Heimatschwur der Eifel

Eine Kundgebung am Weinfelder Maar 1933

Winfrid Blum, Bengel

Die Überschrift, umgestellt und ergänzt, könnte lauten: »1933 - und die Auswirkungen auf eine Kundgebung am Weinfelder Maar«. Das Jahr 2003 wird manchen Hinweis auf die Übernahme der staatlichen Macht durch die Nationalsozialisten 70 Jahre vorher bringen; hier soll an einem wirklich kleinen Ereignis, einem Splitter des Geschehens nur, die spürbare Veränderung des politischen Umfelds seit dem 30. Januar 1933 deutlich gemacht werden. Im Eifelvereinsblatt »Die Eifel« 1933 ist der diesen Beitrag auslösende Artikel auf Seite 105 f. veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass offenbar ein »Landfremder« eine Schankstätte am Zwei-Seen-Blick zu errichten gedachte, von wo aus man den in der Tat einmaligen Blick auf Weinfelder und Schalkenmehrener Maar genießen kann. Aber da sei Gott vor -sprich: Eifelverein und Eifelvolk! Und nun kam es zum »Heimatschwur der Eifel« am 23. 7. 1933!

»Eifelverein und Eifelvolk« versammelten sich »am heiligen Kratersee«.... Die Sprache verrät viel: sie verdeckt und überhöht entschlossen echte innere Bewegung und Erregung. Wir wissen heute, es war Verrat und Missbrauch der ehemals ausdrucksstarken, bewegenden und erhöhenden Wörter, insofern schon ein (noch relativ harmloser) Vorbote der »LTI« = Lingua Tertii Imperii = Sprache des dritten Reichs (Victor Klemperer, LTI lautet auch der Titel seines Buches, 15. Aufl. 1996).

Der Vorsitzende des Eifelvereins formte Sätze »vulkanischer Härte«, sein großer Verein stellt sich den Heimatfreunden von Daun und Schalkenmehren zur Seite. Man gedachte auch der großen Worte Hitlers in Potsdam, lobte die deutschen Männer und Frauen, die sich »auflehnen gegen die Hand, die an dieses Gotteswerk rührt«! Die Wirkung des Tages von Potsdam ist bis in die Eifelberge spürbar. Das war Ausdruck der damaligen hoffnungsvollen, aufwärtsstrebenden Zeit, und uns später Geborenen mit dem glücklicheren Lebenslauf ziemt nicht die billige, hämische, nachträgliche Besserwisserei. Erwähnenswert bleibt solch ein Vorgang wie viele gleichartige, von damals noch meist Gutgläubigen inszeniert, nicht nur wegen der aus der Geschichte zu ziehenden Lehren, sondern gerade wegen des Zusammenhangs mit der erstarkenden nationalen Politik und deren verschiedenen Trägern. Der Eifelverein stand als Vorposten im Westen, fühlte sich auch so, nannte die Eifel in einem Untertitel seiner Zeitschrift konsequent »Das schöne deutsche Grenzland im Westen«. Die 1000-Jahr-Feiern von 1925 hatten in den bedrückenden Jahren nach Weltkrieg und Friedensschluss ermutigende Wirkung gezeitigt - das Buch »Tausend Jahre Deutscher Geschichte und Deutscher Kultur am Rhein«, herausgegeben von Aloys Schulte1, steht für den Auftrieb. Dazu kamen die wachsenden Ströme und Anstöße aus forciert betriebener geschichtlicher Landeskunde, in unserm Raum gebündelt in dem »Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn«, begründet von den angesehenen Professoren Theodor Frings (Germanist, 1886 - 1968) und Hermann Aubin (Historiker, 1885 -1969), und dem »Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande«. Geschichtliche Mitteilungen dieses Vereins hatten im Eifelvereinsblatt ihren festen Platz. Edith Ennen folgend in der Zeitschrift »Mitteilungen des Instituts ...«2 kann man die Entwicklung der Landesgeschichte mit der Zeit beginnen lassen, als »die herrschenden Familien geschichtskundig werden«, etwa im 10. Jahrhundert. Als ihre Wurzel erweist sich die Jahrhunderte hindurch die Verbindung von Territorialgeschichte mit der Volks- und Kulturraumforschung; im Rheinland, geprägt von einer Kleinstaatenwelt, trat die spezifische Heimatgeschichte dazu. Das Institut an der Universität Bonn sollte den reinen Zwecken der Forschung dienen und die Möglichkeit haben, neue geistige Kräfte im rheinländischen Volk zu wecken. Der parallel gegründete »Verein für geschichtliche Landeskunde«, eng verknüpft mit dem damaligen Provinzialverband »Rheinprovinz«, erhielt in der Person des Eifelvereinsvorsitzenden K. L. Kaufmann, damals Landrat in Euskirchen, einen seiner zwei Beisitzer. Der Auftritt als geachteter und beachteter Redner bei der Kundgebung lag also ganz auf der Linie der erstarkten Betonung deutscher Rheinlande, durch tausendjährige Geschichte und Kultur begründet. Ein Verein, der sich in besonderem Maße der Eifel-Heimat verbunden fühlte, von lokalen und überregionalen Honoratioren/Autoritäten getragen und unterstützt wurde, musste sich von all diesen Strömungen herausgefordert fühlen, mindestens dieselbe Bodenhaftung zu zeigen wie engagierte Mitglieder desselben. So verwundert es nicht, dass auch »die Partei«, gerade zu Beginn des dritten Reichs, sich dieser auch im Eifelverein organisierten Strömungen energisch zuwandte. Ebenfalls keine Verwunderung mehr: der Abgeordnete der NSDAP kann bei der Kundgebung vom 23. 7. 1933 besonderen Dank entgegennehmen. Die Hoffnung auf Hilfe für dieses arme Grenzland (»Gotteswerk«) ist allenthalben groß.

