Auswanderung nach Südafrika während der Apartheidpolitik, 1960

Anita Becker, D a u n

Erinnerung an unsere Hochzeit

Am 02.02.2002 musste ich bei der Hochzeit in den Niederlanden vor dem Fernseher ein paar Tränen vergießen. War es doch bei meiner Hochzeit 1960 ähnlich, nur kein solcher Pomp: Die Schwiegereltern aus Südafrika konnten nicht dabei sein. Vor mir stand die Auswanderung nach Südafrika. Der Pfarrer hat in seiner Ansprache von einem Abenteuer gesprochen, das auf mich zukäme. Aber nichts und niemand hätte mich davon abbringen können, mit meinem Mann, den ich 1959 bei einer Reise in Paris kennen gelernt hatte, nach Kapstadt zu ziehen. Wie wenig ahnte ich, was auf mich zukam, als ich meinem Mann zustimmte, auch etwas für die Befreiung der Schwarzen dort zu tun. Einfach war die Auswanderung für mich damals nicht. Bob, mein Mann, war als niederländischer Staatsbürger »Ausländer« in Südafrika. Er hatte zwar ein Rückreisevisum, musste jetzt aber für mich eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Am einfachsten ging das nach der Heirat. Da wir uns keine Hochzeitsreise erlauben konnten, nutzten wir die Gelegenheit, über Paris, »die Stadt unserer Liebe«, nach Südafrika zu reisen. An der Seine wollten wir wohnen und arbeiten, bis mein Visum genehmigt würde. Eins hatten wir nicht gewusst: Ohne Arbeitserlaubnis gab es keine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Ich wollte die französische Sprache besser lernen. Arbeiten war nicht erlaubt, Geld für eine Schule hatten wir nicht. In der Zeit lernte ich aber Esperanto, was ich schon länger wollte, mit Bobs Selbstlernbuch in englischer Sprache. Wir hätten schneller nach Südafrika reisen können, wenn das Visum für mich nur gekommen wäre. Was ich. nicht ahnte, war, dass Bob den Behörden schon als Apartheidgegner bekannt war. So mussten wir sechs Wochen ohne Einkommen in Paris auf das Visum warten. Fast täglich fragten wir bei der Botschaft nach, ohne Erfolg. Bob befürchtete schon, dass er nicht mehr zurück dürfte.

Endlich konnten wir auswandern

Im Juni 1960 ging es mit der Bahn nach Lourdes, wo wir zwei Tage blieben, weiter nach Andorra, Barcelona, Madrid, Cadiz. Hier wartete ein spanisches Schiff auf uns, mit dem wir nach einem Zwischenstopp in Teneriffa nach Las Palmas fuhren. Mit dem riesigen Schiff »Capetown Castle« fuhren wir fast zwei Wochen lang bis Kapstadt. Meine Schwiegereltern und Schwägerin mit Familie erwarteten uns im Hafen und schlössen mich gleich in ihre Arme. Inzwischen hatte sich auch unser erstes Kind angemeldet.

Der Hausstand in einem fremden Land

Obwohl ich damals nicht holländisch und meine Schwiegermutter nicht deutsch sprechen konnte, haben wir uns wunderbar verstanden. Jede sprach langsam und wir haben uns das Leben so angenehm wie möglich gestaltet. Pedro, unser erster Sohn, wurde im Haus seiner Großeltern geboren. Drei Monate später fanden wir eine Haushälfte und zogen von Kapstadt nach Parow, einem Vorort. Die Familie war aber immer sehr nahe. Ich hatte die besten Schwiegereltern der Welt! (Obwohl sie während des 2. Weltkrieges in den Niederlanden unter den Deutschen litten.) Bis jetzt verlief unser Leben wahrscheinlich genauso wie das anderer junger Familien. Eine Änderung trat ein, nachdem ich 1961 für sechs Wochen nach Deutschland geflogen war. Bob nutzte diese Zeit, sich wieder politisch zu orientieren.

Neunzehn Monate nach Pedro wurde Andre geboren. Er war fünf Tage alt, als wir 1962 nach Paarl, etwa 50 km von Kapstadt, zogen. In den Bergen genossen wir eine schöne Zeit. Unser Heim wurde komfortabler. Aber Bob's Wunsch war es, dass die Wohnungen der Schwarzen und Farbigen auch gemütlicher würden. Dabei vergaß er oft, dass er sich (und seine Familie) in Gefahr brachte.

