Das „Wasserkraftwerk Niederbettingen"

Zur frühen Stromversorgung im Kreis Dann

Prof. Matthias Weber, Niederbettingen

Das „ Wunder Elektrizität" Mit der technischen Beherrschung der Elektrizität konnten die Menschen auf einmal, und das wirkte wie ein „Wunder", buchstäblich die Nacht zum helllichten Tag machen. Elektrizität bedeutete nämlich zunächst Licht. Und zwar Licht in Fülle, so viel wie man davon haben wollte. Jedenfalls grundsätzlich, weil es die Menschen nun selber machen konnten. Kein Wunder, dass diese neu ins Blickfeld rückende Energie (physikalische Kraft), die man nicht sehen, aber um so deutlicher an ihren ungeahnten Wirkungen erkennen konnte, regelrecht die Menschen aus dem Häuschen brachte. Hunderte von Jahren war diese Naturkraft den Gelehrten schon bekannt, aber eben noch unerforscht in ihren Ursachen, Wirkungen und praktischen Anwendungsmöglichkeiten. Im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der systematisch entwickelten Natur- und Ingenieurwissenschaften, wurde das nun völlig anders. Im Jahre 1866 gelang dem deutschen Ingenieur Werner von Siemens seine bahnbrechende Erfindung der Dynamomaschine, des sogenannten Strom-Generators (Generator = lat. Erzeuger). Mit seiner Hilfe konnte und kann man Elektrizität - man nannte sie nun nach dem Vorbild des fließenden Wassers Strom - technisch erzeugen. Die Bedingungen in der Eifel In der Eifel gab es zwei landschaftsbedingte Umstände, die für die Stromversorgung in dieser Region von großer Bedeutung waren, und zwar einmal die vielen Flussläufe, die Wasserkraft als Antriebsenergie liefern konnten, wie sie das zur Zeit der Eisenindustrie und florierenden Wassermühlen bewiesen hatten, und zum anderen die verhältnismäßig geringe Bevölkerungsdichte, die die Stromlieferung von Großkraftwerken aus, etwa im Dürener Raum oder Brühl-Frechener Braunkohlenrevier, durch Fernleitungen über Hochspannungsmasten und Umspannwerke erheblich verteuerte. So verwundert es nicht, dass bis zum systematischen Aufbau von weiterreichenden Überlandstromnetzen in der Eifel etliche respektable und zeitweilig sehr erfolgreiche Experimente zur Stromerzeugung in alten Mahlmühlen unternommen wurden. Dem bis dahin Schwerarbeit leistenden Müller war nicht zu verübeln, wenn er infolge der neuen Stromerzeugungstechnik leichter und schneller als Unternehmer zu Geld und Ansehen kommen konnte und wollte. Er musste sich dazu in erster Linie „nur" vertraut machen mit dem Zusammenspiel von Wasserzuführung, Turbine, Generator und Absatzleitung, die erforderlichen neuen Maschinen anschaffen, also das Investitionsrisiko übernehmen, und in seine

