Vom Steffelberg rollt das Feuerrad

Werner Grasediek, Steffeln

Am Abend des ersten Fastensonntages leuchten zahlreiche Feuer von den Bergkuppen und Anhohen der Westeifel Zeugnisse dafür, dass der alte Brauch des „Burg-" oder „Hutten"-Brennens am so genannten „Burgsonndich" im Kreis Bitburg-Prüm noch eifrig gepflegt wird Zwar war dieser Brauch früher weiter verbreitet und ist jetzt auf ein Kerngebiet westlich der Kyll beschrankt, doch übt man ihn noch m rund 100 westeifeler Dorfern, außerdem m über 80 luxemburgischen Orten Noch ungeklärt ist, weshalb die Fastenfeuer nördlich einer Linie Vianden-Kyllburg „Burgfeuer" heißen, südlich davon dagegen „Huttenfeuer' Als Hütte oder Burg wird der Holz- und Reisigstoß bezeichnet, über dem ein mit Stroh umwickeltes Holzkreuz aufgerichtet ist. Der Burgsonntag heißt auch „Schoof- oder Scheefsonndich" nach den Strohbündeln („Scheef oder Schoof')'.

„Scheefsonndich" könnte allerdings auch von einer völlig anderen Form des Fastenfeuers herrühren, dem so genannten „Räderschieben" oder „Scheewen", das nur noch in einer Handvoll Dörfer in der zentralen Eifel zwischen Daun und Gerolstein bekannt ist: In Hohenfels, Betteldorf, (Daun-)Waldkönigen, Scheuern, Brück, Neroth und Walsdorfwerden brennende Räder von den Berghängen zu Tal gerollt'. Nach mehr als einem halben Jahrhundert Unterbrechung kam im vergangenen Jahr Steffeln wieder hinzu. Zuletzt wurde 1950 das hier so genannte „Freudenrad" vom Steffelberg hinuntergerollt. Die Initiative zur Wiederbelebung des alten Brauches ging von dem Vorsitzenden der Ortsgruppe des Eifelvereins, Karl Harings, aus, der die Steffeler Junggesellen dafür gewinnen konnte - schließlich sind bei diesem Brauch traditionell die Junggesellen die entscheidenden Akteure. Weil das erforderliche Wissen, wie etwa das Stroh um das Wagenrad gebunden werden musste, verloren gegangen war, holte man sich zunächst einmal Anschauungsunterricht im Nachbarort Scheuern, wo dieser Brauch seit jeher gepflegt wird.

 

Dann war auch noch das hölzerne Wagenrad zu beschaffen. Dieses hatte früher das Ehepaar zu stellen, das zuletzt im Dorf geheiratet hatte. Leicht vorstellbar ist, dass man ein hölzernes Wagenoder Karrenrad zum Verbrennen nicht immer zur Verfügung hatte. Also ging man zum Stellmachermeister im Dorf, übrigens hieß dieser Nikolaus Harings und war der Vater von Karl Harings, und bat ihn um ein altes Rad. Da es nun heute noch viel schwieriger ist, an ein Holzrad zu gelangen - zumal wenn man es verbrennen möchte - fertigte Karl Harings, gelernter Schmied, mit Hilfe einiger Junggesellen ein Rad an, das - Zugeständnis an die Moderne - aus Eisen und damit wieder verwendbar ist. Zwar konnten die Junggesellen vor fünfzig Jahren das Freudenrad noch unbehindert durch Häuser und Zäune über die Wiesen zu Tal rollen, aber auch damals ließ man das Rad nicht einfach unkontrolliert den Berghang hinunterlaufen. Es wurde vielmehr in einem Halbkreis durch das Tieferbachtal östlich um das Dorf herumgeführt, bis man östlich der Pfarrkirche wieder auf der gegenüber liegenden Anhöhe angelangt war. Zum Schluss wurde das brennende Rad in die „Steinkaul", den alten Steinbruch unterhalb des Kirchenberges, geworfen. Um das mannshohe Rad führen zu können, war durch die Radnabe eine Stange gesteckt, die rechts und links von je zwei starken Männern gehalten wurde. Früher hatte man dafür einen frisch gehauenen grünen „Keffer" genommen, nun war es eine lange Eisenstange. Am Nachmittag des hier so genannten „Freudensonntages" hatten die Junggesellen die Speichen des Rades dick mit Stroh umwickelt. Eine eiserne Matte hielt das Stroh zusammen und bildete die Lauffläche. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit stellten sie das Rad auf einer Wiese am Hang des Steffelberges oberhalb des Dorfes auf.

Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, als pünktlich um 19 Uhr die Junggesellen mit Fackeln das Stroh anzündeten; dazu intonierte die Steffeler Blaskapelle „Glück auf der Steiger kommt., und brennt ein helles Licht in der Nacht". Es war ein beeindruckendes Schauspiel in der sternklaren Vorfrühlingsnacht, als vier Junggesellen das funkensprühende Rad zu Tal rollten. Viele begeisterte Zuschauer begleiteten das Rad auf seiner Strecke über die Straße „Am Steffelberg" und über die Umgehungsstraße bis zum Sportplatz am östlichen Dorfrand. Zuschauer wie Akteure umringten dort das langsam ausbrennende Rad, der Musikverein spielte noch eine Weile und für die Bewirtung an diesem schönen Vorfrühlingsabend sorgte der Junggesellenverein. Die große Resonanz war ein schöner Erfolg für Eifelverein und Junggesellenverein.

Was hat es mit diesem altertümlich anmutenden Brauch und seiner spektakulären Form auf sich, wie ist der Termin zu erklären? Welche Bedeutung haben das Feuer oder das brennende Rad? Die regelmäßig zu bestimmten Terminen im Freien entzündeten Feuer werden von den Volkskundlern als Jahresfeuer bezeichnet. Neben dem am „Burgsonndich" abgebrannten Fastenfeuer sind noch bekannt Maifeuer, Osterfeuer, Johannisfeuer und Martinsfeuer3.

Wie bei vielen Bräuchen liegen auch hier Jahrtausende alte mythologische Vorstellungen zu Grunde, die zum Teil christlich überformt oder umgedeutet wurden. Nach Auffassung des aus der Südeifel, aus Niederweis, stammenden Volkskundlers Matthias Zender war das Fastenfeuer bereits vor dem 11. Jahrhundert verbreitet. Das Abbrennen des Jahresfeuers am ersten Fastensonntag deute nämlich auf den ursprünglichen Fastnachtstermin hin. Denn erst seit dem 11. Jahrhundert beginnen die Fasten mit Aschermittwoch und nicht mehr wie vordem am Tag nach Invocavit, der liturgischen Bezeichnung des ersten Fastensonntages. Der Brauch folge damit einem christlichen Termin; von den Erscheinungsformen her seien die Ursprünge im antiken Jahresanfangsfeuer (1. März) oder in einem vorchristlichen Frühlingsfeuer zu suchen4. Die Deutung des Feuers geht in zwei Richtungen: In den Flammen werden die winterlichen Mächte, die man als Dämonen ansah, verbrannt. Mit dem Unschädlichmachen des Bösen wird damit dem Guten, dem Frühling, die Bahn freigemacht'. Die Vorstellung von dem brennenden Rad als Abbild der Sonne, deren wachsende Kraft magisch beeinflusst werden soll, drängt sich geradezu auf. Auf ihrer rasenden Fahrt zu Tal treibt sie den Winter aus. Hierzu passt die Beobachtung, dass das Freudenrad vom Hang des westlich des Dorfes gelegenen Steffelberges, hinter dem die Sonne untergeht, herabgerollt wird, um dann in einem Bogen östlich um den Ort herumgeführt zu werden - genau entgegengesetzt zum Lauf der Sonne. Liegt dem die Vorstellung zugrunde, die Sonne symbolisch aus ihrem Untergangsort zurückzuholen? Zum Freudenrad-Brauch in Steffeln gehörte früher auch das Verbrennen von „Glucks unn Hökele": Das waren zu Glucke und Küken geformte Strohbündel, die im Steffel-berg an Bäume gehängt worden waren.

In vorchristlicher Zeit opferte man Hühner und Hähne, da sie als dämonenvertreibend galten. Zudem wurden Hahn und Huhn als Wetterpropheten angesehen7. Allerdings erscheint auch eine andere Deutung denkbar: Glucke und Küken als Symbole der Fruchtbarkeit. Mit der Vertreibung des Winters verbindet sich der Gedanke an den Segen für die Felder. Den künftigen Ernteertrag deutete man aus weiteren Zeichen: Ein klarer Himmel mit vielen Sternen ließ auf zahlreiche Ähren hoffen. Man achtete auf den Funkenflug und die Richtung, aus der der Wind wehte, wenn das Rad zu Tal rollte.

Noch eine Bemerkung zu den Akteuren: Obwohl vom Eifelverein der Anstoß zur Wiederbelebung des Brauches ausging, sind in Steffeln wie auch sonst in der Eifel (meist) die Dorfjugend - in unserem Fall die Junggesellen - Träger des hier vorgestellten Brauches; im Gegensatz zu den auf deutscher Seite wenig formalisierten Gruppen organisieren in Luxemburg Feuerwehren, Vereine, Pfadfinder und Jugendklubs das Fastenfeuer8.

