Der große Brand von 1876 in Gillenfeld und die Folgen

Gerd Hagedorn, Dahnen

Es gibt kaum ein Dorf, ja nicht einmal viele Städte, die im Laufe ihrer Geschichte nicht von Feuersbrünsten heimgesucht worden wären. Große Brände waren bis in die neuere Zeit hinein sozusagen eine ganz normale Katastrophe. Nur, die Folgen für die betroffenen Bewohner waren jedes Mal verheerend. Noch heute, in einer Zeit unvergleichlich besseren Brandschutzes, erinnern wir uns, mehr oder weniger gelegentlich, an solche Ereignisse im Rahmen der Ortsgeschichte. So findet sich mit Recht auch auf der Internetseite von Gillenfeld ein Hinweis auf die beiden Brandkatastrophen von 1876 und 18871. Aber wer weiß noch, was damals wirklich geschah? Und was die Folgen waren? Ein glücklicher Zufall brachte jetzt einen ersten Augenzeugenbericht über den Brand von 1876 ans Licht, der von einem damals noch jungen Gillenfelder Bürger stammt.2

Ein Augenzeuge aus Gillenfeld

Der verheerende Brand, der das Unterdorf von Gillenfeld in Schutt und Asche legte, brach am 18. August 1876, einem Freitag, nachmittags gegen fünf Uhr aus, mitten in einem ungewöhnlich heißen und trockenen Sommer. Mehr als der halbe Ort fiel ihm zum Opfer; etwa 72 Häuser waren betroffen mit ihren Stallungen und Scheunen, vielen Tieren, der Ernte und allem Hab und Gut. Zwei Menschen kamen dabei ums Leben. Betroffen war auch das Landgut, das der Müller Johann Hoff erst im Vorjahr nach Ablauf der Pachtzeit für die Gillenfelder Hubertus-Mühle neu im Unterdorf gepachtet hatte.3 Sein ältester Sohn, Anton Hoff, hat später das, was er und die Familie bei dem Brand erlebten, niedergeschrieben. Obwohl er damals erst sechs Jahre alt war, hat sich das Erlebte tief in sein Gedächtnis eingebrannt und im immer wiederkehrenden Gespräch über das Unglück verfestigt.

Demnach griff das Feuer so schnell um sich, dass in kürzester Zeit das Haus mit Scheune und Ställen in Flammen stand und Hab und Gut vernichtet war. Der Vater Johann Hoff konnte noch gerade die Pferde aus dem Stall auf die Wiese treiben. Das Vieh war zum Glück auf der Weide, wo der kleine Anton es nach damaliger Sitte zu hüten hatte, und die Schweine waren bei der Herde im Wald. Nur eine Muttersau mit 11 Ferkeln konnte nicht gerettet werden und musste im Stall verbrennen. Ebenso verbrannten im Stall 20 Schafe sowie die Enten und die Hühner.

Johann Hoff versuchte zu retten, was zu retten war. Außer den eigenen Kräften gab es keine Hilfe, denn jeder war ja mit seinem eigenen brennenden Haus und Hof beschäftigt. So zog er den Leiterwagen vor die Haustür und warf, so lange es eben ging, Bettzeug und Möbel auf den Wagen, und auch einige Nachbarn bedienten sich dieser Möglichkeit. Bald aber wurde das Feuer für den Wagen vor dem Haus zu gefährlich, deshalb zog er ihn die etwas abfallende Straße entlang bis vor das Dorf auf eine Wiese, wo bereits mehrere derartige Fuhrwerke standen. Der kleine Anton musste den sich immer mehr ausweitenden Feuersturm von seiner Weide aus mit ansehen, denn er durfte natürlich das Vieh nicht im Stich lassen. Man kann sich vorstellen, was das für einen sechsjährigen Jungen bedeutet. Erst abends, nachdem er beim Viehhüten durch seinen Paten abgelöst worden war, traf er mit seiner Mutter und den drei noch jüngeren Geschwistern auf dem Wagen zusammen.

