Eine Gemeinde löst sich auf

Zur Geschichte des untergegangenen Dorfes Allscheid

Alois Mayer, Daun - Pützborn

1852 - das kleine Dorf Allscheid verschwindet gänzlich vom Erdboden. Dieser Ort lag dereinst im Kreis Daun zwischen Darscheid und Steiningen und bildete politisch eine Einheit mit Steiningen. Verschiedene Veröffentlichungen in unterschiedlichen Medien sind darüber bereits erfolgt. Alle bergen aber in sich Aussagen, dass Allscheid aufgrund des schlechten Charakters seiner Bewohner, sich seinen Untergang selbst zuzuschreiben habe und keiner brauche dies zu bedauern. Diese Behauptungen sind, gleich wie häufig sie gebraucht werden, falsch. Dieser Aufsatz soll der Rehabilitierung dienen.

Das Spielerdorf

Umringt von Wald und Heide noch liegt ein Trümmerfeld mit Dorngestrüpp verwachsen des Dorfes Statt' nebst Feld.

Die Bauern nicht mehr bauten des Dorfes fette Flur. Die Arbeit war vergessen. Man spielt und würfelt nur.

Der Hunger ward Gefährte, blieb stets und treu zur Seit'. Er rief noch andre Helfer, wie Kummer, Sorg und Leid.

Die Armut war zur Stelle und machte mächtig breit sich mit der alten Freundin, der Unzufriedenheit.

Das Spiel verdarb die Sitten und hat von Mein und Dein verwischt die alten Grenzen, nur Laster folgten drein.

Es konnte niemand leben in diesem Spielerort, umloht von Streit und Hader von Raub und Brudermord.

Die Dorfbewohner zogen fort in die weite Welt. Das Dorf ist längst verfallen, verwildert heut' das Feld.

Jedoch die Sagen melden vom Spielerdorf nur Trug; verschwunden und verschollen - das ist des Spielers Fluch!

Person abhängig sind, die sie vom Hörensagen kennt, weitererzählt und mit seinen Gedanken und Gefühlen anreichert.

Allscheid betrügt??

Allscheid, im 14. Jahrhundert im Besitz der Grafen von Daun-Manderscheid, war nie groß oder bedeutend. Es befand sich stets im politischen Schatten Steiningens, das an Besitz viermal größer als Allscheid war. Die wenigen Häuser und Bewohner mit dem geringen Besitz an Agrar- und Waldflächen boten dazu kaum Chancen, wie die Entwicklung einiger Bevölkerungszahlen beweist:

Jahr

Einwohner

Feuerst.(FS) Wohnhäuser (WH)

1557

ca. 15

3WH

1687

ca. 20

4 FS

1563

ca. 20

4WH

1733

48

6WH

1583

ca. 15

3 FS

1774

. 48

10 WH

1654

ca. 10

2WH

1843

73

10 WH

Dies schrieb Theodor Lonien in den Jahren 1922- 1924. Seine Familie war nach Brasilien ausgewandert. In seinem Gedicht wird deutlich, wie sich innerhalb von wenigen Generationen Sagen bilden, die in ihrem Kern von Wahrem ausgehen, in ihrer Ausschmückung jedoch von der Allscheid war kein Dorf gewesen, das aufgrund seiner Spieler- und Trinkerleidenschaft, seiner Faulheit und seines liederlichen Lebenswandels hin ausgestorben ist. Es hat auch absolut nichts mit »Raub, Mord oder eines Spielers Fluch« zu tun, sondern nur damit, dass die bäuerliche Bevölkerung in der vulkanischen Hocheifel sehr schlechte Zeiten erlebte, geprägt von Hunger und Not; Zeiten, die jener kleinen Alfbachgemeinde keine Überlebenschancen mehr zu bieten schienen: harte Steuern, miserable Ernten, Viehkrankheiten. Bettelarm waren die Gemeinde und die meisten ihrer Einwohner in der Tat. Aber Bettler und Betrüger waren sie nicht, sondern Bauern, Tagelöhner und Hilfsarbeiter, ähnlich wie Menschen in all den anderen Eifel-Gemeinden ebenfalls. Hilfsaktionen und Bereitwilligkeiten konnten die Not jenes kleinen Dorfes mit seinem geringen Land- und Waldbesitz und dem minimalen Steueraufkommen nicht lindern. Jahrelang ist im Beschlussbuch vermerkt: »Die Eingesessenen von Allscheid sind ganz verschuldet und durchweg bettelarm.« Häufiger wurden ihnen deswegen Steuern erlassen, so 1846 auf Brandholz und Vieh; 1847 spendete der Gemeinderat Steiningen den verarmten Allscheidern 100 Scheffel Roggen, und ein Jahr später wurde ihnen sogar der Beitrag von 30 Talern zum Pfarrhausneubau Darscheid erlassen, »da die Aufbringung durch Umlage in der Unmöglichkeit liege, weil die Eingesessenen von Allscheid ganz verschuldet und durchweg bettelarm seien...« Dabei war Steiningen, das in manchen Allscheid-Schilderungen als ein habgieriges und hartherziges Dorf dargestellt wird, selbst so verarmt, dass es am Rande seiner Existenz stand.

