Der Wolf und der Fuchs - eine Erzählung aus meiner Kindheit

Marianne Trappen, Birresborn

„Frießen", das war das Haus, in dem meine Oma und mein Opa wohnten und „Lipperts" war ein Haus, das gegenüber in der Poststraße lag. Mein Onkel Toni war eine Person, die mich positiv durch mein Leben begleitete. Er erzählte mir oft Geschichten, besonders diese, die ich immer wieder hören wollte: „Es war ein schlimmer und strenger Winter. Der Schnee lag so hoch, dass man die Stangen von den Stangettenzäunen kaum noch sehen konnte. Es war Schlafenszeit. Die Schweine im Dorf wurden geschlachtet, und es war die Zeit im Jahr, in der es Gehacktes, Wurstsuppe und überall gute Gerüche zu schnuppern gab. Das Fleisch wurde im Keller oder in einer dunklen, kühlen Kammer in einem großen Holzbottich eingepökelt. Im Wald auf dem Goldberg gab es nicht viel zu essen. Der Wolf und der Fuchs rochen die Düfte über die Kyll bis hin zum Goldberg. Die beiden beschlossen: „Heute abend gehen wir ins Dorf. Bei Lipperts und bei Frießen sind je ein Kellerfenster offen. Bei Frießen gehen wir rein, die haben schon geschlachtet. Da steht die Fleischbütt' nahe am Kellerfenster." Gesagt - getan. Da war, man kann es nicht beschreiben, eine Butt' gefüllt mit Fleisch. Das Beste vom Besten (Fuchs und Wolf, ein Herz und eine Seele). Sie fraßen und fraßen, aber ein Zweifel, ob das gut ging, blieb immer. Der Fuchs fraß genauso wie der Wolf, aber er machte sich Gedanken. „Das Fenster ist sehr schmal, komme ich da noch raus?" Er sprang immer wieder durch das Fenster auf die Straße. Der gutmütige Wolf fragte: „Warum springst du denn immer durch das Fenster? Du machst mich nervös." Der Fuchs wusste sich aus der Patsche zu ziehen. »Ich habe Bauchschmerzen!", sagte er. Der Wolf fraß und fraß. Sein Bauch wurde dicker und dicker. Dem Fuchs tat es leid, er hätte gern mehr gefressen, aber sein Scharfsinn war klüger als sein Bauch. Er sprang immer wieder durch das Fenster, rein und raus. Das Geräusch gab dem Frießen-Opa zu denken. Er ging in den Keller. Dort war eine Falttür, die er öffnete. Das hatte der Fuchs gehört. Der Wolf fraß die letzten Stücke aus der Butt'. Der Fuchs war so schnell aus dem Keller entschwunden, dass von ihm nichts mehr zu sehen war. Der Wolf aber war so lahm und vollgefressen, dass der Frießen-Opa ihn mit der Axt totschlagen konnte." Wenn ich als Kind in den Keller musste, saßen mir immer der Wolf und der Fuchs im Nacken. Meine Angst vertrieb ich mit Pfeifen und Singen. Heute als Oma sehe ich mir noch immer das Fenster bei Lipperts an. Auf der Straßenseite von Frießen ist vieles anders geworden. Vielleicht kann ich meiner Enkelin noch in meinem Leben ein wenig von meiner Zeit als Kind erzählen.

(Geschichte ist nicht typisch für Birresborn, sondern frei nacherzählt nach einem Märchen der Gebrüder Grimm)