Die ersten Schwierigkeiten

1962 erlebten wir den ersten Schwarzenaufstand in Paarl. Im Juni 1963 sammelte Bob etwa 250 Unterschriften für eine Petition. Frau Matsekele Mapheele sollte ihren Mann verlassen und in ein »Homeland« für Schwarze ziehen. Sie war illegal ihrem Mann zur Arbeit gefolgt. Bob wollte ihr helfen und etwas für bessere Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß tun. Das schlechte Verhältnis wurde auch von Richter Snyman kritisiert, als er die Aussagen zu dem Aufstand von 1962, bei dem zwei weiße Bekannte von uns ermordet wurden, verfolgte.

Zwischen 1963 und 1966 wurde Bob mehrmals festgenommen oder von Buren auf deren Grundstück überfallen, als er Vorträge für die Schwarzen hielt. Er wurde auch von einigen Schwarzen verraten. Unser Haus und Telefon wurden überwacht. Wir sahen die Spitzel oft im Haus gegenüber im Dachfenster und wurden mit dem Auto verfolgt, wenn wir unterwegs waren. Unsere Besucher berichteten uns, dass sie befragt wurden, sobald sie nach Hause kamen. Die Kinder der Nachbarn durften nicht mit unseren Kindern spielen. Bob hatte KUPUGANI, einen Lebensmittelvertrieb besonders gesunder und preiswerter Kost, ehrenamtlich für unsere Gegend übernommen. In unserer Garage lagerten die Lebensmittel und der Apfelsaft für Schwarze und Farbige. Der Apfelsaft war in Weinflaschen abgefüllt, um so die Farmarbeiter vom Alkohol wegzubringen. KUPUGANI wurde später von einem anglikanischen Pfarrer, der mit demselben Schiff wie wir nach Südafrika gekommen war, weitergeführt. Ab jener Zeit hatte ich jede Nacht Asthmaanfälle. Den Grund konnte kein Arzt finden. Die erste Nacht ohne Anfall verbrachte ich nach vier Jahren, als Bob von der Polizei abgeholt wurde. Am 2. November 1966 um 23 Uhr klopfte es an der Tür. Wir schliefen bereits. Ich hatte Angst, obwohl die Stimme auf meine Frage antwortete, es sei die Polizei (dein Freund und Helfer!!). Nachdem ich Bob geweckt hatte, öffnete er die Tür. Er durfte keinen Schritt mehr ohne Polizeibegleitung gehen. Auch ich durfte mich nur im Beisein der Polizei mit ihm unterhalten. Ich wollte ihm eine Schlaftablette geben, damit er in der Polizeizelle schlafen könnte. Das wurde nicht erlaubt. Unter Polizeiaufsicht konnte er sich ankleiden und von den schlafenden Kindern verabschieden. Die Polizei hatte ein Schreiben, vom damaligen Justizminister unterzeichnet, in dem Bob als unerwünschter Ausländer das Land innerhalb 24 Stunden verlassen müsse. In dieser Nacht wartete ich auf den Asthmaanfall. Er kam aber nicht!! Am nächsten Morgen rief ich einen Rechtsanwalt und die Familie an. Da der Rechtsanwalt Briefe an die Regierung schickte, die nach dem Grund fragten und um Aufschub baten, musste Bob in den Polizeizellen bleiben. Wir besuchten ihn täglich. Die Zelle bestand aus einem Raum mit Betonfußboden und einer Matratze zum Schlafen. Zum Glück durfte er allein sein und wurde nicht mit Verbrechern zusammengebracht. Nach zehn Tagen hatte er genug. Die Regierung ließ sich nicht erweichen und antwortete nicht auf die Frage nach dem Grund. So wurde Bob zehn Tage nach seiner Festnahme nach Pretoria gebracht und von dort ins Flugzeug nach Rom gesetzt. Danach war er frei. Für die Fahrt nach Pretoria (etwa 1.200 km) konnten wir uns abends um 22 Uhr am Bahnhof von ihm verabschieden. Zwei Polizisten begleiteten ihn. Natürlich begriffen die Kinder nicht, dass das ein Abschied für lange Zeit sein sollte. Meine Schwiegereltern und ich taten so, als ob es nur ein kleiner Urlaub sei. Aber auch ich hatte nicht geahnt, dass wir uns erst mehr als ein Jahr später in Sambia wiedersehen würden. Einer der begleitenden Polizisten, der Ehemann meiner Kollegin, übermittelte mir nach seiner Rückkehr von Pretoria Grüße von Bob.