1847/48 - es waren Jahre schlimmer Missernten -konnte es zum Beispiel nicht mehr die erforderlichen Steuern aufbringen, und die eigenen Bürger bettelten den Gemeinderat an, ihnen aus den Waldungen Dielenholz zu überlassen. Es blieb Steiningen nichts anderes übrig, als 150 Taler von der Kommunaldarlehenskasse zu 5 Prozent zu leihen, um so die Steuerschuld zu begleichen. Einen Trost nur hatte Steiningen: langfristig konnte es auf Grund seiner relativ großen Agrar- und Waldflächen der Schulden Herr werden.

Den Bewohnern Allscheids war dieser Trost nicht beschieden; sie erblickten nirgends einen Schimmer der Hoffnung oder einen Ausweg aus der finanziellen Trostlosigkeit. Auch wenn in Beschlussbüchern steht, dass »Holzdiebstähle im Allscheider Wald« sich häuften, ist damit nicht gesagt, dass die »Diebe« Allscheider gewesen sein müssen. »Holzfrevel« gab es zu allen Zeiten - für Steiningen/Allscheid bereits 1506 belegbar; damals waren es Bürger aus Ulmen-Meiserich. »Holzfrevel« gab es in allen Gemeinden, nicht nur im Kreis Daun, sondern im gesamten Trierer Bezirk. Der Dauner Landrat erstattete darüber bereits am 29.9.1843 nach Trier Bericht:

»Die Gemeinde-Abgaben befinden sich auf einer nie gekannten Höhe. Die Gemeindewaldungen sind infolge der früher bestandenen und zum Teil noch nicht beseitigten Schuldverhältnisse, durch den bedeutenden Kostenaufwand für Schul-, Pfarrhaus- und Kirchenbauten, derart heruntergekommen, dass sie den gewöhnlichen Brennholzbedarf auch zur Notdurft nicht mehr zu decken vermögen, und dass der Schwachbemittelte bei den stets steigenden Holzpreisen sich zum Freveln gezwungen sieht.«

Und wenn eine Generation später in der Schulchronik geschrieben wird, »bis auf einige gutsituierte Landwirte kann man die Einwohner Allscheids als Faulenzer, Bettler, Tagediebe und Kesselflicker bezeichnen, die im weiten Umkreis kein besonderes Ansehen genossen«, dann ist einer solchen Aussage keinerlei Objektivität mehr beizumessen. Es bleibt nur bedauerlich, dass sich solche Lehrermeinungen nachhaltig und nachteilig festsetzten.

Allscheid - unverschuldet arm

Diese, seit vielen Generationen bestehende Armut und Hoffnungslosigkeit, war nicht immer so gewesen. Das beweisen eindeutig Daten von 1624, am Anfang des Dreißigjährigen Krieges.

Von den 4 Haushalten in Allscheid bezogen 3 aus der Landwirtschaft und l aus einem Handwerk ihr Einkommen. Auch das Immobiliarvermögen wies aus, dass die 4 Häuser in Allscheid mehr wert waren als die 7 Häuser im benachbarten Steineberg und nahezu gleich wie die in Steiningen. Obwohl die Ackerfläche in Allscheid geringer war als in Steineberg, war der Wert nahezu gleich. Dennoch war Allscheid an Immobiliarvermögen das ärmste Dorf in der Zentenei Steiningen, obwohl es im Schnitt nahezu gleich war mit Steineberg und wesentlich reicher als Steineberg. Ebenfalls erweist die Schichtung und Verteilung des gesamten Vermögens, dass in Steiningen die meisten Armen, aber auch die Reichsten wohnten. Interessant ist, dass damals in Allscheid kein Armer unter 100 Florin Durchschnitt wohnte, auch wenn alle sich, ähnlich wie in Steineberg, in unteren bis mittleren Vermögensverhältnissen bewegten. 1624 stand Allscheid im Hinblick auf Pfandschaften und Schuld - weder mit einem Pfandinhaber noch mit einem Schuldner - wiederum in recht günstigen finanziellen Verhältnissen, während in Steineberg eine Familie sehr hohe Schulden hatte und in Steiningen nahezu jeder fünfte Haushalt verschuldet war. Was das Nettoeinkommen betrifft, wies Allscheid sogar mit seinem Schnitt pro Haushalt von 125 Florin wesentlich mehr aus als Steiningen (89 fl) und Steineberg (100 fl).

