Der Traum

Der Abend kommt, still wird des Tages Treiben,

die Sonne ist versunken hinterm Horizont.

Verloschen ist ihr Gold auf Fensterscheiben,

auf dunklen Abendwolken schwimmt der

Sichelmond.

 

Ich bett' in kühles Linnen meine müden Glieder,

der Wind bauscht leise der Gardinen Saum.

Still fällt der Schlaf auf meine Augenlider,

und in die Kinderzeit entführet mich der Traum.

 

Dann seh ich mich durch Sommerwiesen gehen,

das Gras noch weiß vom frühen Morgentau.

Seh über grünen Saaten Lerchen stehen

Vor einem weiten Himmel, gläsern blau.

 

Das Dorf erwacht, ich hör die Hähne krähen,

mit hellem, munteren Vogelsang gepaart.

Ich seh die Menschen an die Arbeit gehen,

stillsinnend, fleißig, wie es ihre Art.

 

Das Bächlein murmelt seine ewig alte Weise,

oft hab ich dort des Sommers meinen Durst

gestillt.

Der Habicht ziehet spähend seine Kreise,

vom Duft des Heues ist die Luft erfüllt.

 

Im Gärtchen vor den Häusern blühen

Blumenzwiebeln,

die Katze räkelt sich dort in der Mittagsglut.

Im Neste an den schmalen Häusergiebeln

futtern Schwalben unermüdlich ihre Brut.

 

Die Kleinen spielen im Sand vor dem Hause,

die Mütter öfter schnell nach ihnen schaun

und nutzen meistens diese kleine Pause

zu einem Schwätzchen übern Gartenzaun.

 

Die Glocke ruft vom Turm zum Mittagessen,

der Lehrer gibt heut »Hitzefrei«, wie schön.

Und Kinder wissen schöneres indessen

Als sommertags zum Unterricht zu gehn.

 

Ein jeder füllt sein Tagwerk aus mit Freud'

und Lasten,

für manchen ist es schwer, für andre leicht.

Die einen nehmen's ruhig, andre hasten,

und stolz ist jeder, der das Ziel erreicht.

 

Dann will das Vieh nach Hause,

weil die Ställe locken,

die Stunde, da der Mann im Feld sein

Haupt entblößt

und bei dem weiten Klang der Abendglocken

er, wie gewohnt, die Gottesmutter grüßt.

 

Die Sonne neiget sich zum Schlafengehen,

sie taucht den Tag in Glanz, ein letztes Mal,

und auf den langen Schatten kann man sehen,

der Abend schreitet sachte in das Tal.

 

Ich kann schon seinen kühlen Atem spüren,

tief hängt der gute Mond im alten

Apfelbaum.

Die Kinder weinen müd',

es schließen sich die Türen,

und so schließet und vollendet sich mein

Traum.

 

Und wenn das Morgenrot mich weckt aus

Schlafes Händen,

neu ist der Tag, ein unbeschrieben Blatt,

will ich mich an den Herrgott

mit der Bitte wenden,

dass er der Tage noch viele für mich hat.

Thekla Heinzen, Feusdorf

 

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