Venus vor der Sonnenscheibe
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Astronomisches Ereignis des Jahres 2004
Dr. Hilmar W. Duerbeck, S c h a l ke n m e h r e n
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Am 8. Juni 2004 findet eine Sonnenfinsternis statt - aber keine gewöhnliche, bei der der Mond sich vor die Sonne schiebt und diese mehr oder weniger verfinstert (manche Leser mögen sich mit leichtem Schaudern an die mehr oder weniger verregnete »Jahrhundertfinsternis« vom 11. August 1999 erinnern). Diesmal liegt die Sache etwas anders: nicht der Mond, sondern der Planet Venus schiebt sich vor die Sonne. Die Planeten Merkur und Venus ziehen innerhalb der Erdbahn ihre Kreise, und so kann es hin und wieder geschehen, dass sie von uns aus gesehen genau vor der Sonne entlang wandern. In der Astronomie bezeichnet man dies als einen Merkur- oder einen Venusdurchgang.
Da die Venus etwa so groß wie die Erde ist, die Sonne aber einen Durchmesser von mehr als 100 Erddurchmessern hat, ist es klar, dass dies kein spektakuläres Ereignis sein wird: man wird einen kleinen Punkt vor der Sonnenscheibe sehen, kaum größer als ein Sonnenfleck, und dieser wird von etwa 7.20 Uhr bis 13.23 Uhr (Mitteleuropäische Sommerzeit) über die Sonnenscheibe ziehen.
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Falls es kein völlig verregneter Tag sein wird, hat man eine gute Chance, einen Blick auf das Ereignis zu erhaschen. Aber Vorsicht: Bitte nie mit ungeschütztem Auge in die
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Sonne sehen! Bitte nie einen Feldstecher auf die Sonne richten! Vermutlich wird man Sonnenschutzbrillen kaufen können, oder es finden sich noch welche, die für die Fins-
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Der Pfad der Venus vor der Sonnenscheibe am 8. Juni 2004. Der erste Kontakt (kleiner Kreis ganz links) erfolgt um 07:20 Uhr (MESZ), um 07:39 ist die Venus vollständig auf der Scheibe, um 10:22 wird die größte Annäherung an den Sonnenmittelpunkt (Maximum) erreicht, um 13:04 erreicht die Venus den rechten Sonnenrand und verläßt um 13:23 die Sonnenscheibe.
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8. Juni 2004 auf dem Kalender rot anzustreichen. Wir wollen nun einen Blick in die Vergangenheit werfen. Für die Astronomen waren Venusdurchgänge bedeutsam, weil man mit ihrer Hilfe die Entfernung der Sonne von der Erde berechnen kann. Man benötigt dazu genaue Zeit- und Ortsmessungen des Phänomens von verschiedenen Orten der Erde aus: Stellen Sie sich vor, Ihre beiden Augen seien zwei Beobachter auf verschiedenen Punkten der Erde. Strecken Sie den linken Arm ganz aus, und betrachten Sie die linke Handfläche. Halten Sie jetzt, in etwa halber Entfernung, den rechten Zeigefinger vor die linke Hand, und betrachten Sie ihn abwechselnd mit beiden Augen: Er springt vor der Handfläche hin und her - und auf gleiche Weise sehen Beobachter an unterschiedlichen Orten der Erde die Venus in leicht unterschiedlichen Positionen vor der Sonnenoberfläche.
Im 18. Jahrhundert schickten England und Frankreich Expeditionen nach Russland, Indien, Südafrika und Mexiko aus, um die nötigen Beobachtungen durchzuführen. Die Abenteuer einiger dieser Forschungsreisenden haben sogar Eingang in die Literatur gefunden! Weit weniger bekannt sind die Expeditionen im 19. Jahrhundert. Neben Frankreich und England traten nun Belgien, Holland, die Vereinigten Staaten, Russland, Italien, Dänemark, Brasilien, Mexiko und natürlich auch das im zweiten Kaiser-
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Die Station der deutschen Venusdurchgangsexpedition 1874 auf der Auckland-Insel. Links das Wohnhaus, rechts die drei transportablen Schutzkuppeln (Agfa Photo-Historama).