Kurtrier hatte in Allscheid sieben Lehen, die normalerweise zusammen 3 Malter und 111/2 Fass Hafer nach Daun ablieferten. Bis zum Dreißigjährigen Krieg gab es in dieser Hinsicht auch keinerlei Probleme. Aber dieser und die kommenden Kriege mit ihren Folgen leiteten den Untergang ein. Ab jetzt wird in regelmäßigen Abständen amtlicherseits festgestellt, dass viele Familien in Allscheid nicht »in der Winnung« waren, ihrer Pacht und den Zehntleistungen nachzukommen. Häufig berichtete der Dauner Amtskellner von »Pfleglossen lehen, werden v erhoff entlich ins künftig auch in gang kommen.«Doch sie kamen nicht in Gang. Immer häufiger tauchen nun Schuldner in Schuldenlisten auf. Selbst die Zeit einer relativen Ruhe nach der Mitte des 17. Jahrhunderts konnte nicht mehr zu der einstigen Wirtschaftlichkeit beitragen. Eine beginnende Aufwärtsentwicklung wurde dann wieder jäh durch die Französische Revolution gestoppt.

Die Unzufriedenheit in Allscheid in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wuchs in dem Maße, wie Gerüchte maßlos übertrieben, dass man »jenseits des großen Teiches, in Amerika« sein Glück machen könne. Erzählungen von Goldfunden und einem leichten sorgenfreien Leben wanderten von Mund zu Mund. Der Glaube und die Hoffnung an bessere Zeiten wurden schließlich zur festen Überzeugung und Wahrheit. Die Allscheider klammerten sich an diese Märchen wie Ertrinkende an einen Strohhalm, und bald entschlossen sich 19 Familien, gemeinsam nach Amerika auszuwandern, um dort ebenfalls zu Reichtum und Glück zu kommen. Nach und nach wurden Felder und Wiesen, Mobiliar und Vieh verkauft. Und auf einmal hatten die Auswanderungswilligen so viel Geld in ihrer Tasche wie noch nie im Leben. Statt die Felder mit der Herbstsaat zu bestellen, saßen einige den Winter über in den Wirtschaften der Nachbardörfer Darscheid, Steiningen und Mehren und diskutierten über ihre Pläne, im kommenden Frühjahr auszuwandern. Wie Abenteuerlustige träumten und schwammen sie auf einer Woge des Glücksgefühls. Manches Glas Schnaps mag mit zu dieser Hochstimmung als auch zu hitzigen Wortgefechten zwischen begeisterten Allscheidern und anderen beigetragen haben, die nicht begreifen konnten, wie man Hab und Gut, das Erbe der Vorfahren von heute auf morgen im Stich lassen kann, um im Ungewissen fernab von Heimat, Freunden und Verwandten eine neue Existenz aufzubauen.

Allscheid betrogen ?

Seit Bestehen der beiden Dörfer gehörten Allscheid und Steiningen politisch zusammen. Nur kirchlich wurden sie 1803 getrennt, als Allscheid zur Pfarrei Darscheid kam und Steiningen bei Mehren verblieb. Nun beobachtete Steiningen mit wachsender Sorge die Allscheider, die mit dem größten Teil ihres Vermögens bereits verpfändet waren. Was würde sein, wenn ihre Nachbarn die wenigen Habseligkeiten und das bisschen Geld restlos verlebt und ausgegeben hätten? Mit Sicherheit müssten dann die finanziell schwachen Bürger von Steiningen auch noch die meisten Allscheider wie »Sozialhilfeempfänger« ernähren und unterstützen. Aus dieser Erkenntnis heraus befürworteten sie deren Auswanderungspläne. Als nun das Frühjahr 1852 den Schnee aus dem Alfbachtal wegtaute, war jedoch nirgendwo erkennbar, wie und wann die Allscheider wegziehen würden. Daraufhin fasste der Gemeinderat Steiningen-All-scheid am 22. Mai 1852 den einstimmigen Beschluss, alles noch vorhandene Gut, die Äcker, Wiesen, Felder und Wälder sowie alle Gebäude aufzukaufen. Vertragsklauseln zwangen die Allscheider, ihren Auswanderungswillen auch in die Tat umzusetzen. Der folgende Original-Gemeinderatsbeschluss, verhandelt zu Steiningen am 22.5.1852, gibt darüber Auskunft:

