie durch diesen internationalen Leistungsvergleich nur Aussagen für diese Altersstufe treffen konnte. Dabei darf das Leistungsvermögen in den schulischen Fächern bei den Schülern aller anderen Altersstufen nicht unbeachtet bleiben. Ausgenommen von einer auffälligen Lernunlust dürften dabei die unteren vier Schuljahrgänge sein. Hier hat sich in der Regel die altersgemäße Wissbegierde im schulischen Lerneifer noch erhalten. Andererseits bieten die Lernanforderungen allen Eltern und Großeltern absolut lösbare Aufgaben zur Unterstützung der Schulanfänger und der Schüler der unteren Jahrgänge. Es ist kein unwesentlicher Faktor, der zum Mangel bei den weiterführenden Jahrgängen wird. Dabei macht sich zunehmend die Erkenntnis breit, dass die stofflichen Anforderungen in manchem Fachbereich wenig Anreiz darstellen für ein intensives Lernen und Aneignen des geforderten Wissens.

Viele Lehrplananforderungen in der stofflichen Fülle werfen längst große Bedenken über den orientierenden Charakter vieler Stundenthemen nicht nur bei Schülern, sondern auch bei Lehrern auf. Damit möchte ich einen entscheidenden Aspekt der Lernarbeit ansprechen, und eine erforderliche Reform des gegenwärtigen Schulsystems dürfte hierin einen sehr wichtigen Ansatzpunkt finden. Die Orientierung muss lauten: Weg von unnötigem Ballast und hin zu fundamentiertem erforderlichen Grundlagenwissen.

Mit großem Interesse verfolge ich die Einrichtung von Ganztagsschulen. Es ist erfreulich, dass der Gedanke der zu entwickelnden Tagesschulen Bestandteil der pädagogischen Gespräche wird. Es ist bestimmt an der Zeit, dass wir uns neue Wege erschließen, die uns das Ziel, das den Repräsentanten der bürgerlichen Einrichtungen vorschwebte, mit hoher Effektivität erfüllen lassen. Die Berichte regionaler Zeitungen machen die ersten Schritte zu einer Ganztagsschule deutlich. Doch auch diese Schulform verlangt, dass die Mehrzahl der Veranstaltungen die Gemeinschaft im Kleinen (Klassenverband) oder gar im Großen (Schulverband) erfasst. Wir müssen uns unbedingt davor hüten, Möglichkeiten, die der individuellen Beschäftigung dienen, in einen Gemeinschaftsrahmen zu pressen. Dazu möchte ich folgende Bemerkungen vorausschicken:

a) Die erfolgreiche Bildungs- und Erziehungsarbeit an der Ganztagsschule bedingt eine wissenschaftlich begründete Tages- und Wochenplanung.

b) Die vielen Geschehnisse und Erlebnisse in solcher Schule reichen weit mehr in das persönliche Leben der Schüler hinein. Deshalb muss die ganze Aufmerksamkeit der körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung des Kindes gewidmet werden. Die Kinder der Ganztagsschule entbehren für längere Zeit des Tages das Elternhaus. Deshalb muss die Schule gemeinsam mit den Erziehungspflichtigen und den zu gewinnenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens alle Möglichkeiten ausschöpfen, um eine behagliche Atmosphäre des Familienlebens und der Familienerziehung zu gewährleisten.

c) Die Schule muss zur wahren Heimstätte der Kinder werden, denn im Urteil der Schüler über „ihre« Schule liegt die ganze Zustimmung oder Ablehnung für diese neue Schulreform.

d) Die Schüler dieser Schule müssen mit den besten Charaktereigenschaften der freien Schülerpersönlichkeit und mit hohem anwendungsbereiten Wissen und gediegenen technischen Kenntnissen ausgerüstet sein.

e) Im Tagesablauf muss ein bestimmter Zeitplan gelten, um durch die Übung und Gewohnheit zur Ruhe und Stetigkeit im Schulhause beizutragen.

f) Der Tagesablauf muss die hygienischen Seiten beachten, zum Beispiel:

- der Aufenthalt im Freien,

- die Essens- und Entspannungspausen,

- je nach Altersstufe auch die Ruhe- oder Schlafzeiten.

Zum Faktor Unterricht

Der Unterricht liegt für alle Klassenstufen am Vormittag. Bedingt durch die unterschiedliche Stundentafel der einzelnen Jahrgänge endet die Unterrichtszeit für die Klassen der Unterstufe bereits zur Mittagszeit, während sich für die oberen Jahrgänge noch an einem oder mehreren Tagen der Woche eine Unterrichtsstunde nach der Mittagspause anschließt. Es ist aber nicht vertretbar, dass solche Stunde dann eine Zeichen-, Musik- oder Werkstunde sein muss. Das würde sich sehr wahrscheinlich schwer fachlehrermäßig ermöglichen lassen, und andererseits gebührt den musischen Fächern auch und ganz besonders in der Ganztagsschule eine große Wertschätzung. Wenn wir die in den Elementaranforderungen herausgestellten Faktoren wie den Wechsel von Arbeit und Entspannung, geistiger und körperlicher Beanspruchung beachten, dann sollten solche Stunden besser zum Ausgleich während der Vormittagsstunden genutzt werden, um nicht den Grad der physischen Ermattung auf das Äußerste zu steigern.

Erledigung der Schulaufgaben

Die Bezeichnung nach Hausaufgaben im herkömmlichen Sinne trifft ja nun nicht mehr zu. Die erteilten Aufgaben werden ja nunmehr im Anschluss an den Schulunterricht gelöst.

Das kann auf Klassen-, Gruppen- oder Zirkelbasis geschehen, wobei auch Schüler der oberen Jahrgänge eine familiäre Atmosphäre beleben können. Die aber besonders für die oberen Jahrgänge durchzuführenden Konsultationen mit Fachlehrern wirken sich sehr fördernd auf die Lernergebnisse aus. Eine didaktisch begründete Aufgabenstellung ist die qualitative Voraussetzung für ihre Effektivität.

Die Art und der Umfang der Schulaufgaben muss gut überlegt sein. Bereits in der Unterrichtsvorbereitung muss sich der Lehrer gut überlegen, ob seine Aufgabenstellung erforderlich ist und welchen Zweck sie erfüllen soll. Als wichtigste Seite scheint mir, muss die Aufgabe vom Kind unbedingt lösbar sein, denn oberste Forderung bei der Erledigung der Schulaufgaben ist die Selbständigkeit in der Arbeit.

Die außerunterrichtliche Tätigkeit

Einen weiten Raum nimmt die außerunterrichtliche Tätigkeit an den Nachmittagen der Ganztagsschule ein. Ein besonderes Betätigungsfeld sind darin die Arbeitsgemeinschaften, die neben sportlichen Disziplinen, geistig-kulturellen und mathematisch-technisch-naturwissenschaftlichen Interessengemeinschaften alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfassen. Sehr beliebt sind bei den unteren Jahrgängen die Beschäftigungen in der AG „Geschickte Hände«. Hierzu können aus umfassenden Wirtschaftsund organisatorischen sowie caritativen Bereichen gute Helfer und Leiter gefunden werden.

Von Bedeutung ist auch, dass der Eifer bei den Mädchen und Jungen geweckt und erhalten wird, damit die Effektivität durch eine bleibende Dauer gesichert ist. Auch hierin gilt es, Ausdauer, Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit als erstrebenswerte Charaktereigenschaften anzuerziehen.