Auswanderung im Zeichen des Kreuzes

Thomas Romes, Hillesheim / Nohn

Ein großes Basaltlavakreuz, am Wegesrand von Trierscheid hinab zum Nohner Bach, wird mit einer frühen Amerika-Auswanderung aus dem Bereich der Pfarrei Nohn in Verbindung gebracht. Die Inschrift nennt neben der Jahreszahl nur die Namen der Stifter und den Fertigungsort und gibt somit Anlass zu Fragen und Spekulationen: INRI 1785 ZU E(H)REN GOTTES MACHEN LASSEN NECKLAS MVELLER V. TRIESCHET MARCRIETA FRINGELS IN MAYEN. Nach der mündlichen Überlieferung waren die Stifter Emigranten, die dieses, nach Westen ausgerichtete Kreuz als Segenszeichen auf ihrem Weg in die neue Heimat aufrichten ließen.

Basaltkreuz von 1785

 

Die Aussagekraft des Kreuzes

Wer waren nun die Stifter des Kreuzes und waren sie tatsächlich Auswanderer, wie verlässlich ist die Überlieferung? Der Kultakt der Kreuzerrichtung, mit der Zueignung „ZU EHREN GOTTES" bedeutete im wörtlichen Sinn, dass der/die Stifter sich Gott verschrieben haben. Mehr wird hier durch den wortkargen Eifler nicht ausgesagt, es war auch nicht notwendig: Anliegen und Umstände waren den Beteiligten bekannt, es bedurfte keiner näheren Beschreibung. Von der Nachwelt erhofften sie sich vor allem ein Gebet, in Gedanken konnten die Auswanderer zu ihrem Kreuz aufschauen. Die büdhauerische Darstellung des Gekreuzigten hebt sich von anderen, eher bäuerlichderben, Darstellungen in ihrer Qualität deutlich ab. Die Errichtung eines zwei Meter hohen Kreuzes setzte relativen Wohlstand voraus, die Stifter gehörten allgemein der Oberschicht an. Die Überlieferung spricht jedoch von großer wirtschaftlicher Not. Die Darstellung, dass der Vater der genannten Marcrieta Fringels, als Steinmetz, dieses Kreuz gestiftet hätte, ist nicht belegbar und auch kein Beweis für die Armut der Familie, wie die Überlieferung glauben machen will.

Vielleicht hat man die akutere Erfahrung, die bittere Armut des 19. Jahrhunderts, in die Kreuzüberlieferung hinein projiziert. Man kann für den Bereich der Pfarrei Nohn, anhand der Quellen (Steuerlisten, Zehnt- u. Lagerbücher, u.a.), für das Ende des 18. Jahrhunderts, relativen Wohlstand feststellen. So sind neben hohem Viehbestand (1777 werden im kleinen Ort Trierscheid 280 Stück Hornvieh gezählt) lukrative Fuhrlöhne der Pferdehalter und Einnahmen durch Kohlebrennen belegt.

Waren die Stifter tatsächlich Auswanderer?

Die mündliche Tradition zu überprüfen stößt schon beim „Allerweltsnamen" Müller auf Schwierigkeiten, zudem ist der Vorname Nikolaus damals total „in" - Verwechslungsgefahr ist also gegeben. Belegbar ist, dass im 18. Jahrhundert eine Familie Peter Müller in Trierscheid ansässig ist, ein Sohn Nikolaus wird am

Taufbucheintrag vom 23. Februar 1746: Dorff: trierscheit Eltern: peeter Muller et uxor agnes/Kindt: Nicolaus 23febr./pätter: Nicolaus Baur ex baergscheit (?)/pättin: Catharina Müllers ex Nohn

23.2.1746 in Nohn getauft. Der Vater hat gute Beziehungen zur Obrigkeit: der Kelberger Schultheiß Nikolaus Heus ist 1749 Taufpate im Hause des Peter Müller. Die Vermutung liegt nahe, dass der junge Nikolaus nach Kelberg kommt, vielleicht in die Obhut des Schultheißen. Anno 1764 heiratet Nikolaus Müller die Anna Maria Krischer in

Im Lagerbuch der Pfarrei Nohn sind die Anniversaria, 16 Jahresmessen, der Kapelle in Trierscheidfestgehalten, die noch im Jahre 1818 bestanden. Sie nennen unter "3) Nicolaus Müller adolesceus ex Trierscheit", (^aufgewachsen in Trierscheid). Ein Hinweis, dass Müller als Kreuz- und Meßstifter nicht unvermögend war und seinen Geburtsort verlassen hat. Unter Nr. 2 ist sein Schwiegervater, der Gerichtsschöffe Theodor Krischer aufgeführt.

Kelberg. Die Braut ist die Tochter des Trierscheider Schöffen Theodor Krischer. Fünf Kinder lassen sich im Kelberger Taufbuch nachweisen. Auch der Schwiegervater gehört, als Schöffe, zur damaligen Oberschicht und war nicht unvermögend. Als dieser stirbt, wird das Erbe geteilt, Nikolaus' Schwager Johann Heinrich wird Priester und erhält nach dem Tod des Vaters ein ansehnliches Erbteil: „Anno 1775, 27. April haben Theodor Krischers Erben von Trierscheid erblich geteilt. Max Krischer und sein Schwager Nikolaus Müller von Kelberg haben (...) Joh.(Heinrich) Krischer ausbezahlt; 600 Reichstaler darnach hat er noch 2 Kühe und silbernes Tischzeug bekommen". Das hat der Zeitgenosse, der Trierscheider Winterlehrer Nikolaus Conrads festgehalten.