Anwesend waren:

die Gemeinderatsmitglieder

1. Johann Adam Michels, Ortsvorsteher

2. Johann Adam Schüler

3. Matthias Lehnerz

4. Johann Josef Thelen

5. Nikolaus Schäfer

6. Peter Demerath von Allscheid

7. Matthias Josef Roden

In der auf heute anberaumten Gemeinderats-Sitzung, worin unter Vorsitz des mitunterzeichneten Ortsvorstehers Johann Adam Michels die hier nebenbezeichneten Gemeinderatsmitglieder gegenwärtig waren> zog der Gemeinderat die bereits mit den Eingesessenen von Allscheid wegen Übernahme des den letzt gehörenden Waldes und Abkauf deren Privateigentums stattgefundenen Verhandlungen in Betracht und beschließt, nach einer der Wichtigkeit des Gegenstandes angemessenen reiflichen Prüfung, nach Einsicht der stattgefundenen Taxation des Waldes seitens des Communal-Oberförsters Herrn Müller von Daun, und nach Einsicht der Taxation des Privateigentums der zu diesem Zwecke ernannten Kommission, bestehend aus drei Mitgliedern, nämlich:

1. Johann Adam Schüler

2. Matthias Lehnerz

3. Johann Adam Michels, sämtlich Mitglieder des Gemeinderats, und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Auskauf der Bewohner von Allscheid seitens der Gemeinde Steiningen durch das Interesse der letzteren auf das dringendste geboten ist, sowohl den fraglichen Wald, als auch das Privateigentum der einzelnen Bewohnerfür die Gemeinde Steiningen zu requirieren.

Der Gemeinderat beauftragt mit dem Abschluss des Geschäftes L den Ortsvorsteher Johann Adam Michels, 2. das Gemeinderatsmitglied Johann Adam Schüler, und setzt für das Geschäft folgende Bedingungenfest:

1. Der Preis für den Wald ist festgesetzt auf die Summe von 3000 Taler, welcher Betrag vorzugsweise und ausschließlich zur Bestreitung der Überfahrtskostenfür die Auswandernden und die Kosten der Übersiedlung nach Steiningen hinsichtlich der drei nicht auswandernden Familien bestimmt ist, und welche Summe der früher getroffenen und von der königlichen Regierung besonders hervorgehobenen Bestimmung gemäß, so viel von dieser Summe auf die Auswandernden fallt, erst nach dem Abzüge von Allscheid auf dem Auswanderungsschiffe selbst an die mit Ausstellung der Quittung beauftragten Bevollmächtigten der Auswanderer von Allscheid oder den Schiffsreeder; der den nach Steiningen übersiedelnden drei Familien zufallende Betrag hingegen nach geschehener Übersiedlung an Letztere selbst entrichtet werden soll.

2. Der Preis für die Privatländereien ist bereits ebenfalls durch die auf Grund der früheren Taxationen mit den einzelnen Privateigentümern von Allscheid, unter Vorbehalt der Genehmigung der provisorisch abgeschlossenen Kaufverträge, festgesetzt, und zwar für das gesamte Grundeigentum der neunzehn verschiedenen Verkäufer für 2200 Taler. Die kaufende Gemeinde Steiningen tritt sofort nach erfolgter Genehmigung der königlichen Regierung in Besitz und Genuss.

Der stipulierte Kaufpreis soll alsdann, soweit die Grundgüter nicht mit Hypotheken und Privilegien beschwert sind, und zwar erst fünfzehn Tage a dato der Transcription der betreffenden Kaufurkunde an die Verkäufer, jedoch die Hypothekenschulden vorab aus dem Kaufpreis, an die respektiven Gläubiger ausbezahlt werden.

