Theodor Meyer aus Wiesbaum auf Erkundungstrip in Amerika

Hubert Pitzen, Stadtkyll

Ein wohl nicht übliches Ereignis im Zuge der Amerika-Auswanderung stellt die Reise des Gutsbesitzers Theodor Meyer aus Wiesbaum dar. Der Ackerer Meyer plante, mit seiner Familie nach Nordamerika auszuwandern. Doch vorher wollte er sich an Ort und Stelle über die amerikanischen Verhältnisse unterrichten. Die wenigsten Auswanderungswilligen konnten sich finanziell eine Rückkehr aus Amerika leisten. Fast das gesamte Geld der Amerikaauswanderer wurde für die Schiffspassage verwendet. Theodor Meyer brach am 21. April 1842 von Wiesbaum nach Amerika auf und kehrte schließlich enttäuscht aus dem »Land der Freiheit« zurück. Auf seiner Reise nach New York und in das Mississippi-Gebiet lernte er das Elend vieler deutscher Auswanderer kennen. Über seine Reise verfasste Meyer am 6. September 1842 vor dem Bürgermeister von Lissendorf ein Protokoll. In diesem Protokoll legte er seine Erfahrungen und Eindrücke dar. Gerne verbreiteten die Bezirksregierung Trier und das Landratsamt in Daun Meyers Reisebericht um die Auswanderwilligen zu warnen. Schon lange führte der Landrat einen Kampf gegen die in vielen Dörfern des Kreises Daun agierenden Werber der großen Schifffahrtsgesellschaften, die das große Geschäft machten. In einem Bericht der Bezirksregierung Trier vom 29. Oktober 1842 heißt es: »Wir haben keinen Anstand genommen (...) und bringen nachfolgenden Reisebericht des Theodor Meyer in öffentliche Kenntnis, damit er den Auswanderungslustigen, die ungetreuen Schilderungen der Zustände in Nord-Amerika und den Verlockungen so leicht Gehör geben, zur Bekehrung und Warnung dienen mögen.«

Theodor Meyers Reisebericht lautet:

»Als sich seit einem Jahre in hiesiger Gegend die Auswanderungs-Sucht nach Amerika ausgebreitet hatte, entstand auch in mir ein unwiderstehlicher Trieb, dorthin zu reisen. Ich warfest entschlossen, vorerst alle meine beweglichen und unbeweglichen Güter zu verkaufen, dann mit meiner Familie abzureisen und mich dort zu etablieren. Nur das flehentliche Bitten meiner Frau und meiner Kinder, Dank sei dem Himmel, konnten mich bewegen, von dem beschlossenen Verkauf abzustehen und nur vorläufig eine Reise nach den gemeldeten Staaten vorzunehmen, um mich selbst von dem wahren Sachverhältnisse und von dem vielversprochenen Glück zu überzeugen. Ich reiste daher am 21. April letzthin von Wiesbaum ab, und zwar durch Frankreich, schiffte mich am 29. in Havre de grace ein und landete erst, weil wir meistens widrigen Wind und dabei mehrere Stürme auszustehen hatten, nach einer 52-tägigen Fahrt an den Küsten von New York an.