Mühlen-Wohnhaus am Giebel abgerissenes Betriebsgebäude noch erkennbar

Mühle einbauen. Das ist an etlichen Eifelorten gut gelungen, am frühesten und nachhaltigsten auf Molitors Mühle in Eichelhütte bei Eisen-schmitt. Hier gelang den Brüdern Claus und Peter Molitor bereits im Jahre 1889 erstmals die Stromgewinnung durch eine Dynamomaschine, sprich einen Generator. Immerhin lieferte das Elektrizitätswerk der Molitors Strom bis zur Werkszerstörung Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 (vgl. Claudia Schmitt, „Für den Wasserkraftbesitzer die billigste Lichtquelle" / Frühe Elektrizitätswerke in Wassermühlen, in: „Der Strom kommt!" Die Elektrifizierung im Eifel- und Moselraum, Hrsg. Arbeitskreis Eifeler Museen, Meckenheim 1996). Aus dem Kreis Daun werden ähnliche Pionierfälle mitgeteilt. So über eine „elektrische Lichtanlage" in Neroth 1897, ein „Elektrizitätswerk in Verbindung mit der Molkerei" in Hillesheim 1899, Stromlieferungen für die „Gerolsteiner Ortsbeleuchtung" von der Mühle zu Pelm im Jahre 1902, „elektrischen Licht- und Kraftstrom mit Wasserkraft erzeugt und mannigfach verwendet" in Lissingen (Unterburg des heutigen Eigentümers Ehepaar Dr. Karl Grommes, Lahnstein, d. Vf.) seit 1906. In den Jahren 1907 und 1909 regte der Gemeinderat Gerolstein sogar die „Anlage einer Talsperre im Oosbach gegebenen Falles auch Kylltal, an, zur Schaffung einer Überlandzentrale" (Peter Blum, Entwicklung des Kreises Daun, Festbuch zur Rheinischen Jahrtausendfeier, Daun 1925, S. 170). Nicht wenig erstaunlich ist auch der Mut der Kreisverwaltung Daun zur Durchführung kühner Stromversorgungsprojekte im schwach strukturierten Landkreis während der schweren Nachkriegsjahre des damaligen Deutschen Reiches nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg (1914-1918). So wird in der Kreisgeschichte dazu u.a. berichtet: „Die Vorarbeiten zur Elektrizitätsversorgung des Kreises wurden 1919 begonnen. Am 26.8.1921 gilt das elektrische Kreisprojekt als sicher, nachdem von 98 Gemeinden sich 51 daran beteiligen wollen. Am 21.9.1921 wird das Kreisprojekt für Elektrizitätsversorgung von 80 Gemeinden der ,Rheinelektra' (Baufirma für elektrische Großanlagen, d. Vf.) übertragen, einschließlich der Lieferung aller erforderlichen Materialien und Apparate" (P. Blum, a.a.O., S. 170).

Das „ Wasserkraftwerk Niederbettingen"

Vor der Einrichtung einer überlokalen Stromversorgung durch den Kreis Daun bzw. durch dessen Auftragnehmer, die Firma Rheinelektra, lieferte die Niederbettinger Mühle nicht nur das nachgefragte Mehl, sondern auch den im Dorf benötigten Licht- und Kraftstrom. Gewiss schwankte dabei oft die Netzspannung je nach Wasserführung des mit der Kyll verbundenen ehemaligen

Mühlengrabens („Mühlenteich", heute Teil der Kreisstraße 47) und der Turbinenleistung, aber eine örtliche Grundversorgung, auf die man zu Recht ein wenig stolz war, war schon da. Wann genau die Stromerzeugung und -Versorgung auf diese Weise in Niederbettingen Einzug hielt, ist bisher durch eine Schriftquelle (noch) nicht zu belegen.

