Sippentreffen im Land der Vorfahren

Felicitas Schulz, Hillesheim

Endlich war er da, der langersehnte Urlaub. Wir wollten erst kurzfristig darüber entscheiden, wie wir ihn gestalten. Und so frug ich meinen Mann: „Wohin fahren wir?", kamen jedoch überein, dass wir laufen und hier bleiben. Mit festem Schuhwerk und einer leichten Regenjacke im Rucksack begann der erste Urlaubstag bei annehmbaren Temperaturen. Wir wanderten auf stillen Waldwegen, zogen Tannenduft geschwängerte Luft ein, sahen einem Greifvogel nach und waren über unsere Entscheidung, in der Hauptferienzeit das Auto weitgehend stehen zulassen, sehr glücklich. Dörfer, eingebettet in Windschutzgürtel, die so vielen Lebewesen das Dasein erleichtern, sichteten wir in der Ferne. Bei einer Rast auf einer alten, einfach gezimmerten Holzbank scharrten wir wie Kinder mit den Absätzen auf dem Boden und erkannten darin Glimmer und Basaltkies. Unweit an einem bewaldeten Kegel lag ein verlassener Steinbruch, der vielen Generationen Arbeit und Brot gab. Und ein neben uns stehendes Balkenkreuz mit der noch erkennbaren Zahl 1660 versetzte uns in die Zeit nach dem 30-jährigen Krieg, wo die Eifel, geprägt durch Überfälle, Brände und der letzten großen Pestepidemie, viel erdulden musste. Farbenprächtige Pflanzen wuchsen ringsumher und lilablühende Berg-Flockenblumen, leuchtend gelbblühender gewöhnlicher Hornklee und Wiesen-Knäuelgras pflückte ich spontan und legte sie an diesem sakralen Denkmal nieder. Unsere beschauliche Zweisamkeit wurde laut unterbrochen mit einem Ah und Oh und schon umringten uns Wanderer, die fröhlich von ihrem Urlaub in der noch ziemlich naturbelassenen Landschaft mit den grünen Wäldern und den vielen Vulkanen schwärmten. Wir hörten uns dies interessiert an und später auf die Frage, woher wir denn kämen, waren sie nicht verwundert, dass wir im Eifelland, quasi vor der Haustüre, unseren Urlaub verbringen. Sippentreffen war der Grund ihres Aufenthaltes in einem Landgasthof gewesen. Einige hatten sich anschließend rechtzeitig um eine Ferienwohnung bemüht, um die Heimat ihrer Vorfahren zu erkunden. Der Ururgroßvater war im 19. Jahrhundert ins aufstrebende und Arbeit versprechende Ruhrgebiet gezogen. Arbeitete unter Tage in einem Steinkohlenwerk, kam das Jahr darauf zur Kirmes in sein stilles, armes Dorf und heiratete ein Nachbarsmädchen. Tags darauf verabschiedeten sie sich, liefen über zwei Stunden zur nächsten Bahnstation, um wieder nach Oberhausen zu gelangen. Die Hungersnot nach dem Zweiten Weltkrieg ließ ihre Nachkommen an die Eifeler Verwandtschaft denken. Sie kamen zum Heuen, halfen bei der Getreide- und Kartoffelernte, feierten Hochzeiten und Kommunionfeste mit und fuhren niemals ohne etwas zurück wie Butter, Eier, Mehl und auch manchmal Speck in das ausgebombte und von Schornsteinen qualmende Ruhrgebiet. Die Nachkommen des mutigen Auswandererpärchens von anno dazumal kannten sich in der Eifel, dem „Land ihrer Väter", gut aus. Sie hatten Prospektmaterial von den einzelnen Verbandsgemeinden und vor allem Wanderkarten vom Eifelverein, der in dem Jahr gegründet wurde, als ihr Ururgroßvater 1888 die Eifel verließ. Und schon sagte ein Herr neben mir: „Denn Eifel hieß, was rauh und kalt, was öd und arm, von Sitten alt, was nicht geweckt und was nicht fein, drum wollt niemand Eifeler sein". Kurzentschlossen wanderten wir mit ihnen zu einem Aussichtspunkt, den sie noch nicht kannten. In fast 600 m Höhe erblickten wir an diesem Tage bei klarem Wetter eine Landschaft von erhabener Schönheit. Die Kyll, die wie kein anderer Eifelbach in bunter Folge verschiedene geologische Landschaften durchfließt, ließ große Begeisterung über den reizvollen Ausblick aufkommen. Klar zu erkennen der Aremberg, wo einst „so kühn und stolz" eine mächtige Burg stand, daneben die Hohe Acht ( 747 m hoch ) und die Nürburg mit ihrem weit ins Land ragenden Bergfried. Die Ausflugsziele lagen wie Perlen aneinandergereiht vor uns. Unweit Trockenmaare, gut ausgeschilderte geologische Pfade und Routen, stille Klöster mit ihrer langen Geschichte und „wir als vergängliche Wesen", so stellte eine betagte, rüstige Dame fest. Bei der Verabschiedung von unseren Mitwanderern erklang im Sippenchor: „Nicht nur ist's länger keine Schand zu stammen aus dem Eifelland; so große Ehre ist's vielmehr, dass selbst wir nun gern Eifeler war' n". Am Ende unseres Urlaubs verzeichneten wir eine Fülle von wunderschönen Erlebnistagen und stellten staunend fest, wie viele Menschen wir trafen, die in unterschiedlichen Dialekten vom Eifeler Urlaubsland schwärmten.