November

Gisela Bender, Deudesfeld

Als Kind mochte ich ihn nicht, diesen Novembermonat. Die Tage kamen mir alle grau und trübe vor, und eine gewisse Scheu vor all diesen Gedenktagen machte ihn mir auch nicht sympathischer. Die Besonderheit dieses Monats hat sich im Laufe der Jahre wohl nicht verändert, eher ich, glaube ich doch an eine eigene erworbene innere Reife. Es mag wohl vielen so sein wie mir. Als erstes sehe ich in ihm eine erste Verschnaufpause von der Hetze des Sommers und dem ewigen Zeitdruck einer Ernteperiode. In der Tat bleibt dieser Monat jedes Jahr aufs neue an mir haften. Haben wir endlich die Ruhe, an unsere Verstorbenen zu denken und in gewisser Weise vielleicht auch an eigene Wünsche, die das ganze Jahr keine Zeit zur Beachtung fanden? Ob ich jetzt dazu komme, den längst fälligen Krankenbesuch zu machen? Den ganzen Sommer habe ich einen Besuch bei lieben Freunden aufgeschoben, mit der Hoffnung - aufgeschoben sei nicht aufgehoben.

Seit letztem Winter bin ich nicht mehr dazu gekommen einmal ein gutes Buch zu lesen. Jedes mal, wenn ich mir dazu eine ruhige Stunde ergattert hatte, fielen mir die Augen zu, oder ich konnte den so eben gelesenen Text geistig nicht mehr aufnehmen; weil meine Gedanken anderswo gebunden waren. Ganz gerne möchte ich deshalb nur mal so vor mich her träumen, um auch geistig zu entspannen. "Der Denkende erlebt sein Leben, an dem Gedankenlosen zieht es vorbei." Dass es dafür zu kurz und auch zu kostbar ist, bedarf keiner Frage. Zu keiner Zeit des Jahres werden wir mehr an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert, wie in diesem Monat. Diesem Schöpfungsgebot unterwirft sich die ganze Natur; nur wir Menschen mucken immer wieder auf.

Unsere Wünsche haben mittlerweile eine beängstigende Dimension angenommen. Die Umgangsformen zwischen uns haben weder einen christlichen Zug, noch dürften sie an die Grundtugenden erinnern, wie Höflichkeit, Ehrlichkeit, Brüderlichkeit und andere.

Das Gebot der Stunde heißt: "Jeder ist sich selbst der Nächste!" Damit engen wir unseren Lebensraum ein, und auf Dauer werden wir ihn ganz verlieren. Aber meistens belehrt erst der Verlust uns über den Wert der Dinge.