Der Vertreter der Rheinprovinz, auch angetreten für den Deutschen Bund Heimatschutz und den Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz, zitiert die wirkungsträchtigen und in der Tat »blendenden« Sätze des hier »Volkskanzler« genannten Führers aus dessen Rede in Potsdam.

Die eigentliche »Gefahr« im Kraterseengebiet, die von dem dreisten Landfremden ausging, erschließt der Bericht über die Kundgebung nur mittelbar. Jener Fremde hatte schon, schlimm genug, einen Bauplatz erworben; schlimm, weil damit ererbtes Vätergut verschachert worden war. Noch schlimmer: die Erteilung der Bauerlaubnis verletzt das Empfinden weitester Kreise. Forderung: in Zukunft soll nur noch eine überörtliche Instanz, der Regierungspräsident, Entscheidungen solch bedeutsamer Fragen für die landschaftlich herausragenden geschützten Gebiete treffen können.

Offenbar ist die Kundgebung ein kräftiges Nachtreten; denn es wird ersichtlich, dass »infolge ministeriellen Entscheids wegen Verletzung des öffentlichen Interesses die erteilte Baugenehmigung zurückgezogen wurde.« Aber dagegen hat der Bauherr »nun auch noch das Oberverwaltungsgericht in Berlin« angerufen. »Erstaunlich ist ferner, dass die Bedürfnisfrage für die Schankstättengenehmigung sogar von zwei Stellen bejaht worden ist«. Erstaunlich, fürwahr! Diese beiden Stellen, hier nicht benannt aber mit Sicherheit dem Volk bekannt, wussten auf Grund der Kundgebung nun, was ihnen bevorstand. Ebenfalls vor 70 Jahren (1931 bzw. 1935) - damit soll eine gegen die enge, nationalistische Richtung beider Seiten erschienene Schrift hier sozusagen zum Ausgleich erwähnt werden - machte sich ein französischer Historiker in einem mitreißenden Essay zukunftsweisende Gedanken, fußend auf der deutschen und französischen Geschichte: Luden Febvre. Er entmythologisiert den Mythos vom »deutschen Rhein« wie den von »Frankreichs natürlicher Grenze«. Uns Heutige wundert es nicht, dass dieses Buch bei seinem Erscheinen nicht die erhoffte Wirkung hervorbrachte3.