Zum Fastenfeuer-Brauchtum gehört, dass Eier gesammelt und anschließend im Haus des jüngst verheirateten Ehepaares gebacken und verzehrt werden. Möglicherweise war dies auch in Steffeln einmal so und der Umzug der Junggesellen am Fastnachtsdienstag durch die Häuser des Dorfes, bei dem Eier gesammelt werden, um sie am Abend in der Gastwirtschaft Sünnen gekocht und gebacken zu verzehren, könnte ein Relikt dieses Brauchtums sein. Beklagt wird heute vielfach, dass das Brauchtum im Rückgang begriffen sei. Dabei wird übersehen, dass auch Bräuche dem gesellschaftlichen Wandel unterliegen1'. In Bräuchen manifestieren sich Individualität und Authentizität von Region und Dorf. Die Kontinuität eines Brauches ist dabei weder entscheidend noch Voraussetzung: Bräuche leben von dem Engagement ihrer Träger und ihrer Akzeptanz durch die Gesellschaft. Dies wird sich an dem revitalisierten Brauch des Freudenrades zeigen, der als bewusster Rückgriff auf althergebrachtes Brauchtum -entkleidet von magisch-mythischen Vorstellungen - die dörfliche Eigenart pointiert.

1 Eine detaillierte Beschreibung findet sich bei Wrede, A.: Eifeler Volkskunde. 4. Aufl. Bonn 1989, S. 297-300; Zender, M.: Das Brauchtum als Zeugnis für Wesensart und innere Gliederung des Mosellandes. In: Zeitschrift für Volkskunde 54, 1958, S. 12-43, hier ins-bes. S. 17-22.; eine Übersicht über die volkskundliche Forschung gibt Schwedt, H.; Jahresfeuer, Kirchweih und Schützenfest. Köln 1989 (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande: Beih. XI/3-XI/4), S. 13-17; ders.: Bräuche zwischen Saar und Sieg: zum Wandel der Festkultur in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Mainz 1989 (Studien zur Volkskultur in Rheinland-Pfalz 5), S. 93-105.

2 Vgl. Schwedt, H.: Bräuche zwischen Saar und Sieg, S. 100f.; Redagne, T.: Das Feuerrad treibt den Winter aus. In: Die Eifel 61 (1966), S. 104. In seiner Sammlung von Bräuchen und Sitten der Eifel führt Johann Hubert Schmilz Mitte des 19. Jahrhunderts als Orte, in denen Feuerräder gerollt werden, Brück, Basberg, Walsdorf, Waldkönigen (alle Krs. Daun), Niedersgegen, Speicher (beide Krs. Bitburg) sowie Steffeln auf. Schmilz, J.H. (Hg.): Sitten und Bräuche, Lieder, Sprüchwörter und Rätsel des Eifler Volkes: nebst einem Idiotikon. Trier 1856 (Sitten und Sagen, Lieder, Sprüchwörter und Räthsel des Eifler Volkses 1), zit. nach Dettmann, R./We-ber, M.: Eifeler Bräuche im Jahreskreis und Lebenslauf. Köln 1981, S. 38; Dettmann/Weber geben eine anschauliche Darstellung des Brauches, S. 34-39. vgl. Alois Mayer „Scheef'-Sonntag - hat nichls mit „Schieben" zu lun, ein Beitrag zum Eifeler Dialekt, in DIE EIFEL, 2,1992, S. 88; ders. „Schiefer-Sonntag- Verbrauchter Brauch", in: DIE EIFEL, Heft 1, 1998

3 vgl. Schwedt, H.: Jahresfeuer, Kirchweih und Schützenfest, S. 3-12.

4 Zender, M.: In: Volkskunde: eine Einführung, hg. v. Wiegelmann, G./Zender, M./Heilfurth, G. Berlin 1977, S. 204. ders.: Das Brauchtum als Zeugnis für Wesensart und innere Gliederung des Mosellandes (wie Anm. 1), S. 17f.

5 Eine knappe Übersicht und Hinweise auf ältere Literatur gibt Schwedt, H.: Jahresfeuer, Kirchweih und Schützenfest, S. 4

6 Sartori: Stichwort Fastnacht. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. v. H. Bächtold-Stäubli, 10 Bde., Berlin 1927-1942, hier Bd. II, Sp. 1254

7 Güntert: Stichwort Huhn. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (wie Anm. 6), Bd. IV, Sp. 448 u. 453

8 vgl. Schwedt, H.: Jahresfeuer, Kirchweih und Schützenfest (wie Anm. 1), S. 16f.

9 vgl. Schwedt, H.: Jahresfeuer, Kirchweih und Schützenfest (wie Anm. 1), S. 4-7, 28f.