Der Gemeinderat beschließt, um fernere Ansiedlungen unmöglich zu machen, dass sofort nach dem Abschluss dieser Privatkaufverträge, und Genehmigung des ganzen Geschäftes seitens der königlichen Regierung, alle den bisherigen Ort Allscheid bildenden Gebäulichkeiten auf Kosten der Gemeinde niedergerissen werden. In Betreff der Außringung des Fonds ist erforderlich: L Kapital für den Wald

3000 Taler

2. desgleichen für Privateigentum 2200 Taler

3. für Niederreißen

der Gebäude 150 Taler

4. für Kosten 200 Taler

zusammen

5550 Taler

Dieses Kapital soll auf folgende Weise aufgebracht werden: Gemäß einer unterm 2.5.1852 bereits zwischen der Gemeinde Steiningen und dem Gutsbesitzer Nikolaus Hölzer von Daun abgeschlossenen Übereinkunft verpflichtet sich der letztere, den vorstehenden Betrag vorzuschießen, dessen Rücktilgung nebst den laufenden Zinsen in nachstehender Weise bewerkstelligt werden soll: Das angekaufte Privateigentum soll von der Gemeinde wieder verkauft werden und zwar unter der Bedingung, dass die Ankäufer sich verpflichten, unter Androhung einer Konventionalstrafe von 300 Talern und Vorbehalt des Rückkauf rechtes, nicht wieder Wohngebäude dort anlegen zu dürfen. Der Erlös soll, wie unter Art. 2a der erwähnten Übereinkunft mit dem o.a. Hölzer näher angegeben ist, durch diesen selbst von den resp. Ansteigern eingezogen und, soweit derselbe reicht, sofort auf das gemachte Darlehen abgeschrieben werden. Desgleichen soll, wie unter l daselbst, der Erlös der Deckung des Vorschusses zu fällenden Eichen entweder unter näher zu treffenden Bedingungen ebenfalls durch den o.a. Hölzer direkt erhoben oder demselben seiner Zeit aus der Gemeindekasse bezahlt werden.

Für den noch verbleibenden Rest ist dem o.a. Hölzer gemäß Art. 2 Pos. c des mehrerwähnten Vertrages das in den Buchenbeständen des Gemeindewaldes zufällende Klaflerholz, soweit von solchem nach dem Ermessen der Verwaltungs- und Forstbehörde gehauen werden kann, zu dem überein gekommenen Preise von 3 Taler pro Klafler bereits käuflich übertragen, um nach jedes mal erfolgter Überweisung alljährlich ebenfalls auf Kapital und Zinsen abgerechnet zu werden. Das aufgenommene Kapital soll in Betracht der sehr vielen mit der Besorgung der ganzen Angelegenheit verbundenen Mühe und Umstände zu fünf und einhalb Prozent verzinst werden, wobei die Gemeinde den o.a. Hölzer für den wichtigen und ungeschmälerten Eingang des Erlöses der zu verkaufenden Privatländereien nach besonders gewährleistet. Sollte wider alles Erwarten das aufgenommene Darlehen auf diese Weise noch nicht ganz vollständig gedeckt werden können, so würde die Gemeinde Steiningen zur Rückzahlung des allenfallsigen Restes vorläufig ein Darlehen beim Depositenfonds nachsuchen und letzteres dann durch Verkauf von Gemeindeländereien nötigenfalls durch Umlagen zu decken bereit sein. Die Genehmigung der Königlichen Regierung zu allen diesen Verhandlungen bleibt vorbehalten. Schließlich beschließt der Gemeinderat, die königliche Regierung um Genehmigung des vorstehenden Beschlusses in allen seinen Teilen ganz ergebenst zu bitten.« (Es folgen die Unterschriften.)

Das Allscheider Gemeinderatsmitglied Peter Demerath hat sich mit Sicherheit nicht erpressen oder unter Druck setzen lassen, sondern mit seiner Unterschrift den gesamten Willen des Ortes zum Ausdruck gebracht. Wären nicht alle Familien mit diesen vertraglichen Maßnahmen einverstanden gewesen, hätte es lediglich eines Einspruches bei der Dauner Kreisverwaltung oder bei der Bezirks- Regierung Trier bedurft, um diesen Vertrag hinfällig werden zu lassen, erst recht, da es allen Politikern sehr daran gelegen war, Auswanderungswillige und Kapital in Deutschland zurückhalten.

