Kinderarbeit im vorigen Jahrhundert
Christa Feltgen, Steffel n
In einem alten Kalender las ich die Stoßseufzer einer Mutter aus der sogenannten „guten alten Zeit": „Wenn man sich nicht zu helfen weiß, kommt man zu nichts. Zwölf Blagen am Tisch, das ist auch nicht nichts! Allein die Löcher in den Strümpfen -Und alle sauber und ordent­lich zur Schule gehen lassen -Zwölf Paar Klompen scheue­ren - Pullover, Jacken, Hand­schuhe stricken - Für zwölf Kinder Pfannekuchen backen - Zwölf Kinder in der Schüs­sel waschen..."
Man kann es sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen. Dabei hätten wir in so einem Fall Hilfe durch unsere Elektrogeräte und die Mittel der chemischen Industrie.
Was man sich aber vorstellen kann, ist die Tatsache, dass es damals gar nicht anders ging, als die größeren Kinder im Haushalt und auf dem Feld mitarbeiten zu lassen. In dem gleichen Kalender hatte eine alte Dame aufge­schrieben, was sie als Kind früher für Pflichten hatte. Und dann steht da bunt durcheinander: Mit dem Handbesen die Matten im Flur abfegen. Bohnen ab­fädeln. Kartoffeln schälen. Aber auch: Den Topf, in dem Mutter Pudding gekocht hatte, auslecken. Den Kindern wurde früher meistens nicht zu viel ab­verlangt. Die Mütter hatten ein gutes Gespür dafür, welche Arbeit ein Kind tun
konnte. Manchmal wurde daraus auch ein Wettstreit zwischen den Geschwistern, denn es gab auch beliebte Ar­beiten. Und weniger beliebte, wie etwa die ausgemachten Kartoffeln auf dem Feld auf­lesen. Da bückten sie manch­mal tagelang den Rücken. Ab und zu brauchte Vater einen Gehilfen beim Schleif­steindrehen. Dann hatte er wieder einmal kein scharfes Messer im Haushalt finden können. So einer kleinen Pflicht kamen die Kinder gern nach.
Den Tisch mit den vielen Tellern decken und nach dem Essen spülen, waren eher Aufgabe der Mädchen, besonders derjenigen, die schon schulentlassen und im
Haushalt beschäftigt waren. Die Kleineren gingen dafür mit einer Kanne an der Hof­pumpe Wasser holen, und Holz, um den Küchenherd zu heizen. Oder sie brachten in einem besonderen Behälter Kohlen aus dem Keller. Die Mädchen halfen der Mutter beim Stopfen von Kinder­socken oder beim Schuhe-putzen.
War Kleinvieh da, mussten die Kinder die Hühner füttern, den Stock, an dem die Ziege angebunden war, ein Stück weiter versetzen und nachse­hen, ob die Hühner Eier ge­legt hatten. Waren die Klei­nen verständig genug, schick­te die Mutter sie auch schon einmal in den Garten, Un­krautjäten oder vor die Haus­tür, um dort Kies zu harken. Irgend etwas im Dorfladen zu besorgen, damit konnte man schon die kleineren Kinder
beauftragen, bezahlt wurde sowieso nicht jedes Mal, sondern bei Gelegenheit. Größere Kinder schickte man auch Petroleum holen oder Farbe beim Anstreicher. Ich selbst kann mich erinnern, dass ich während der Kinder-landverschickung im Krieg in Württemberg jeden Abend quer durchs ganze Dorf laufen musste, um unsere Milchration bei der Sammel­stelle abzuholen. So etwas wird es wohl in vielen Ortschaften gegeben haben. Die Mütter hatten immer ein Wort zur rechten Zeit bereit, wie zum Beispiel: „Ihr müsst alles lernen, dann stehen euch später die Hände auch nicht verkehrt am Körper!" Und so mussten die kleinen Mädchen jeden Tag wenigstens fünf Reihen an ihrem Strick­strumpf weiterarbeiten, Staub wischen und das Melken
lernen. Sie gingen mit den Brüdern Beeren im Wald pflücken, beim Heuen musste beigeharkt, das Korn aufge­bunden werden und jede von ihnen fing früh an, Holz zu hacken.
Und die Kinder, die für die schwereren Arbeiten noch nicht kräftig genug waren, bekamen eine nicht enden wollende Beschäftigung, das Hüten der kleineren Geschwi­ster. Wer da noch eine Großmutter zur Hilfe hatte, konnte sich glücklich schätzen.
Wenn man bedenkt, dass die Kinder daneben auch noch Schularbeiten zu machen hat­ten, fragt man sich, ob sie überhaupt je Zeit für das Spielen fanden. Vielleicht konnten sie das alles so klaglos hinnehmen, weil es anderen Kindern damals genau so erging.