Bob wurde bei seiner Ankunft in den Niederlanden wie ein Held gefeiert. Das Fernsehen berichtete über ihn. Die Behörden halfen ihm mit Winterkleidung. Aber Arbeit fand er nicht. Eine Wohnung konnte er sich nicht leisten. So wohnte er vorübergehend in der Jugendherberge. Geld schicken war nicht drin. Ich musste den Lebensunterhalt für unsere Kinder und mich verdienen. Ich versuchte immer noch, eine Antwort der Regierung zu erhalten, um etwas für die Rückkehr Bobs unternehmen zu können. Aber weil kein Grund für die Deportation angegeben wurde, konnte er nicht versprechen, dass er „das" nicht wieder tun würde. Die Regierung antwortete nur, der Grund der Deportation sei nicht von öffentlichem Interesse. 1967 zog Bob nach Sambia. In Ndola, 9 km von der Grenze zum Kongo, hatte er Arbeit gefunden. In den Schulferien sind wir mit Flugzeug und Zug über die Viktoriafälle fast 3.000 km zu Besuch dorthin gereist. Bob freute sich, als er uns in Lusaka abholte. Von dort ging es mit dem Auto weiter nach Ndola. In dieser Zeit hat Professor Christiaan Barnard die erste Herzverpflanzung in Kapstadt durchgeführt. Das änderte aber nichts an der politischen Situation.

Die Kinder und ich waren nur ein paar Tage in Südafrika zurück, als ich Besuch bei meiner Arbeitsstelle erhielt:

Polizei in Zivil. Ich sollte meinen Pass zeigen. Den hatte ich aber nicht bei mir. So wurde ich von den beiden Herren in die Wohnung begleitet. Als ich nach dem Grund fragte, erhielt ich die Antwort, dass nicht ich, sondern die Polizisten die Fragen stellten! Alle Informationen über meinen Aufenthalt in Sambia wurden notiert und ich wurde gefragt, welche Zukunftspläne ich hätte. Mit meiner Antwort, ich wolle bald mit den Kindern nach Deutschland ziehen, waren sie zufrieden.

Das neue Leben in Sambia

Im Dezember 1967 habe ich alles zusammengepackt, verschenkt oder verkauft und bin mit den Kindern und ein paar Koffern zu meinem Mann nach Ndola gezogen. Dort war dann doch nicht alles so, wie ich mir ein Familienleben vorstellte. Bob fuhr fast täglich in den Kongo. Es gab auch dort Probleme mit den Passbehörden. Bob wollte ganz in den Kongo ziehen. Mein Asthma begann wieder. Eines Tages packte ich die Kinder ins Auto, einen Benzinkanister dazu, ein paar persönliche Dinge. Und ab ging es Richtung Süden. So einfach sich das jetzt anhört war das nicht. Erst musste ich Benzin literweise sammeln; jede Woche einen Liter. Endlich waren 5 Liter im Kanister. Man fuhr zu der Zeit nur in Autokarawanen, weil Guerillas überall ihr Unwesen trieben. Menschen konnten nicht einfach ausreisen, weil zwischen Sambia und Simbabwe Feindschaft herrschte. Aber nur über diese Grenze konnte ich nach Südafrika kommen. Die Grenzer mit Gewehren (Sambia/Simbabwe) fragten nach den Papieren. Dann wollten sie wissen, wie viel Benzin wir dabei hätten. Benzinausfuhr von Sambia nach Simbabwe und umgekehrt war verboten. Ich wurde nervös, hörte ich doch viele Geschichten, dass das Benzin an den Grenzen weggenommen würde. Und bis Südafrika würde ein Tank nicht reichen. Aber siehe da, der Grenzbeamte nahm den Benzinkanister und füllte den Inhalt in den Tank meines Autos. Mit einem freundlichen Lächeln verabschiedete er sich, genau wie wir.

Wieder in Kapstadt - und spätere »Auswanderung« nach Deutschland, 1976

Als wir nach mehreren Tagen in Kapstadt ankamen, schloss uns die Schwiegerfamilie wieder in die Arme. Bis 1976 arbeitete ich in Kapstadt. Im Juli kamen meine Söhne und ich von einem Besuch der Kalahariwüste zurück. Wir fanden einen Brief vor, dass meine Bewerbung als Lehrerin in Deutschland, vor fast einem Jahr, erfolgreich war. Jetzt ging alles drunter und drüber. Eigentlich wollte ich gar nicht so schnell weg. Aber nach einem Gespräch mit der Schwiegerfamilie habe ich in Tübingen angerufen und zugesagt. Haus, Auto, Möbel, alles musste verkauft oder wieder verschenkt werden. Jetzt wanderten wir nach Deutschland aus! Was wir hier als »Heimkehrer« alles erlebten, war nicht weniger unerträglich! Bob freute sich jedoch über unseren Umzug nach Deutschland (inzwischen waren wir geschieden und er war wieder verheiratet), weil dadurch unsere Söhne nicht zum südafrikanischen Militär und evtl. gegen Farbige oder Schwarze kämpfen müssten. Auch waren wir näher bei ihm, der zwischendurch zwar in den Kongo gezogen war, aber nun in den Niederlanden wohnte.