Aber auch hier fand sich im Laufe der Recherchen - Gott sei Dank - wieder ein wichtiger Anhaltspunkt, und zwar in der Schulchronik eines Nachbarortes, nämlich derjenigen von Oberbettingen. Unter dem Datum vom 12. Dezember - die Angabe des Jahres fehlt, konnte jedoch in einer anderen gedruckten Quelle als 1922 ermittelt werden -liefert ihn uns Lehrer Inselberger (1906-1924 an der damaligen Volksschule zu Oberbettingen). Geradezu in poetisch entzückter Sprache abgefasst und in kalligraphischkunstvoller altdeutscher Schrift geschrieben, überliefert der begeisterte Schreiber auf S. 112 der Chronik der interessierten Nachwelt seinen ebenso aufschlussreichen wie verdienstvollen Bericht. Das chronistische Meisterwerk nimmt eine ganze Buchseite in Anspruch und verleiht dieser Chronik auch durch seine Aufmachung besonderen Glanz. Die zeichnerische Umrahmung des Berichts mit einem zeitgemäßen Lichtmast und einer alten granatförmigen Hoflampe mit emailliertem Schutzschirm - beide sind heute echte Museumsstücke der Elektrifizierungsgeschichte - spiegelt deutlich wider, wie liebevoll und pädagogisch sinnvoll sich der Lehrer damals als sensibler Chronist des nicht alltäglichen Themas angenommen hat. Voller Faszination und Dankbarkeit über die neue ungewohnte Lichtfülle, besonders an dunklen Wintertagen - das „Wunder" geschah fast Mitte Dezember -, hält er mit seiner Feder folgende Tatsachen und Eindrücke fest: „Am Montag, dem 12. Dezember (1922, d. Vf.) wurde das Ortsnetz Oberbettingen in Gegenwart der Herren Telegraphendirektor Wiehl (Trier), Kreisingenieur Oster, Ingenieur Schmalenberger und Bauinspektor Salzer (Rheinelektra) als erste Hochspannungsstrecke der Überland-zentrale des Kreises Daun mit 12.500 Volt Spannung in Betrieb gesetzt. Den erforderlichen Strom liefert vorläufig das Wasserkraftwerk Niederbettingen. Der Strom wird dort niederspannungsseitig erzeugt und durch Transformierung in der Schaltstation Niederbettingen auf die erwähnte Spannung gebracht. Am 14. Dezember war die Abnahme der Hausinstallationen (Zählerprüfung) beendet. Mit welcher Spannung und Freude schritt einer nach dem anderen in den einzelnen Familien, nachdem die Stromspeisung angesagt war, an seine Schalter, schaltete ein und aus und ergötzte sich an der ungewohnten Lichtfülle. Jeder versuchte unter der neuen Lichtquelle zu lesen (und) zu schreiben. Die Petroleumlampe wurde in einen entlegenen Winkel gestellt. Man getraute sich noch nicht, die jahrzehntelange treue Lichtspenderin so undankbar auszurangieren. Und es war gut so, denn in der ersten Zeit musste die alte traute Lampe noch oft aus der Lichtnot helfen, da in der ersten Zeit häufig im Ortsnetz, der Zuführleitung im Transformator oder im Wasserkraftwerk Niederbettingen Störungen vorkamen. So ist unser Dorf als erster Ort im Kreise, der mit der für später allgemein üblichen Stromspannung beliefert wird. Seit Anfang März ist Oberbettingen an die Überlandzentrale des Kreises angeschlossen. Den elektrischen Strom liefert das Braunkohlenwerk Zukunft in Eschweiler." In der bereits zitierten sehr materialreichen gedruckten Festschrift von Peter Blum (Daun 1925) wird unsere Kenntnis über die Leistungsfähigkeit des „Wasserkraftwerks Niederbettingen" noch beträchtlich erweitert. So schreibt der Autor in seinem hoch interessanten Entwicklungsbericht auf Seite 174 über die ersten Aufbaujahre des Kreisstromnetzes: „Während dieser Zeit wurden durch Hochtransformierung des in dem kleinen Wasserkraftwerk bei Niederbettingen erzeugten Stromes die Orte Oberbettingen, Lissendorf und Birgel vom 12.12.1922 ab vorübergehend mit Strom versorgt."

Offenbar war der damalige technische Fortschritt in der Niederbettinger Mühle - nur sie ist hier mit der für uns heute etwas anspruchsvoll klingenden Bezeichnung „Wasserkraftwerk" gemeint - für die Stromversorgung der nordwestlich gelegenen genannten Nachbarorte weiter gediehen als in deren eigenen Wassermühlen am Ort. Für die Niederbettinger Mühlenbesitzer und -betreiber Matthias von Landenberg (1879-1949) und seine Ehefrau Katharina (1889-1975) war dies zugleich eine erfreuliche Anerkennung ihres unternehmerischen Pioniergeistes im mittleren Kylltal. Auch dem kleinen Eifelort Niederbettingen (seit 1974 Hillesheim-Niederbettingen) gereicht die geschichtliche Tatsache seines ehemaligen „Wasserkraftwerks" in der modernen Wirtschafts- und Kulturgeschichte der Vulkaneifel für kurze Zeit zu einer besonderen überlokalen Bedeutung, die Erinnerungspflege über den Ort hinaus verdient.