Grenzgänger in der Eifeler Eisenzeit

Erwin Holzer, Feusdorf

Saar-Lor-Lux/ Rheinland-Pfalz/ Wallonien: fünf Regionen im Herzen Europas bilden eine Großregion, in der vieles wieder zusammenwachsen soll, was in Zeiten übersteigerten Nationalismus auseinandergerissen wurde. Die Grenzen, die viele Jahrzehnte lang die Menschen trennten und einander fremd werden ließen, sind wieder durchlässig geworden. Grenzgänger wechseln auf der Suche nach Arbeit, aber auch nach attraktiven kulturellen und touristischen Zielen frei von einer Region zur ändern. Und ganz im Herzen der neuen Großregion liegt unsere Heimat, die Eifel. Sie, die lange Zeit als karge und entlegene Grenzregion galt, wird so wieder zu der europäischen Kernlandschaft, die sie schon einmal über viele Jahrhunderte gewesen ist. Sie war in dieser Zeit, sozusagen der „Eifeler Eisenzeit", u.a. als bedeutendes Zentrum der europäischen Eisenindustrie Ausgangs- und Zielpunkt für einen regen Fluss von Waren,

 

Kaminplatte mit dem Wappen des Herzogtums Arenberg aus dem Jahr 1657 Foto: Eisenmuseum Jünkerath

Wissen und Menschen, bis im Zeitalter der Nationalstaaten die Grenzen zu unüberwindlichen Hindernissen wurden, die jahrhundertealte Verbindungen willkürlich abschnitten. Die engen politischen und kirchlichen Verflechtungen innerhalb eines Raumes, der in vielem der heutigen Großregion entspricht, führten schon seit dem Mittelalter zu einem intensiven wirtschaftlichen und kulturellen Austausch. So profitierte die Nordeifeler Region, in der sich früh die Eisenindustrie entwickelte, vom überlegenen technischen Stand der wallonischen Nachbarn. Zahlreiche Hüttenmeister und Hüttenarbeiter aus der Wallonie brachten schon im 12. Jahrhundert ihr Wissen und ihre Kunstfertigkeit mit in die Eifel. Die neue Technik der „Wallonschmiede", die sie einführten, verbesserte die Arbeit in den jungen Eifeler Hütten nachhaltig. Die Regionen befruchteten sich aber auch gegenseitig und Ende des 14. Jahrhunderts gelang gerade durch diesen intensiven Austausch und die gegenseitige Unterstützung im Gebiet Lothringen-Ardennen-Eifel ein weiterer wichtiger Technologiesprung, der es den mittelalterlichen Europäern erstmals ermöglichte, Eisen kontrolliert zu gießen. Damit war die Grundlage für eine über Jahrhunderte blühende Eisenindustrie geschaffen, von der bis ins 19. Jahrhundert Land und Leute wesentlich geprägt wurden. Ein wesentliches Element für diesen Erfolg waren die Grenzgänger dieser Zeit, die Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen und auf unterschiedlichen Ebenen von einer Region in die andere wechselten.

Schon die Adelsgeschlechter und kirchlichen Territorialherren, die die Eifel bis zur Zeit Napoleons prägten und die Entwicklung der Eifeler Eisenindustrie einleiteten und steuerten, waren durchaus überregional und sogar international ausgerichtet. So standen große Teile der Eifel bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluss der spanischen Habsburger, die mit Luxemburg und den spanischen Niederlanden, dem heutigen Belgien, auch noch andere Teile unserer Großregion zu ihrem Weltreich zählten. Die Aremberger, die von ihrem Nordeifeler Stammsitz aus die Eifeler Eisenindustrie über Jahrhunderte hinweg förderten, dienten, obwohl selbst zum unabhängigen Fürstenstand gehörend, dem mächtigen Habsburger Kaiserhaus in zahlreichen Funktionen und in vielen Ländern. Ganz ähnlich wie die Manager eines internationalen Konzerns folgten sie ihrem bevorzugten Arbeitgeber über all hin, wo sie gebraucht wurden. Man findet sie mal in Wien, mal in Burgund und dann wieder in den spanischen Niederlanden, dem heutigen Belgien, wo sie mit einem der führenden wallonischen Adelsgeschlechter, dem Haus Ligne, verbunden waren. Noch heute trägt in Brüssel ein Palast ihren Namen, das Palais dAremberg, jetzt der Sitz des belgischen Außenministeriums. Auch das andere bedeutende Eifeler Adelsgeschlecht, das eng mit der Eisenindustrie verwoben ist, das Haus Manderscheid-Blankenheim, war über seine Heimat hinaus zahlreichen Herren verbunden. So standen die Manderscheider in Lehensverbindungen zu Kurköln, Kurtrier, Jülich und Luxemburg. Mit ihrer letzten Erbtochter fiel die Herrschaft über ihre Eifeler Territorien schließlich an ein böhmisches Grafengeschlecht.