Die königlich-preußische Regierung prüfte die Angelegenheit und genehmigte letztlich diesen Vertrag. Er war rechtens und im Einverständnis aller Betroffenen und bei Zustimmung des Allscheider Gemeinderatsvertreters Demerath geschlossen. Von einem Vertrag, »der an Raffiniertheit und Rücksichtslosigkeit wohl seinesgleichen sucht« (Schulchronik), kann also keine Rede sein. Auch die bis heute bestehenden und geäußerten Meinungen, die Steininger hätten die Allscheider erpresst, und die Handvoll Begüterter aus Allscheid hätten auf der Erfüllung des Vertrages bestanden, um so günstig an Land und Vermögen der Verziehenden zu kommen, gehören ins Reich der Phantasie.

Allscheids Exodus

Damit war das Schicksal des Dorfes besiegelt. 15 Familien wanderten im Juli 1852 nach Amerika aus, insgesamt 53 Personen (13 Jungen und 17 Mädchen unter 18 Jahren - darunter 4 Säuglinge von 3 Wochen bis zu 6 Monaten -, 10 männliche und 13 weibliche Personen über 18 Jahre). An Vermögen nahmen sie 1750 Taler mit, das waren durchschnittlich 26 Taler pro Kopf. Damit lag das mitgenommene Vermögen weit unter dem Durchschnitt anderer Amerikaauswanderer und zeugt von der großen Armut der Allscheider Dorfbevölkerung. Das mitgenommene Durchschnittsvermögen der Auswandernden des Kreises Daun im Jahre 1852 betrug mehr als 99 Taler! Aus mehreren Leiterwagen bestehend, zog sich der »Treck« des Fuhrunternehmers Hölzer (Mehren/Daun) mit den Auswandernden hin, der sie nach Rotterdam zum Schiff bringen ließ. Der Abschied fiel den Einwohnern Allscheids gewiss nicht leicht, verließen sie doch die Heimat, die ihre Vorfahren durch Jahrhunderte geprägt hatten, tauschten gewohnte Geborgenheit gegen eine Ungewisse Zukunft mit all ihren Bedrohungen und Ängsten. Nicht Gier nach Gold, Faulheit oder sittliche Verwahrlosung waren die Ursachen. »Drei Hauptgründe für die Auswanderung gibt es«, schrieb der Dauner Landrat am 19. 3.1852 nach Trier, weil gerade in diesem und in den vergangenen- Jahren eine Vielzahl Bürger den Kreis Daun verlassen hatten: »1 Die häufig wiederkehrende Teuerung der Lebensrnittel

2. Der allgemeine Mangel an Arbeit und Verdienst und die durch die beiden Punkte genährte Furcht vor endlicher gänzlicher Verarmung, und

3. der Druck der zu hohen Abgaben und Steuern.,,« Die Auswanderung war auch nicht typisch für den Ort Allscheid, denn bereits viele Jahre vor 1852 und auch noch Jahre danach waren und sind Bewohner aus Steiningen ebenfalls nach Amerika ausgewandert. Typisch und damit sensationell war nur, dass in besagtem Jahre nahezu ein ganzes Dorf die Eifel verließ und anschließend niedergerissen wurde.

Drei Familien (Henn, Heinz, Demerath) blieben. Sie siedelten ein Jahr später nach Steiningen um. Familie Weber blieb durch Einheirat ebenfalls in Steiningen; Familie Maus/Sadler zog nach Steineberg, aus der Großfamilie Burghard einige nach Demerath, und Familie Braun nach Mehren. Die letzte Einwohnerin aus Allscheid, Witwe Helene Jungen, geb. Henn, * 22.11.1852, verstarb am 12.1.1929 in Steiningen. Der letzte Allscheider war der am 16.12.1850 geborene, blinde Leierkastenspieler Johann Sadler, Sohn von Michael und Eva Maus. Er starb am 16.10.193 5 in Steineberg.