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ternis von 1999 angeschafft wurden. Andernfalls hören Sie sich um, ob es irgendeinen erfahrenen Amateurastronomen gibt, der ein Bild der Sonne auf einem Projektionsschirm oder einem Blatt Papier erzeugen kann, das man völlig gefahrlos betrachten kann. Sonst besteht die große Gefahr, daß Ihre Augen bleibenden Schaden davontragen, und das ist die Sache wahrlich nicht wert! Warum weise ich auf dieses Ereignis hin, wenn es doch so relativ unspektakulär ist? Aus dem Grunde, weil es so ungeheuer selten ist! Die Bahnen von Venus und Erde sind gegeneinander geneigt, so dass im allgemeinen die Venus etwa alle 584 Tage oberhalb oder unterhalb der Sonne vorbeiläuft. Nur unter ganz bestimmten Bedingungen tritt ein Venusdurchgang vor der
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Sonnenscheibe ein: am 7. Dezember 1631, am 4. Dezember 1639, am 6. Juni 1761, am 3. Juni 1769, am 9. Dezember 1874, am 6. Dezember 1882, weitere werden stattfinden am 8. Juni 2004, am 5. Juni 2012, am 10. Dezember 2117, am 8. Dezember 2125... Bemerkenswert, nicht wahr? 124 Jahre sind seit dem letzten Venusdurchgang vergangen, 2004 findet ein in Europa sichtbarer Venusdurchgang statt, dann 8 Jahre später ein weiterer (von dem aber in Europa sehr wenig zu sehen sein wird), und dann muss die Menschheit 105 Jahre auf das nächste Ereignis warten. Und unter den Lebenden gibt es wohl niemanden mehr, der den letzten Venusdurchgang von 1882 gesehen hat. Allein deshalb lohnt es sich für alle an der Himmelskunde Interessierten, den
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reich vereinigte Deutschland als neue wissenschaftlich ernst zu nehmende Länder auf: die Ausrüstung einer oder mehrerer Expeditionen zur Beobachtung der Venusdurchgänge erschien als eine nationale Aufgabe. Insgesamt 10 Expeditionen zur Beobachtung der Venusdurchgänge von 1874 und 1882 wurden mit finanzieller und logistischer Unterstützung des deutschen Kaiserreichs durchgeführt. Neben der genauen Positionsmessung der Venus vor der Sonnenscheibe, sozusagen mit Auge und Fadenkreuz wurde auch die damals relativ neue Technik der Photographie angewandt. Astronomen und Photographen wurden ausgesandt, um in zumeist entlegenen Orten Beobachtungen anzustellen. 1874 ging die Reise nach Tschifu (China), Isfahan (Persien), nach der Insel Mauritius und nach den schon fast in antarktischen Gewässern liegenden Inseln Kerguelen und Auckland; 1882 ging es dann nach Hartford (Connecticut) und Aiken (South Carolina) in den U.S.A., nach Bahia Blanca in Argentinien, Punta Arenas in Südchile und schließlich auch nach Süd-Georgien, einer Insel im Atlantik.
Die Expeditionen fanden seinerzeit ein lebhaftes Interesse, in der Tagespresse, in Illustrierten und Monatsheften erschienen Reiseberichte. Anderthalb Jahrzehnte später wurde auch das monumentale wissenschaftliche Werk, das die Reisen, die Beobachtungen und die Ergebnisse in
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allen Einzelheiten beschrieb, abgeschlossen. Aber da war schon die Wissenschaft über die Untersuchungen hinweggegangen, man hatte inzwischen bessere Methoden gefunden, die Entfernung der Erde von der Sonne zu bestimmen: der schließlich errechnete Wert wich fast ein Prozent von der wahren Entfernung Erde - Sonne ab, die
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nach den neuesten Beobachtungen 149 597 870,66 km beträgt.
Hören wir nun ein paar Stimmen von Beobachtern des Venusdurchgangs von 1874. Der Photograph der Expedition nach Tschifu (China), Carl Kardaetz, schrieb: »Tags zuvor waren wir der Witterung wegen in tausend Ängsten. Vom Schlafen in
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Die Mitglieder der Expedition 1874 nach Persien mit ihrem photographischen Fernrohr. Aus Illustrierte Zeitung (Leipzig 1875).
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dieser Nacht war wohl bei keinem der Beteiligten die Rede. Nachts gegen 3 Uhr drehte sich wieder der Wind, verjagte die Wolken, und wir hatten den herrlichsten Sonnenaufgang. Alle Schiffe im Hafen hatten geflaggt; sämtliche Konsulate und viele Privathäuser festlichen Flaggenschmuck angelegt; die Chinesen in der Stadt brannten von früh an Feuerwerk ab und erbaten da
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benen Dichtung. Nach der erfolgreichen Beobachtung wurde gefeiert: »Der erste Gruß Mit goldigem Naß Galt allen Kollegen Auf der ganzen Erde Zwischen Süd= und Nordpol, Für gleiches Gelingen
Ihrer Beobachtung Des Venusdurchgangs.«
Und dann hieß es Abschiednehmen von der Auckland-Insel, auf der man mehr als vier Monate verbracht
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durch gute Sonne; ihre
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Bitten sind erhört worden, denn wir hatten ungefähr 2 Stunden klares Wetter. Zu Ende des Phänomens war es auch vorbei wie abge
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Venus vor der Sonne. Die einzige erhaltene Reproduktion einer Aufnahme der deutschen Expeditionen. Venus erscheint als schwarze Scheibe, die Fäden werden im Teleskop aufgeprägt und dienen der Prüfung der Qualität der Photoemulsion (Krone-Sammlung).