Eindrücke eines Sechsjährigen

Aus der Erinnerung schreibt Anton Hoff: „Ich war damals sechs Jahre alt und kann mich des Brandes noch sehr gut erinnern. Ich war Hirt bei unserem Vieh. Drei Tage vorher waren die Wiesen zur allgemeinen Beweidung freigegeben worden. Wir Kinder waren mit unseren Viehherden auf der sogenannten Dürrwiese zwischen Gillenfeld und Saxler. Wir spielten Stein schlagen, dabei musste man mit einem Stock, woran sich am unteren Ende ein Knoten befand, einen Stein in ein Loch schlagen. Plötzlich ... nachmittags um 5 Uhr stieg mitten im Ort eine schwarze Rauchwolke gen Himmel auf, die immer dicker und dicker wurde. Es wurde eine Flamme sichtbar, die sich zu einer regenbogenfarbigen Schlange formte und blitzschnell über die Dächer hinweg schlängelte; dann stiegen aus allen Häusern, die von der Schlange berührt worden waren, die Flammen empor, die sich bald zu einem gewaltigen Feuermeer vereinigten. Menschen- und Tiergeschrei wurde hörbar und jeder von uns Jungen sagte: ,es brennt bei uns'; ,das Feuer ist auch bei uns.' Wir fingen an zu weinen und trieben unser Vieh vom Feuer ab gegen Saxler. Nun gab es ein Raten, wo und wie das Feuer wohl entstanden sei. Wir blieben immer noch in Ungewissheit, bis am Abend erwachsene Jungen und Männer aus dem vom Feuer verschonten Ortsteil kamen, die die Aufsicht über das Vieh übernahmen und uns anwiesen, in die Vorstadt - das waren die Häuser auf dem rechten Alfbachufer - zu gehen; dort würden wir unsere Eltern mit den geretteten Sachen vorfinden. Was wir vorfanden, waren weinende Mütter mit kleinen Kindern. Meine Mutter mit meinen drei kleineren Geschwistern im Alter von vier und zwei Jahren und von ein paar Monaten lagen auf unserem Leiterwagen in dem wenigen geretteten Bettzeug. Es war ein Jammern und Weinen ohne Ende. Wir Kinder hatten Hunger und bekamen ein Stück Brot, welches von den Einwohnern verschonter Häuser gebracht worden war."4 Der Vater, Johann Hoff, war nicht anwesend, schreibt sein Sohn. Er sei noch in dem brennenden Ort beschäftigt gewesen. Wie Anton sich später von ihm erzählen ließ, waren in einem Wirtshauskeller die Bierfässer angezapft worden und die, die eigentlich das Feuer hätten löschen sollen, löschten hier ihre brennenden Kehlen. Angesichts der Hitze und der Aussichtslosigkeit ihrer Löschbemühungen ist dies wohl nicht ganz unverständlich. Übermannt vom Alkohol und wahrscheinlich auch von der Verzweiflung, fingen sie an zu randalieren. Die Dorfpolizei wurde ihrer nicht mehr Herr. Johann Hoff, als stärkster und gefürchtetster Mann der ganzen Umgebung, wurde gerufen, um die Ordnung wiederherzustellen. Das tat er denn auch, und die betrunkenen Männer fanden sich bald alle vor dem Keller auf der Straße wieder.

Folgen des Unglücks

Am Morgen nach dem Brandtag haben dann die obdachlosen Familien ihr Unterkommen gesucht, wo sie es finden konnten. Die Familie Johann Hoff, zum Beispiel, bekam zwei Zimmer in dem sogenannten Zillgenshof, später „Gasthof zur Post", in dessen Scheune der Brand ausgebrochen war. Eigenartigerweise waren es genau die Zimmer, in denen der Vater in jungen Jahren schon einmal gewohnt hatte, denn dessen Vater Anton Hoff war in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts lange Zeit Pächter dieses Gutshofes gewesen. Die Brandkatastrophe von Gillenfeld ließ auch die Öffentlichkeit nicht kalt. So, wie sich die Nachricht verbreitete, wuchs auch die Hilfsbereitschaft. Der Schreiber des Berichtes erinnert sich, außer allen möglichen notwendigen Sachen auch ein Paar hohe Kinderstiefel mit schönen Falten erhalten zu haben, die angeblich von einem Prinzen stammten, und die er lange mit Stolz getragen hat. Etwa vier Wochen später wurde die von Johann Hoff bis 1875 schon einmal gepachtete Hubertusmühle wieder frei, und die Familie zog neuerdings dort ein. Damit begannen zugleich neue Herausforderungen und Möglichkeiten. Da das Brotgetreide den Leuten verbrannt war, mussten sie Mehl und Brot kaufen. Johann Hoff besorgte deshalb den Roggen gleich waggonweise in Zülpich. Dieser wurde mit der Eisenbahn bis Gerolstein gebracht und musste dann mit Pferdefuhrwerken die 25 Kilometer bis nach Gillenfeld gefahren werden.