Letzte Bewohnerin von Allscheid

Lügen ranken

Ein halbes Jahr nach der Auswanderung (Frühjahr 1853) wurden alle Bauernhäuser, Scheunen und Stallungen Allscheids abgerissen; nur die kleine Dorfkapelle, 11 Schritte lang und 5 Schritte breit, blieb stehen. Sie verfiel in den kommenden Jahren und wurde polizeilich geschlossen. 1868 genehmigten der Kirchenvorstand von Darscheid und das Bistum Trier den Abriss. 1877 erbaute Johann Adam Demerath aus Steiningen, wenige hundert Meter vom ursprünglichen Standort entfernt, an der Straße eine neue Kapelle zum Andenken an das ausgewanderte Dorf. Die Kosten bestritt er teils aus dem Ertrag des Opfers aus Allscheid, größtenteils aber aus eigenen Mitteln. Nun konnten Sagen und Gerüchte wachsen. Es dauerte nicht lange, und die einen wollten wissen, dass das ärmliche Allscheid ein Dorf voller Spieler, Räuber und Mörder gewesen war, und die anderen, dass die »bösen Steininger« unschuldige Menschen zum Auswandern zwangen. Ein Beispiel von vielen soll der Pressebericht des Mehrener Pfarrers Specht sein, den er 1912 im Eifelvereinsblatt veröffentlichte, und der erkennen lässt, wie weit die Wahrheit sich schon vom Gerücht entfernt hatte: »Einzig dürfte der Fall dastehen, dass ein Dorf wegen des minderwertigen Charakters seiner Bewohner von einem Nachbardorfe aufgekauft und dem Erdboden gleichgemacht wurde.... Die Bewohner von Allscheid waren als Bettler, Faulenzer und Diebe vielfach berüchtigt. Im Winter 1851/52 saßen in Steiningen mehrere Dorfpolitiker zusammen hinter dem Ofen, als einer von ihnen den Wunsch aussprach: »Wären die Allscheider nur glücklich in Amerika.« Dieser Wunsch fand Beifall, und so kauften dann einige Monate später die Bürger von Steiningen den Allscheidern sämtliches Eigentum ab unter der ausdrücklichen Bedingung, dass die Verkäufer nach Amerika auswanderten...«

Andere wollten wissen, die Allscheider seien nie in Amerika angekommen, ihr Schiff sei unterwegs untergegangen. Dritte wieder behaupteten, die Auswanderer seien alle in Amerika zugrunde gegangen. (»Wie dem Orte, so erging es seinen Bewohnern: in einem fremden unverstandenen Land sind sie verdorben und gestorben. Niemals mehr ist eine Kunde heimgedrungen von dem Schicksal der Familien und ihrer Angehörigen..«; Eifelvereinsblatt 1932, S. 28). Aber all dies gehört ins Reich der Phantasie. Es liegen mehrere untrügliche Beweise vor, dass die ausgewanderten Familien sehr wohl in Amerika ankamen, sich dort niederließen und eine eigene Existenz aufbauen konnten.

Zum einen besuchte Maria, die Tochter der ausgewanderten Familie Dreis, 1889 Steiningen und konnte vom Schicksal der übrigen Auswanderer berichten, zum anderen besitzt Familie Hubert Hab, Steiningen, einen Brief aus St. Paul, Minnesota, vom 11.5.1890 in dem es unter anderem heißt: „...Wir sind sehr froh, dass, wir nach Amerika gegangen sind und haben uns hier besser geholfen als wir es in Deutschland hätten tun können... Mutter wünschte sich oft, dass alle armen Leute in Deutschland so satt wären wie wir... Die Kinder sind gut verheiratet und haben ein gutes Auskommen...«. Unterschrieben hatte ihn die Auswanderin Maria Gertrud Dreis, damals 71 Jahre alt. 1958 besuchten deren Enkel Leslie M. Dreis und sein Sohn aus Long Beach Steiningen und die Fluren des ehemaligen Dorfes Allscheid, das seine Vorfahren vor über 100 Jahren verlassen hatten. Bis heute bestehen Kontakte zu einigen damals ausgewanderten Allscheiderfamilien und dank des neuen Mediums -Internet - eröffnen sich gänzlich neue Kontakte zu den heute lebenden Nachkommen Allscheids.

1990 errichtete die Gemeinde Steiningen neben der Erasmus-Kapelle eine Gedenktafel, die dem Besucher einen kurzen Überblick über die Geschichte von Allscheid und dem Verbleib deren Bewohner gibt.

 Die kleine Erasmus-Kapelle von Allscheid, einziger Hinweis auf ein untergegangenes Dorf

Auswanderer aus Allscheid (Juli 1852):

1. Nikolaus Becker, Tagelöhner, * 15.07.1800 in Allscheid mit:

l a zweiter Ehefrau Maria Anna Neumes * 04.05.1810 in Schönbach und Kinder:

Ib Kaspar * 09.04.1835 in Allscheid;

lc Johanna * 15.12.183 6 in Allscheid

Id Peter Josef * 23.11.1850 in Allscheid

2. Anna Maria Burghard, Tagelöhnerin, * 1809 in Allscheid mit:

2a Sohn Jakob * 16.9.1835 in Allscheid

3. Gertrud Burghard, Tagelöhnerin, * 28.2.1807 in Allscheid (Schwester v. Nr. 2) mit Kinder:

3a Eva* 04.08.1838 in Allscheid

3b Jakob* 01.05.1841 in Allscheid

3c Margaretha * 08.04.1845 in Allscheid

4. Christine Burghard * 07.01.1849 in Allscheid (Die Eltern Jakob u. Margaretha Schröfer (Schreffer) kehrten wieder zurück)