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hatte:
»Im Track, nicht weit von unserm alten Aufstieg,
Steht einsam stolz ein Dracophyllum,
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schnitten, der Himmel hüllte sich vollständig in Wolken, der Zweck war jedoch vollständig erreicht, 115 gute Platten sind in dieser Weise entstanden. Am folgenden Tag hatten wir vormittags Schnee und Hagel...« Weniger vom Glück begünstigt war die Expedition nach Isfahan. Ihr Leiter, Dr. Gustav Fritsch, notierte: »Wer den offenen Raum des Gebäudes in Augenschein nahm, glaubte wohl die Mündung eines schweren Geschützes zu entdecken, nämlich die Objectivöffnung des Heliographen, welcher freilich nur in harmloser Weise nach der Sonne zielte. Ein Blick ins Innere bei hellem Sonnenschein zeigte dann, wie die Mitglieder der Expedition das »Geschütz« bedienten, und
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wie auf das Kommando »Feuer« der Momentverschluss abgedrückt wurde, der die empfindliche Platte exponierte. Der Humor verließ die Expedition nie ganz, bis zu dem verhängnisvollen Tag, wo sich die ungetreue Venus bei ihrer verdächtigen Annäherung an die Sonne gänzlich in Schleier zu hüllen drohte. Da herrschte düstere Verzweiflung in dem engen Raum, bis unter Benutzung der spärlichen lichten Momente doch zwanzig brauchbare photographische Aufnahmen des Phänomens gelungen waren.« Der Photograph der Expedition nach den Auckland-In-seln, Hermann Krone, erinnerte sich an seine Erlebnisse
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Ein alter gradgewach-
s'ner schöner Baum,
Und wird wohl so noch
manch Jahrhundert stehen.
In dessen Rinde, auch noch
etwas tiefer,
Schnitt ich zum Abschied,
Spätre'n zur Erinn'rung
An unser Hiersein ein me-
mento ein.
Kühl war's geworden, und so
wärmt ich mich,
Noch ein'ge Zeit an meinen
Feuer rastend,
Und ging ins Thal hinab, wo
unser Haus
Zum größten Teile schon war
abgebrochen.
Ich setzte mich auf den Re-
fraktor=Pfeiler,
Der einsam neben jenem alten
Baumstamm
An der verlass'nen öden
Küste ragt,
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in einer 1899 niedergeschrie- Und gab Signal. Bald kam das
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kleine Boot
Und holte mich nun nach an Bord des Schiffes.« Soweit einige Berichte aus der Zeit vor 130 Jahren. Wieviel Abenteurertum, wieviel Romantik ist der Wissenschaft in der Zwischenzeit abhanden gekommen! Heute düsen die Astronomen nach Chile, wo sie in der Wüste ein Hotel mit Swimmingpool vorfinden, nachts sitzen sie vor den Monitoren und verfolgen die Programme, die die Riesenteleskope steuern und die Daten aus den Tiefen des Alls aufzeichnen. Keine Gelegenheit mehr, sich die Finger beim Entwickeln der Photoplatten nasszumachen, nirgendwo in der Wüste ein Baum, in dessen Rinde man eine Erinne-
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rung ritzen könnte... Vieles dieser »großen Wissenschaft« der Kaiserzeit hat sich über die Zeiten erhalten, vieles ist verlorengegangen. Die photographischen Platten der Expeditionen? 1945 infolge des Luftkrieges in der Potsdamer Sternwarte zerstört. Das dem Kaiser gewidmete Photoalbum mit Aufnahmen der Expeditionen? Bei der kriegsbedingten Auslagerung der Bestände der Preußischen Staatsbibliothek verschollen. Mit einem Gefühl von Nostalgie und auch Schwermut hält man die vergilbten Akten in der Hand, Briefe, Photos, Pläne aus einer Zeit, in der Deutschland sich anschickte, eine Großmacht zu werden -wissenschaftlich und auch
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politisch, mit fatalen Folgen, die sich unsere Vorväter nicht vorstellen konnten. Wenn also am 8. Juni 2004 die Venus vor der Sonne vorbeizieht, sollte man auch an die Mühen der Forscher der Vergangenheit denken. Und wie mag wohl die Welt beschaffen sein, wenn in weiteren einhundertdreizehn Jahren der Schatten der Venus wieder auf die Eifel fallen wird?
Danksagung. Ich danke der Krone-Sammlung (Institut für Angewandte Photophysik, Technische Universität Dresden) und dem Museum Ludwig/Agfa Photo-Historama (Museen der Stadt Köln) für die Erlaubnis zur Reproduktion der Photographien.
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