Schließlich findet sich ein Hinweis im Lagerbuch der Pfarrei Nohn: Nikolaus Müller und sein Schwiegervater werden als Stifter eines Jahrgedächtnisses genannt. Die Messstiftung ist Beleg für relativen Wohlstand und zeigt, dass er seinen Heimatort - wohin auch immer - verlassen hat, denn dort wird ausdrücklich „aufgewachsen in Trierscheid" vermerkt, ein Eintrag, der bei einem Ortsansässigen überflüssig gewesen wäre. Vielleicht nutzte er sein Erbteil zur Auswanderung - wir verlieren aber seine Spur.

So bleibt ungeklärt, ob es sich bei der genannten Marcrieta Fringels um seine zweite Ehefrau handelt, was man annehmen dürfte. Wir haben bereits gehört, dass sie die Tochter eines Mayener Steinmetzes gewesen sein soll. Aber auch diese Aussage müssen wir in Zweifel ziehen, der Name Fringels (u. ä. Schreibweisen) kann in Mayen nicht nachgewiesen werden. Mit der Inschrift „in Mayen" ist wohl lediglich der Ort der Kreuzherstellung gemeint und nicht der Wohn- oder Herkunftsort der Marcrieta, sonst lautete der Schriftzug wohl „von Mayen". Ein schriftlicher Beleg für die Emigration fehlt, 1801, als man einen Pfarrer für die neue Pfarrei Nohn wählt, findet sich in Trierscheid keine Familie Müller mehr. Die exakte Ausrichtung des Kreuzes nach Westen ist also, neben der mündlichen Überlieferung, wesentliches Indiz für eine Amerika-Auswanderung.

Eine Übersiedlung in die Neue Welt wäre ein Novum, 1785 war der Pulverdampf der Unabhängigkeitskriege gerade erst verraucht und die Verfassung der 12 Staaten noch nicht unterschrieben, zudem gab es zahlreiche Verordnungen des Trierer Kurfürsten, die die Abwanderung sanktionierten. Ausreisewillige zog es bevorzugt in das Bannat, sie erhielten - unter Umgehung der kurfürstlichen Erlasse -, ihre Passagierscheine in der Koblenzer Residenz des Grafen Franz Georg von Metternich.

Wenn wir nun der Überlieferung folgen wollen und tatsächlich frühe Amerika-Auswanderer annehmen, dann war ihr Beweggrund jedenfalls nicht die existentielle Armut, die im 19. Jahrhundert die Auswanderungswelle auslöste. Erhielt Müller einen Ruf nach Übersee? Letztlich bleiben die genauen Umstände und Beweggründe ungeklärt.

Das Kreuz voran

Im 19. Jahrhundert formiert sich die eigentliche Auswanderungswelle. Im Familienbuch der Pfarrei treffen wir immer wieder auf den lapidaren Eintrag „nach Amerika", der Kreis Adenau, insbesondere die Orte Senscheid und Dankerath (Pfarrei Nohn), Pomster, Bauler und Wiesemscheid werden als „ein geschlossener Fortwanderungsherd" bezeichnet, allein in den Jahren 1840-47 wanderten aus dem kleinen preußischen Kreis 1810 Menschen aus.

Das Kreuz, als Hoffnungszeichen des christlichen Glaubens, ist auch im 19. Jahrhundert Mittelpunkt der hiesigen Bevölkerung, die in wirtschaftliche Not geriet. So heißt es aus Hummel, das wie Nohn zum Bürgermeisteramt Aremberg gehörte: „Hummel, nahe dem Aremberg, gedachte, seine ganze Gerechtigkeit aufzulösen, seine Gemeindewälder an den Herzog von Aremberg zu verkaufen und nach Amerika auszuwandern, der Pfarrer vorauf mit Kreuz und Fahne", anders als in Allscheid, wurde diese Vorstellung jedoch nicht in die Tat umgesetzt.

Wiederaufnahme in die Gemeinde

Auch der Nohner Junggeselle Franz Schmitz rückt von seinem Ausreisevorhaben ab. Im Verhandlungsbuch der Gemeinde Nohn heißt es unter dem 29. Oktober 1868: „Der Gemeinderath beschließt, dass der Franz Schmitz, Taglöhner, geboren zu Nohn, ledigen Standes, welcher von dem Auswanderungsconsense zur Auswanderung nach Americca keinen Gebrauch gemacht hat, wieder als Mitglied der Gemeinde Nohn aufgenommen werden soll." Wahrscheinlich gab es für ihn eine reelle Beschäftigungsaussicht: 1868 schritt die Gemeinde zum Bau einer neuen Schule, im selben Jahr wurde in der Kirche ein Handlanger beim Aufbau der Orgel benötigt. - Die zeitliche Distanz macht eine genaue Betrachtung der Umstände, die zur jeweiligen Auswanderung führten, schwierig. Subjektiv und vage sind die Überlieferungen und hinter den knappen schriftlichen Belegen stehen einmalige, menschliche Schicksale. Das Vertrauen in Gott wurde jedoch im Zeichen des Kreuzes bezeugt und findet seine Bestätigung im offiziellen Motto der USA: „in God we trust".

Quellen:

Elke Lehmann-Brauns, Basaltlava-Kreuze der Eifel, Köln 1996

VG Adenau, Karl Egon Siepmann, 25 Jahre Verbandsgemeinde Adenau, Adenau 1995

Bistumsarchiv Trier, Kirchenbücher der Pfarreien Kelberg und Nohn

Nikolaus Conrats, handschriftliche Chronik des 18. Jh., Abschrift Verhandlungsbuch der Gemeinde Nohn, ab 1858