Nachdem wir nun die vorgeschriebene Quarantäne im Schiffe ausgehalten hatten, und aus dem Schiffe steigen wollten, wurden wir von mehreren hundert armen Deutschen sozusagen überfallen, um uns in ein Wirtshaus zu begleiten. Diese Menschen, die keine Arbeit haben, erhalten von den Wirten, denen sie Fremde zuführen, für jeden Gast einen Franken. Daher kam es dann auch, dass diese Leute sich sogar um die Angekommenen schlugen und untereinander handgemein wurden, was sogar unter ihnen zu tätlichen Misshandlungen Veranlassung gab. Schon der kurze Aufenthalt in New York belehrte mich vollends darüber, dass die gepriesene Glückseligkeit dort nicht zu finden sei, denn viele Hunderte von Deutschen, deren ganzes Vermögen an die Überfahrtskosten gegangen, gehen dort brotlos herum und arbeiteten gern, wenn sie nur Arbeit erhalten könnten. Diejenigen, die nichts mehr besitzen, sind wirklich die unglücklichsten Menschen, die es geben kann. Dort kennt kein Mensch Mitleid und Erbarmen. Nicht ein Stückchen Brot, ja nicht einmal das kleinste Almosen wird dem Hungrigen verabreicht. Dort ist es nicht wie hier zu Lande, wo Armen-Unterstützungsvereine bestehen, oder, wo es hinlänglich mitleidige Menschen gibt, wodurch die Armen unterstützt werden, dass sie nicht vor Hunger zu sterben brauchen. Diese arbeits- und brotlosen Menschen wünschen allgemein, dass sie wieder in ihrem Geburtsland wären, wo doch die Arbeitsamen Arbeit und die Armen Mitleid finden. Aber keinen Verdienst haben sie, Mittel haben sie auch nicht, die Reise wieder zurück zu machen. Ich traf dort Leute in Menge an, die hier ihre gehöriges Auskommen hatten und dort in der größten Armut sind. So traf ich in der Stadt N. einen Mann, den ich nicht nennen will, der im verwichenen Herbst dorthin ausgewandert ist, der in dem benachbarten Kreise Schleiden eine Beamtenstelle mit Gehalt bekleidete, dieser war in der Tat jetzt schon, da er durch die Teuerung der Lebensmittel mit einer starken Familie sein Vermögen verzehrt hatte, in den dürftigsten Umständen. Dieser konnte mir nichts anderes sagen, als beklagen, dass er durch die lügenhafte Hilfe, die aus Amerika gekommen, sich habe verleiten lassen, dorthin auszuwandern. Wie weit aber selbst Leute gegen Anverwandte gehen und sie unglücklich machen, davon habe ich auch einige Beispiele selbst erfahren. Auf dem Schiffe, mit welchem ich überfuhr, befand sich ein junges Mädchen, eine Israelitin, die auf Grund eines Briefes, den ihre in New York wohnende Schwester ihr hatte zugehen lassen und von ihrem großen Reichtum sprach, sich entschlossen hatte, nach dem Wunsche ihrer angeblich reichen Schwester ihre Heimat zu verlassen, um dort auch ein glückliches Leben zu haben. Diese Mitreisende wurde, wie gewöhnlich alle, auf der Seefahrt krank, und da sie nicht ausreichende Mittel hatte, so trug ich keine Bedenken, ihr nach Vorzeigung des gedachten Briefes, Geld vorzustrecken, welches ich gedachte, von ihrer reichen Schwester in New York zurück zu erhalten. Aber als wir diese in der Stadt aufgesucht hatten, fanden wir die in Armut und Elend in einer elenden Baracke lebende Person, die nicht so viel hatte, dass sie die Angekommene sättigen, viel weniger mir das vorgestreckte Geld zurückzahlen konnte.

Eine gleiche Untreue beging ein junger Mann aus Rheinbayern an seinen Eltern, die nach dem Rate dieses Taugenichtses, der bereits ein Jahr in diesem Lande sich befand, ihre Güter veräußerten und in diesem Frühjahr dorthin zogen. Dort angekommen, stahl der treulose Sohn, nicht zufrieden seine Eltern durch den Rat der Auswanderung schon unglücklich gemacht zu haben, ihnen ihre ganze Barschaft und machte sich davon.

Natürlich wird auf diese Art die Zahl der ohnehin vielen Brotlosen vermehrt. Kurz in der Gegend von New York war alles der Art, dass weder für den, der Geld besaß, viel weniger für den, der nichts hatte, etwas zu machen, und deshalb wünschte jeder Deutsche nur wieder in seiner Heimat zu sein.

