Familie Daniels

Eifeler in Kanada

Mathilde Gros, Eltville

Die Daniels, meine Vorfahren mütterlicherseits, stammen aus Bodenbach in der Verbandsgemeinde Kelberg; zur Zeit meiner Großeltern (1843) bestand der Ort aus 37 Häusern mit 207 Einwohnern. Die Gemarkung teilte sich in je ein Drittel Ackerland, Wiese und Wald. Angebaut wurden Roggen, Hafer und Kartoffeln. Durch die Realteilung auf die Kinder verkleinerten sich die Hofflächen immer mehr. Gleichzeitig war aber die hohe Kinderzahl die Altersvorsorge. Die Bauernfamilien verarmten, und die Väter mussten mit Nebenerwerb (Handwerk im Ort oder Arbeitsstellen in größeren Nachbargemeinden) den Unterhalt der Familien sichern. Dem Großvater, Phillip Daniels, bot sich die Gelegenheit, in Gerolstein einen Getränkevertrieb zu übernehmen. So zog er Anfang des 20. Jahrhunderts mit seiner Frau und sieben Kindern dorthin in die Hauptstraße.

1910 starb meine Großmutter, eine geborene Klinghammer, im Alter von 46 Jahren. Meine Mutter war die Älteste, damals gerade 19 Jahre alt. Sie musste nun ihre sechs Geschwister, die Jüngste war vier Jahre alt, und ihren Vater versorgen.

Es sollte aber noch schlimmer kommen. Der I. Weltkrieg brach aus (1914). Zwei Brüder wurden eingezogen und auch Pferde und Wagen wurden rekrutiert. Mein Großvater konnte nun weder Bier noch Wasser zu seinen Kunden bringen. Zur Westfront ziehende Soldaten nahmen Bier- und Wasserflaschen mit, gaben aber das Leergut nicht zurück. So fehlten bald 1000 Flaschen, für die mein Großvater haften musste. Auch die gelegentlichen Kutschfahrten mit Arzt oder

 

Familie Daniels 1916

Hebamme fielen weg. Es war ja kein Pferd mehr im Stall. Die Schulden gegenüber der Brauerei und dem »Sprudel« brachten die Familie an den Ruin.

Über all seinem Kummer starb Großvater mit 53 Jahren im vorletzten Kriegsjahr 1917. Meine Mutter stand allein mit der schweren Bürde, der Betrieb praktisch bankrott und überschuldet, dazu drei Schwestern (16, 14 und 11 Jahre) und drei Brüder, alle im jugendlichen Alter. Der jüngste Bruder erlernte das Schneiderhandwerk bei Arnoldy in Gerolstein. Die beiden älteren kamen heil aus dem Krieg zurück. Einer heiratete nach Koblenz, der andere erhielt eine Anstellung bei der Bahn, blieb aber bis zu seiner Heirat noch in der Familie.

Für die drei Schwestern war es schwer, nach der Schule Arbeit zu finden oder einen Beruf zu erlernen. Die Zeiten waren schlecht und die Arbeitsplätze rar. Als erste ging Anna aus dem Haus, nach Köln »in Stellung«, wie es damals hieß. Kätchen, die jüngere, folgte ihr nach einiger Zeit. Dort in Köln lernten sie britische Soldaten, ihre späteren Männer, kennen. Die Lage zwischen England und Deutschland entspannte sich.

Die Engländer zogen ihre Truppen zurück. Anna hatte ihren Soldaten geheiratet und den ersten Sohn John im März 1934 in Köln zur Welt gebracht. Die Nachkriegszeit ging dem Ende zu und den beiden Besatzungssoldaten drohte die Entlassung aus der Armee. Gleichzeitig aber bot man ihnen an, mit staatlicher Hilfe nach Kanada überzusiedeln. Sie sollten den Weizengürtel vom 52. Breitengrad (Saskatoon) weiter nach Norden, über Rosthern hinaus bis nach Prince Albert (53. Breitengrad) vorantreiben. Eine schwierige Aufgabe, die Prärie in fruchtbares Land zu verwandeln.

Anna und ihr Mann Bert nahmen das Angebot an. Sie bauten nordwestlich von Rosthern eine Farm auf. Die Arbeit war hart und der Anfang sehr schwer. Anna war eine »Deutsche« in einem von Angelsachsen beherrschten Gebiet! Nach der ersten Auf-

Massey-family 1950 vor der Farm in Rosthern, Saskatoon/Kanada

 

bauphase kamen 1927 und 1928 zwei weitere Söhne dazu. Es wurde Hilfe gebraucht. Anna hatte eisern gespart und so viele Dollars zusammen, dass sie ihrer jüngsten Schwester Elisabeth die Überfahrt bezahlen konnte. Die Weltwirtschaftskrise 1929-30 zerstörte viele Hoffnungen und durchkreuzte auch die ehemaligen Regierungspläne. Der Vorstoß in den Norden Kanadas erlahmte und die Farm musste später aufgegeben werden. Annas Mann Bert bekam eine Anstellung in einer Krankenhausverwaltung in Saskatoon. Anna fand in einer Arztpraxis in Rosthern Arbeit. Sie kaufte dort ein kleines Häuschen, in dem sie bis zu ihrem Tod lebte. Sie wurde 90 Jahre alt. Elisabeth, mittlerweile in Kanada, gründete ihre eigene Familie. Sie hatte einen Sohn und zwei Töchter. Vic, der älteste, wurde 1933 geboren, Patricia 1940 und Barbara 1942. Elisabeth wurde 89 Jahre alt.

Kätchen folgte ihrem Engländer nach Nottingham (England). Sie hatte drei Töchter: Marie (geb. 1926), Hilda (geb. 1927) und Frances (geb. 1934). Die beiden Erstgeborenen wanderten später auch nach Kanada aus.

Anna aus Kanada und Kätchen aus England kamen kurz vor dem II. Weltkrieg zum ersten Mal wieder nach Gerolstein zu Besuch. Elisabeth, die jüngste der Schwestern, sah Gerolstein und Köln erst in den 60er Jahren wieder.

Kinder, Enkel und Urenkel der drei Schwestern meiner Mutter leben alle in Kanada. Sie alle sprechen zwar nicht mehr Deutsch, lieben aber die Heimat ihrer Mütter sehr. So wie sie uns besuchen, waren auch wir öfter in Kanada, diesem wunderschönen, großen Land, zusammen mit unseren drei Kindern.