5. Philipp Burghard, Tagelöhner,

* 1816 in Allscheid mit:

5a Ehefrau Katharina Münch, * 1821 in Ettringen und Kinder:

5b Maria Katharina * 14.11.1843 in Allscheid

5c Barbara * 17.01.1846 in Allscheid

5d Johann * 22.06.1849 in Allscheid

5e Anna Maria * 6.02.1852 in Allscheid

6. Johann Georg Escher, Maurer,

* 1806/07 mit:

6a Ehefrau Katharina Ternes, *

1808/09 und

6b Sohn Philipp * 08.02.1848 in Allscheid

7. Peter Josef Dreis, Tüncher,

* 07.01.1820 in Allscheid mit seiner Mutter:

7a Gertrud Weber, Witwe von Lo-renz Dreis, * 30.05.1781 in Steiningen, und seiner

7b Ehefrau Maria Gertrud Neis, * 22.01.1818 in Weiersbach und Kinder:

7c Anna Maria* 07.11.1844 in Allscheid

7d Magdalena * 23.09.1846 in Allscheid

7e Margaretha * 28.11.1848 in Allscheid

7f Anna Maria* 07.11.1849 in Allscheid

7g Martin* 14.02.1851 in Allscheid

7h Johann* 16.7.1840;

t 4. 8.1864 in USA (Kind aus 1. Ehe der Mutter Maria Gertrud mit dem am 21.2.1843 verstorbenen Tüncher Jakob Dreis)

8. Gerhard Mayer, ledig,

* 1826 in Bruchhausen mit:

8a Bruder Johann Adam, ledig, * 23.02.1834 in Allscheid

8b Schwester Gertrud, ledig, * 13.08.1836 in Allscheid

8c Bruder Nikolaus, ledig, * 12.03.1839 in Allscheid

9. Johann Josef Mayer, Tüncher, * 30.09.1827 in Bruchhausen (Bruder v. Nr. 8) mit:

9 a Ehefrau Christine Willems, * 07.10.1826 in Allscheid und

9b Sohn Gerhard * 02.01.1852 in Allscheid

10. Johann Willems, Tagelöhner, * 27.6.1821 in Allscheid (Bruder von 9a) mit:

10a Ehefrau Clara Mayer, * 18.7.1829 in Bruchhausen (Schwester von Nr. 8 und 9) und Kinder:

10b Gerhard * 04.12.1849 in Allscheid

10c Katharina * 21.06.1852 in Allscheid

11 Peter Josef Neumes, Tagelöhner, * 30.5.1822 in Schönbach mit:

11a Ehefrau Franziska Schmitz, * 1819/20 und Kinder:

11b Anna Elisabeth * 11.04.1849 in Allscheid

11c Maria* 09.02.1852 in Allscheid

12. Jakob Reiser, Nagelschmied und Pflasterer,

* 10.07.1800 Rommeisbach mit:

12a zweiter Ehefrau Maria Schäfer, * 04.07.1807 in Ulmen

12b Tochter Anna Katharina Schäfer, unehelich, * 04.03.1838 in Allscheid

13. Maria Anna Schreffer, * 1810 in Flussbach, Witwe von Johann Josef Schuh, (t 12.02.1847 in Darscheider-mühle) mit:

13a Tochter Eva, * 05.01.1842 in Allscheid und

14. Anna Maria Willems, * 1.5.1813, Allscheid, Witwe von Johann Thelen mit Kindern:

14a Johann * 10.10.1842 in Allscheid

14b Johann Adam * 21.04.18 50 in Allscheid

15 Jakob Pung, Ackerer,

* 1802/03 in Allscheid

Literatur:

Mayer Alois, Steiningen 1193-1993,

Daun 1992

-,- Der blinde Johann Sadler, in Steineberg - in Geschichte und Geschichten

-,- Familienbuch Amt Gillenfeld 1800-1900 (Privatarchiv)

-,- Familienbuch Pfarrei Demerath 1800-1900 (Privatarchiv)

-,- Familienbuch Pfarrei Darscheid 1800-1900 {Privatarchiv)

Mergen Josef, Auswanderung Kreis Daun, Daun 1958