Um nun dieses Land selbst weiter auszukundschaften, fuhr ich mit dem Schiffe nach den Hauptstädten Albany, Utika und mehreren ändern. Ja, ich reiste gegen 500 Stunden in das Innere der Staaten und sogar bis in die Gegend des Mississippi, um vielleicht dort zu finden, was man vergeblich in den Küsten-Gegenden suchte. Allein, war das Elend und die Armut hier in einem hohen Grade, so überstiegen solche dort im Innern des Landes allen Begriff. Die Städte waren angehäuft mit einer Anzahl Armen, die alle, da sie nirgends Arbeit fanden, verhungern müssen, wenn sie ihr Leben nicht durch Stehlen fristen wollen. Diese Armen, die vor und nach ihre Kleidungsstücke verkauft haben, um zu leben, gehen alle umher wie hier zu Lande kein Bettler. Alle zerlumpt und zerrissen, spricht der Hungertod aus jedem dieser Menschen-Antlitze. Es war ein herzzerreißender Anblick, alle diese Unglücklichen mit Tränen in den Augen den Neuangekommenen um Almosen bitten zu sehen, und ihren Heißhunger noch einmal etwas zu stillen.

Im Innern des Landes stockt auch aller Handel durch die vielen Bankerotte, die in neuester Zeit vorgekommen sind. Geld findet man hier so wenig, als irgend. Die Waren werden daher bloß umgetauscht, und für die Handwerker ist daher auch gar kein Verdienst. So traf ich einen jungen deutschen Handwerker, der bereits schon 6 Monate im Lande herumgegangen und trotz seiner angewandten Mühe, Arbeit zu erhalten, bis dahin keine bekommen konnte. Den Ausgewanderten, welche sich auf den Ackerbau verlegen wollen, wird zwar ein Distrikt Land, je nachdem es von ihnen verlangt wird, zu einem ganz geringen Preis und zwar der acre (ungefähr ein preußischer Morgen) zu 2 Dollars oder 2 Taler, 20 sgr. (= Silbergroschen) angewiesen. Allein dieses Land besteht nur aus Waldungen und sonstigem Gestrüpp, die zuerst mit vieler Mühe aus gerodet und urbar gemacht werden müssen, wozu und bis dahin, dass das Land Früchte trägt, wenigstens l 1/2 bis 2 Jahre erfordert werden, während welcher Zeit sich die ohnehin unbemittelten Anbauer auf ihre Kosten ernähren müssen. Und da sie nicht hierzu imstande sind, rotten sich die Verwegenen, um dem Hungertod zu entgehen, zusammen und überfallen die einzeln liegenden Gutsbesitzer, misshandeln und töten sogar die Eigentümer selbst, wenn sie den Raubenden Widerstand leisten. So wurde in diesem Jahr ein Schweizer, der sich ein Landgut angekauft hatte, sechsmal beraubt und zum letzten Male, wo derselbe den Raubenden widerstand, selbst getötet.

Durch all dieses Elend, welches ich überall antraf, konnte ich mich nicht länger mehr in diesem Lande aufhalten und sehnte mich wieder nach meinem Vaterlande. Ich trat daher die Reise wieder nach New York an, um dort meinen Paß von dem dortigen Preußischen Konsul, Herrn W. Schmidt, zur Zurückreise nach den Preußischen Staaten visieren zu lassen. Dieser Konsul bemerkte mir, dass er schon früher das hohe Ministerium in Berlin auf das große Elend der Preußischen Ausgewanderten in Amerika aufmerksam gemacht und zugleich dahin angetragen habe, Maßregeln zu treffen, damit dem Auswandern dorthin Einhalt getan werde. Allein wie es scheine, seien bis dahin noch keine Schritte dazu getan worden. Derselbe ersuchte mich dringend, weil ich mich nun selbst von dem Zustand dieser Ausgewanderten überzeugt habe, denselben bei meiner Ankunft in das Preußische Gebiet bekannt machen zu lassen, damit nicht noch viele andere in einen ähnlichen Zustand geraten mögen, was ich demselben auch heilig zusagte. Da ich nun nach einer 22-tägigen Seefahrt in London und bald hernach wieder in meiner Heimat angekommen bin, so will ich um der Menschheit willen nicht ermangeln, die vorgeschriebene getreue Schilderung des Sachverhältnisses abzugeben mit der Bitte, dieselbe an die betreffenden Behörden zur geeigneten Bekanntmachung gelangen zu lassen.«