Im Schleiden-Gemündener Raum bestanden enge Beziehungen zu den nassauischen Fürstengeschlechtern und damit in die unabhängigen reformierten Niederlande. Der Trierer Erzbischof, dessen Einfluss den südlichen Eifelraum mit so bedeutenden Eisenhütten wie Quint prägte, besaß die kirchliche Oberhoheit bis weit ins heute französische Elsass-Lothringen hinein, die Bischöfe in Metz, Toul und Verdun unterstanden ihm. Die Luxemburger Abtei Echternach besaß eine Reihe von Hütten im südlichen Eifelraum, so etwa in Weilerbach. Im nördlichen Eifelraum gab es enge kirchliche Verbindungen nach Lüttich und Namur; die bedeutenden Abteien dieses Bereichs, darunter das als „Bergmannskloster" bezeichnete Steinfeld, standen in regem Kontakt und betätigten sich als Netzwerke des Technologieaustauschs ebenso wie als Zentren der geistigen Auseinandersetzung und Begegnung.

Aber nicht nur auf der obersten politischen Ebene gab es enge, oft auch familiäre und verwandtschaftliche Verbindungen und einen regen Verkehr an Grenzgängern. Die adeligen und kirchlichen Landesherrn holten zur Entwicklung ihrer gewinnträchtigen Eisenhütten gerne Führungs- und Fachkräfte aus anderen Teilen der Großregion in die Eifel. Diese „fremdländischen" Einflüsse kann man an den Namen einflussreicher Eifeler Hüttenmeister ablesen: so bei dem Wallonen Jean de L'Eau, der Ende des 17. Jahrhunderts Pächter der Eisenhütten Ahrhütte und Jünkerath war und den Lothringern Pidoll und de Thierre, die 1683 die Eisenhütte Quint gründeten. Auch die bedeutenden Hüttenmeisterfamilien Peuchen und Poensgen hatten ihre Ursprünge jenseits der Grenze bei Spa und in den spanischen Niederlanden. Aber nicht nur die Führungskräfte stammten aus der Fremde, meist brachten diese auch fachkundige Eisenarbeiter aus der Heimat mit. So finden sich in Jünkerath im Jahre 1688 unter dem Hütten- (Reit-) Meister Jean de L'Eau als Ersten Vorarbeiter Henri de Gouverneur, als Zweiten Vorarbeiter Simon le Gouverneur und Bertrand Personne de Juslenville und als Facharbeiter Henri le Boudron de Sart und Jean Leonard. Wie stark auch in den Hütten der Aremb erger der Einfluss der Facharbeiter aus der Wallonie war, zeigt sich darin, dass an manchen ihrer Betriebe die Arbeitssprache Französisch war; in ihr wurden auch die Rechnungen abgefasst; auf den Arbeiterlisten einzelner Hütten findet sich über viele Jahre kaum ein einheimischer Name. So verwundert es nicht, wenn sich im Umfeld zahlreicher Eifeler Hütten in Orts- und Flurnamen Hinweise auf Einwanderer insbesondere aus der Wallonie erkennen lassen. Diese Zuwanderung „ausländischer" Fachleute und Gastarbeiter war aber kein einseitiger, statischer Prozess. Vielmehr gab es ständig Ab- und Zuwanderungen großen Ausmaßes zwischen den einzelnen Regionen. Freischmiede und Formenschneider zogen auf Rundreisen von Hütte zu Hütte, um ihre besonderen Fertigkeiten anzubieten und zu praktizieren. Auch der besondere, von den damaligen Energiequellen Wasser und Holz bestimmte Produktionsrhythmus der alten Eisenindustrie führte zu einem wechselnden Arbeitskräftebedarf: die Hütten wurden nicht durchgehend betrieben, im Winter lagen die Werke still, wenn die Bäche vereisten, im Sommer, wenn die Flüsse wegen Trockenheit nicht genug Wasser für das Betreiben der Wasserräder und Blasebälge führten; ähnliches bewirkten die immer wieder vorkommenden Verknappungen der als Brennstoff unentbehrlichen Holzkohle. Zu weiteren Wanderungsbewegungen