Der Roggen wurde gemahlen und das Mehl an die vom Brand Betroffenen verkauft. Außerdem backte Johanns Frau Katharina geborene Hofer jeden Tag einen Backofen voll Brot, das reißenden Absatz fand. Als ihr die Arbeit zu schwer wurde, stellte man einen Bäcker ein. Eines Tages hatte dieser wegen eines außerplanmäßigen Nickerchens das Brot zu lange im Ofen gelassen, so dass es verbrannte. Johann Hoff machte kurzen Prozess und gab dem Bäcker den Laufpass. Trotz der großen Hilfsbereitschaft weit über das Rheinland hinaus, so der Bericht, reichte sie bei der großen Zahl der vom Feuer Geschädigten nicht aus, die in Not Geratenen auch nur annähernd zu entschädigen. Die meisten mussten sich eine allzu große Schuldenlast aufbürden, die um so drückender wurde, als ausgerechnet dem Brand mehrere Missernten folgten.5 Zusätzlich wirkte sich aus, dass Wucherer die Situation der Abgebrannten ausnutzten, denn das Werk Friedrich Wilhelm Raiffeisens und Georg Friedrich Dasbachs steckte damals noch in den Kinderschuhen. Die Folge war, dass anfangs der 80er-Jahre des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe derjenigen, die Haus und Hof wieder aufgebaut hatten, alles verkaufen mussten, um ihre Schulden zu bezahlen. Ihre große Hoffnung war, in den Vereinigten Staaten von Amerika ein neues Leben zu beginnen, was dank Fleiß und Sparsamkeit meistens auch gelang.6 Die große Zahl von Landverkäufen und -Versteigerungen in diesen Jahren führte zu einem Überangebot an Immobilien mit der Folge, dass die Erlöse beträchtlich sanken. So entstand ein Teufelskreis, der von der einen Katastrophe in zwei neue führte: die Armut und die Heimatlosigkeit.

1 Vgl. http://www.gillenfeld.de/ gill.php3?=,5,informationen/geschichte2

2 Anton Hoff: Mein Lebensweg, 2-16 passim (handschriftlich von 1939, Familienarchiv H. Abschlag).

3 Vgl. Friedbert Wißkirchen: Die neue Gillenfelder Mühle, in: Heimatjahrbuch 1992 Kreis Daun, 227-228. Johann Hoff ist der a.a.O. 228 gemeinte Müller, der die Hubertusmühle von 1869 bis 1875 und dann wieder von 1876 bis 1882 in Pacht gehabt hat.

4 Anton Hoff: Mein Lebensweg, 11-13.

5 Missernten gab es zum Beispiel in den Jahren 1876, 1878 und 1880 auf Grund von Trockenheit, Hagelschlag oder Dauerregen, und 1882 war geradezu ein Katastrophenjahr.

6 Die zusätzlichen Folgen des Brandes lenkten wohl die Gedanken mancher Gillenfelder verstärkt in Richtung Auswanderung, die an sich damals schon ein allgemeines Phänomen darstellte, was mit Berufung auf das Chicagoer Katholische Wochenblatt des Jahrgangs 1881 zum Beispiel bestätigt wird von Werner Schuhn: Eifeler Nachrichten in einer amerikanischen Zeitung, in: Heimatjahrbuch 1984 Kreis Daun 220-225; auch http://www.jahrbuch-daun.de/ VT/hjbl984/hjbll984.99.htm