Kennzeichnend ist für L. Febvre, dass er sein erstes Kapitel mit »Der Rhein als Straße. Wie ein Strom entsteht« eröffnet. Man kann das ganze Buch als eine lange, kurzweilige Rheinfahrt ansehen, wo sich Völker und Kulte gemischt haben, wo sich Kulturen einbrachten aus fast der ganzen damals bekannten Welt, wo Wirtschaft und insbesondere Handel mit ihren Straßen und Wegen sich herausbildeten und weiter entwickelten. Wie beiläufig spricht der Autor über den Rhein, stößt sich an der national - politischen Geschichtsschreibung, die mit dem Vertrag von Verdun 843 einen fast ewigen Kampf zwischen Frankreich und Deutschland beginnen ließ. 20 Jahre später, 1953, schreibt derselbe Autor in »Überlegungen zur Wirtschaftsgeschichte des Rheins«: »Die große Geschichte des Rheins ist vielmehr eine Geschichte des Geistes (histoire de l'esprit), der sich als einziger auf den Flügeln des Windes, der Leben spendet und Kulturen verbindet, im gesamten Rheintal von den Alpen bis zum Meer frei bewegen kann - ohne Rücksicht auf Hindernisse, Grenzen, Burgen und Landesfürsten« (S. 216).

Der Rückgriff auf diesen frei schwebenden Geist, der sich in den kulturellen »Produkten« manifestiert, ist uns näher als die vergangene Blut - Boden - Mystik! Bleibt noch anzumerken, dass Lucien Febvre und Marc Bloch 1929 die Zeitschrift »Annales« gegründet hatten. Sie segelte u. a. unter der Parole »Feste schwimmen!« Die Welt von gestern war für sie untergegangen, für immer zu Ende. Also: Ins Wasser und feste schwimmen! Eine Solidarität der Schiffbrüchigen forderten sie.

Ein weiteres Buch, im Jahre 2001 erschienen, wirft andere Fragen auf: die sog. Westforschung mit ihren Auswirkungen von Deutschland aus auf den niederländisch/nordfranzösischen Raum, mit Folgen bis auf den heutigen Tag.4 Der niederländische Autor sieht hier eine Kontinuität der Westforschung von ihren Anfängen 1918 - 1933 (!) über die deutsche und holländische Westforschung in den Niederlanden und Belgien bis 1945 und danach (fast) ungebremst weiter als Pendant zur Ostforschung im Rahmen des Kalten Krieges. War das »Ein historischer Triumph« fragt er und nennt, für den Leser überaus spannend, die handelnden Akteure, weist auf ihre aktuellen (Schach-) Züge hin. Zwei Seiten aus dem Eifelvereinsblatt 1933, nach 70 Jahren mehr zufällig hervorgezogen und an den Beginn dieses Beitrags gestellt, führen zu politisch - aktuellen Fragen unserer Zeit, die auch auf die beiden in Anm. (3) und (4) genannten Werke gegründet sind. Sie mögen und sollten kontrovers diskutiert werden - für die heutigen Zeitgenossen, zu denen auch die Eifeler um den »heiligen Kratersee« gehören, beinhalten sie aktuell eine ganz kleine, aber Geschichte gewordene Begebenheit am Rande der großen Geschichte und am Rande des unberührten Weinfelder Maars. Das spricht für Beständigkeit und Kontinuität -zwei typische Eigenschaften auch »des« Eifelers. Und die Zeitschrift des Eifelvereins »Die Eifel« trägt z. B. auf dem beiläufig gegriffenen Heft Nr. 2 aus 2000 den Zusatz: »Gründungsmitglied der Europäischen Vereinigung für Eifel und Ardennen«!

1 Düsseldorf 1925

2 Rheinische Vierteljahrsblätter Jg. 34 (1970) S. 9 ff.

3 Lucien Febvre, Der Rhein und seine Geschichte, herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Peter Schöttler, Frankfurt/New York 1994

4 Hans Derks, Deutsche Westforschung. Ideologie und Praxis im 20. Jahrhundert, Leipzig 2001