kam es durch die Religionswirren und -kriege, die auf die Reformation folgten. Während die Aremberger wie ihre Habsburger Oberherren stets katholisch blieben, sympathisierten die Manderscheider lange Zeit mit den Reformierten und öffneten ihre Territorien für die Prediger und Gläubigen der neuen Konfession; da viele Hüttenmeister sich der neuen Glaubensrichtung zuwandten, bewirkte dies eine Blüte der Eisenindustrie in den Manderscheider Herrschaftsbereichen, besonders im Schleidener Raum. Als in diesen Gebieten mit der Gegenreformation wieder ein rigider Katholizismus die Herrschaft übernahm, verließen viele Fachleute des Bergbaus und der Eisenverarbeitung ihre Heimat und wanderten in tolerantere Territorien. So profitierte z.B. in dieser Zeit das nahe Gemünd vom Exodus vieler Schleidener Hüttenleute. Andere Schleidener Hüttenmeister fanden ihren Weg auch in entferntere Gebiete, wie das Saarland, den Hunsrück und den Westerwald. Während in Schleiden das Eisengewerbe so durch den Wegzug wertvoller Wissensträger in die Krise geriet, blühte es in den anderen Regionen auf. Mit den Menschen wanderten aber nicht nur ihre technischen Fertigkeiten und ihr Wissen, sondern auch kulturelles und geistiges Wissen. An den vielfältigen Motiven, die man auf den eisernen Gussplatten und Öfen, den bevorzugten Produkten der Eifeler Eisenhütten, findet, und ihrer Entwicklung erkennt man den regen geistigen Austausch zwischen nahen und ferneren Regionen, der hier stattfand. Die hölzernen Modeln, die zur Herstellung dieser Motive dienten, wanderten mit ihren Besitzern, den Hüttenmeistern und -arbeitern weit umher, sodass man ähnliche oder sogar identische Motive auf den Erzeugnissen weit auseinander liegender Hütten findet. Die ältesten Motive, mit denen die ersten Eifeler Gussplatten geschmückt sind, lassen sich auf Vorbilder aus der niederländischen Gotik zurückführen. Motive, die zunächst im Elsass und Lothringen entwickelt wurden, wie die biblischen Motive des Ölwunders von Sarepta und der Hochzeit von Kanaan, finden sich schon wenig später auf Platten zahlreicher anderer Regionen. Eine besondere Spezialität der Eifeler und anderer deutscher Hütten, aufwendige Öfen mit bildern und Texten aus der in dieser Zeit ins Deutsche übertragenen Bibel, wurde in ganz Europa nachgefragt. Verbreitet wurden die Produkte aus Eifeler Eisen zum einen durch umherreisende Händler, die sie bei den Hütten aufkauften und weitertransportierten. Eine wichtige Rolle spielten auch die regen Messe- und Handelsplätze, die unsere Grossregion seit dem Mittelalter umgaben: Köln, Trier, Mainz, Frankfurt, Brüssel. Gerne traten auch die Lütticher Waffenfabriken als Abnehmer des Eifeler Eisens auf, da dieses aufgrund seiner Qualität für die Herstellung von Gewehrläufen besonders geeignet war. So findet man die Erzeugnisse der Eifeler Eisenindustrie in den Niederlanden und England ebenso wie in Süddeutschland und Ostfrankreich.

Diese damals selbstverständliche Internationalität endete abrupt im 19. Jahrhundert, als die Eifel Teil des preußischen Militärstaates wurde und für diesen nur noch als abgeschottetes Aufmarschgebiet gegenüber dem französischen Erbfeind zählte. Heute wird die alte Offenheit wiederbelebt und so bedeutet die Entwicklung der neuen Großregion zugleich auch die Wiederentdeckung und Wiederbelebung (guter) alter Traditionen. Die modernen Grenzgänger bewegen sich so auf den Spuren ihrer Vorfahren.